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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Zur Abrüstungsfrage

minister Cavaignac verlangte zweihundert Millionen zur Verstärkung der
Kriegsrüstung, die Chauvinisten in Frankreich sehen infolge der Wiederauf¬
nahme der leidigen Dreyfußsache den Krieg mit Deutschland schon in nächster
Nähe. Der erste Lord der Admiralität hat vor kurzem im Unterhause, natür¬
lich unter den bekannten Friedensversichernngen, eine umfassende Verstärkung
der Flotte befürwortet. Und der Zar selbst rüstet, das beweisen u. a. seine
Schiffsbestellungen im Auslande, insbesondre auch auf der Schichauschen Werft
in Elbing, wo Rußland allein vier Torpcdojäger und einen großen geschützten
Kreuzer bestellt hat. Mittlerweile sind die Vereinigten Staaten von Nord¬
amerika, veranlaßt durch ihre Erfolge gegen die auf den absteigenden Ast
ihrer Ruhmesbahn geratnen Spanier, ebenfalls zu dem Entschlüsse gekommen,
ihre Kriegsmacht zu Wasser und zu Lande zu vermehren und in den Gang
der Welthündel als neuer Großstaat einzugreifen. Wo bleibt da der Friede?
Rußland besitzt fast die ganze nördliche Hälfte von Asien; England hat dort
sein großes indisches Reich. Jenes dehnt seinen Einfluß immer mehr nach
Süden aus, England strebt nach Norden. Zwischen beiden liegen einige kleine
Staaten und das große chinesische Reich, wo Rußlands Einfluß zusehends
wächst. Die Interessensphären von England und Nußland müssen demnach
in kurzer Zeit noch ernster aneinander treffen, als dies schon jetzt der Fall
ist. Dazu kommt die Notwendigkeit, über die spanische" Besitzungen in Asien,
im Großen Ozean, über die Philippinen, jetzt bei den Friedensunterhandlungen
zwischen Amerika und Spanien eine Entscheidung zu treffen.

Die Zeit, wo England in solchen Fällen allein seine Taschen füllte, ist
vorüber. Schon in China hat es sehen müssen, daß Frankreich, Deutschland
und namentlich auch Rußland auf dem Plan erschienen sind und schon nam¬
hafte Erfolge errungen haben. Das paßt nicht in Englands Pläne und Ge¬
wohnheiten. General Pfister sagt in seinem wertvollen 1897 erschienenen
Buche: "Aus dem Lager der Verbündeten" bei den nach der Schlacht bei
Dresden Ende 1813 mit Napoleon angeknüpften Friedensverhandlungen: "Was
endlich die Engländer bewogen haben mag, einem Friedensversuch beizutreten,
ist nicht recht klar. Es war der einzige Staat in Europa, der sich bei dem
Kriege wohl befand. Dadurch, daß es Kriege auf dem europäischem Festlande
beförderte, anstiftete und nährte, ist England groß geworden, hat seine Reich¬
tümer gesammelt und sein Kolonialreich zusammengerafft. Der Leichengeruch
auf dem Kontinente duftete jedesmal ungemein lieblich durch die Handelswelt
der Engländer und lockte die Geier herbei, ihre Beute zu holen. Auf Kosten
der verbindenden Staaten des Kontinents hatte jetzt wieder England seinen
Handel und seine Industrie entwickelt. Auch heute vermag es sich nur auf
der Höhe zu halten, wenn es die Staaten des Festlands gegen einander hetzt
u"d jeder Gelegenheit ausweicht, die es zwingen könnte, den Nachweis für
se'me eigne Berechtigung zur Großmachtstellnng zu liefern. So lagen auch damals


Zur Abrüstungsfrage

minister Cavaignac verlangte zweihundert Millionen zur Verstärkung der
Kriegsrüstung, die Chauvinisten in Frankreich sehen infolge der Wiederauf¬
nahme der leidigen Dreyfußsache den Krieg mit Deutschland schon in nächster
Nähe. Der erste Lord der Admiralität hat vor kurzem im Unterhause, natür¬
lich unter den bekannten Friedensversichernngen, eine umfassende Verstärkung
der Flotte befürwortet. Und der Zar selbst rüstet, das beweisen u. a. seine
Schiffsbestellungen im Auslande, insbesondre auch auf der Schichauschen Werft
in Elbing, wo Rußland allein vier Torpcdojäger und einen großen geschützten
Kreuzer bestellt hat. Mittlerweile sind die Vereinigten Staaten von Nord¬
amerika, veranlaßt durch ihre Erfolge gegen die auf den absteigenden Ast
ihrer Ruhmesbahn geratnen Spanier, ebenfalls zu dem Entschlüsse gekommen,
ihre Kriegsmacht zu Wasser und zu Lande zu vermehren und in den Gang
der Welthündel als neuer Großstaat einzugreifen. Wo bleibt da der Friede?
Rußland besitzt fast die ganze nördliche Hälfte von Asien; England hat dort
sein großes indisches Reich. Jenes dehnt seinen Einfluß immer mehr nach
Süden aus, England strebt nach Norden. Zwischen beiden liegen einige kleine
Staaten und das große chinesische Reich, wo Rußlands Einfluß zusehends
wächst. Die Interessensphären von England und Nußland müssen demnach
in kurzer Zeit noch ernster aneinander treffen, als dies schon jetzt der Fall
ist. Dazu kommt die Notwendigkeit, über die spanische» Besitzungen in Asien,
im Großen Ozean, über die Philippinen, jetzt bei den Friedensunterhandlungen
zwischen Amerika und Spanien eine Entscheidung zu treffen.

Die Zeit, wo England in solchen Fällen allein seine Taschen füllte, ist
vorüber. Schon in China hat es sehen müssen, daß Frankreich, Deutschland
und namentlich auch Rußland auf dem Plan erschienen sind und schon nam¬
hafte Erfolge errungen haben. Das paßt nicht in Englands Pläne und Ge¬
wohnheiten. General Pfister sagt in seinem wertvollen 1897 erschienenen
Buche: „Aus dem Lager der Verbündeten" bei den nach der Schlacht bei
Dresden Ende 1813 mit Napoleon angeknüpften Friedensverhandlungen: „Was
endlich die Engländer bewogen haben mag, einem Friedensversuch beizutreten,
ist nicht recht klar. Es war der einzige Staat in Europa, der sich bei dem
Kriege wohl befand. Dadurch, daß es Kriege auf dem europäischem Festlande
beförderte, anstiftete und nährte, ist England groß geworden, hat seine Reich¬
tümer gesammelt und sein Kolonialreich zusammengerafft. Der Leichengeruch
auf dem Kontinente duftete jedesmal ungemein lieblich durch die Handelswelt
der Engländer und lockte die Geier herbei, ihre Beute zu holen. Auf Kosten
der verbindenden Staaten des Kontinents hatte jetzt wieder England seinen
Handel und seine Industrie entwickelt. Auch heute vermag es sich nur auf
der Höhe zu halten, wenn es die Staaten des Festlands gegen einander hetzt
u»d jeder Gelegenheit ausweicht, die es zwingen könnte, den Nachweis für
se'me eigne Berechtigung zur Großmachtstellnng zu liefern. So lagen auch damals


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/59>, abgerufen am 12.12.2024.