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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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politische Reisebetrachtuugen aus dem deutschen Süden

oberungen, denen politische Erfolge sast schon jetzt gefolgt sind. Das Wort
vom größern Deutschland und Altdeutsch land klingt wie Hohn, wenn man
dieses allmähliche, stille Vordringen unsers Erbfeindes sieht, das uns an¬
scheinend weder national noch amtlich berührt. Eine solche Vogelstraußpolitik
ist aber der geschichtlichen Sendung des neuerstandnen Reiches unwürdig. Das
Deutsche Reich ist verpflichtet, der Hort alles Deutschtums zu sein, und hat
diese Forderung für die Deutschen über See auch ausdrücklich ausgesprochen.
Unmittelbar an unsern Grenzpfühlen. im Herzen Europas dulden wir aber die
geflissentliche Entfremdung deutscher Stämme von ihrem uralten Volkstum. Im
Zeitalter der nationalen Staaten, wo felbst die kleinsten Volkssplitter nationale
Beachtung verlangen, ist dieser Zustand unerhört. Der Deutsche ist langsamen
Geistes, und sein nationales Gewissen muß erst noch geschärft werden. In
dieser Erwartung wollen wir auch den Glauben nicht verlieren, daß auch für
das Schweizer Volk die Stunde der Erlösung von der welschen Herrschaft
bald schlägt.

Der nationalpolitische Himmel unsers deutschen Südens erscheint ange¬
sichts vorstehender Thatsachen nicht wolkenlos, ja zum Teil trostlos trübe. In
Bayern ein Erstarken des Sondergeistes, in Tirol und der Schweiz das stetige
Vordringen des Welschtums mit klerikaler und demokratischer Hilfe. Hirtenstab
und Jakobinermütze in trautem Verein, um das angestammte deutsche Volkstum
ins italienische und französische Joch unter der Herrschaft offiziell deutscher
Regierungen zu spannen. Wir sehen das traurige, leider oft gesehene Schau¬
spiel, daß der Deutsche vaterlandslos wider den Deutschen wütet. Nicht be¬
rechnende Bosheit, sondern nur die Schwäche des eignen Nationalgefühls sind
die Triebfedern dieser antinationalen Bewegungen. Der Bayer wird in der
Stunde der Gefahr jederzeit seine Pflicht als Deutscher erfüllen. Auch der
Tiroler und der Schweizer glauben gute Deutsche zu sein. Aber der unselige,
echt deutsche Sondergeist läßt überall den weiten Blick und das Zusammen-
gehörigteitsgestthl des großen deutschen Volksstammes vermissen, dessen Glieder
Wohl politisch getrennt, aber niemals dem eignen Volkstum entfremdet werden
dürfen, solange noch ein Funke nationalen Ehrgefühls in deutschen Herzen
glimmt Nurd von Strantz .




politische Reisebetrachtuugen aus dem deutschen Süden

oberungen, denen politische Erfolge sast schon jetzt gefolgt sind. Das Wort
vom größern Deutschland und Altdeutsch land klingt wie Hohn, wenn man
dieses allmähliche, stille Vordringen unsers Erbfeindes sieht, das uns an¬
scheinend weder national noch amtlich berührt. Eine solche Vogelstraußpolitik
ist aber der geschichtlichen Sendung des neuerstandnen Reiches unwürdig. Das
Deutsche Reich ist verpflichtet, der Hort alles Deutschtums zu sein, und hat
diese Forderung für die Deutschen über See auch ausdrücklich ausgesprochen.
Unmittelbar an unsern Grenzpfühlen. im Herzen Europas dulden wir aber die
geflissentliche Entfremdung deutscher Stämme von ihrem uralten Volkstum. Im
Zeitalter der nationalen Staaten, wo felbst die kleinsten Volkssplitter nationale
Beachtung verlangen, ist dieser Zustand unerhört. Der Deutsche ist langsamen
Geistes, und sein nationales Gewissen muß erst noch geschärft werden. In
dieser Erwartung wollen wir auch den Glauben nicht verlieren, daß auch für
das Schweizer Volk die Stunde der Erlösung von der welschen Herrschaft
bald schlägt.

Der nationalpolitische Himmel unsers deutschen Südens erscheint ange¬
sichts vorstehender Thatsachen nicht wolkenlos, ja zum Teil trostlos trübe. In
Bayern ein Erstarken des Sondergeistes, in Tirol und der Schweiz das stetige
Vordringen des Welschtums mit klerikaler und demokratischer Hilfe. Hirtenstab
und Jakobinermütze in trautem Verein, um das angestammte deutsche Volkstum
ins italienische und französische Joch unter der Herrschaft offiziell deutscher
Regierungen zu spannen. Wir sehen das traurige, leider oft gesehene Schau¬
spiel, daß der Deutsche vaterlandslos wider den Deutschen wütet. Nicht be¬
rechnende Bosheit, sondern nur die Schwäche des eignen Nationalgefühls sind
die Triebfedern dieser antinationalen Bewegungen. Der Bayer wird in der
Stunde der Gefahr jederzeit seine Pflicht als Deutscher erfüllen. Auch der
Tiroler und der Schweizer glauben gute Deutsche zu sein. Aber der unselige,
echt deutsche Sondergeist läßt überall den weiten Blick und das Zusammen-
gehörigteitsgestthl des großen deutschen Volksstammes vermissen, dessen Glieder
Wohl politisch getrennt, aber niemals dem eignen Volkstum entfremdet werden
dürfen, solange noch ein Funke nationalen Ehrgefühls in deutschen Herzen
glimmt Nurd von Strantz .




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[0592] politische Reisebetrachtuugen aus dem deutschen Süden oberungen, denen politische Erfolge sast schon jetzt gefolgt sind. Das Wort vom größern Deutschland und Altdeutsch land klingt wie Hohn, wenn man dieses allmähliche, stille Vordringen unsers Erbfeindes sieht, das uns an¬ scheinend weder national noch amtlich berührt. Eine solche Vogelstraußpolitik ist aber der geschichtlichen Sendung des neuerstandnen Reiches unwürdig. Das Deutsche Reich ist verpflichtet, der Hort alles Deutschtums zu sein, und hat diese Forderung für die Deutschen über See auch ausdrücklich ausgesprochen. Unmittelbar an unsern Grenzpfühlen. im Herzen Europas dulden wir aber die geflissentliche Entfremdung deutscher Stämme von ihrem uralten Volkstum. Im Zeitalter der nationalen Staaten, wo felbst die kleinsten Volkssplitter nationale Beachtung verlangen, ist dieser Zustand unerhört. Der Deutsche ist langsamen Geistes, und sein nationales Gewissen muß erst noch geschärft werden. In dieser Erwartung wollen wir auch den Glauben nicht verlieren, daß auch für das Schweizer Volk die Stunde der Erlösung von der welschen Herrschaft bald schlägt. Der nationalpolitische Himmel unsers deutschen Südens erscheint ange¬ sichts vorstehender Thatsachen nicht wolkenlos, ja zum Teil trostlos trübe. In Bayern ein Erstarken des Sondergeistes, in Tirol und der Schweiz das stetige Vordringen des Welschtums mit klerikaler und demokratischer Hilfe. Hirtenstab und Jakobinermütze in trautem Verein, um das angestammte deutsche Volkstum ins italienische und französische Joch unter der Herrschaft offiziell deutscher Regierungen zu spannen. Wir sehen das traurige, leider oft gesehene Schau¬ spiel, daß der Deutsche vaterlandslos wider den Deutschen wütet. Nicht be¬ rechnende Bosheit, sondern nur die Schwäche des eignen Nationalgefühls sind die Triebfedern dieser antinationalen Bewegungen. Der Bayer wird in der Stunde der Gefahr jederzeit seine Pflicht als Deutscher erfüllen. Auch der Tiroler und der Schweizer glauben gute Deutsche zu sein. Aber der unselige, echt deutsche Sondergeist läßt überall den weiten Blick und das Zusammen- gehörigteitsgestthl des großen deutschen Volksstammes vermissen, dessen Glieder Wohl politisch getrennt, aber niemals dem eignen Volkstum entfremdet werden dürfen, solange noch ein Funke nationalen Ehrgefühls in deutschen Herzen glimmt Nurd von Strantz .

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/592>, abgerufen am 04.07.2024.