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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Politische Reisebetrachtmigen aus dem deutschen Süden

stock der Eidgenossenschaft schon jetzt besiegt und sich zur ebenbürtigen Neben¬
buhlerin aufgeschwungen. Es sei nochmals betont, daß der Fremdenverkehr
uicht der Anlaß ist. Sonst müßte Englisch die Rolle des Französischen spielen.
Der wirkliche Franzose ist ein seltner Gast in den Alpen; selbst im eignen
Lande, wie in Chamounix, ist er nur ein kleiner Bruchteil der Touristen.
Besonders aber ans Reisen befleißigt sich der bessere deutsche Schweizer
der französischen Sprache, ohne sich der Lächerlichkeit dieses Vornehmthuns
bewußt zu werden. Er hält dieses Gebaren anscheinend für den Gipfel der
Bildung.

Die erwähnte Züricher Zeitung hält es für angemessen, eine größere
Pflege der Muttersprache zu empfehlen, verwahrt sich aber ausdrücklich da¬
gegen, einer Einschränkung der französischen Sprache das Wort reden zu wollen.
Die rein nationale Haltung des Altdeutschen Verbandes weist sie als freche
teutonische Anmaßung, gleich einem französischen Nevcmcheblatt, zurück. Die
Folge dieser vaterlandslosen Gesinnung der Eidgenossen, deren deutsches Schwert
ihr berechtigter Stolz seit Jahrhunderten gewesen ist, zeigt sich auch immer
deutlicher. Die gehorsame Schwesterrepublik feiert nämlich in Bern artig das
französische Nationalfest mit, das die dortige französische Gesellschaft veran¬
staltet. Die Ironie des Schicksals will es, daß der Vorsitzende dieses fran¬
zösischen Hilfsvereins der Urfmnzose Lümmle ist. als tüchtiger Renegat natür¬
lich Mr. Lümmle geschrieben. Die Hauptrede hielt der Sekretär des über¬
nationalen Postbureaus. ebenfalls ein Deutscher. Mit schweizerischem Takt
hat er sich trotz seiner neutralen amtlichen Stellung als besondrer Franzosen¬
wund aufgespielt Das kluge Frankreich weiß freilich auch solche Thaten der
Selbstverleugnung theatralisch zu belohnen. Der Präsident Felix Faure hat
g">n diesjährigen Bundcsschicßen einen wertvollen Ehrenpreis gestiftet, der auf
der Scheibe "Vaterland" ausgeschossen wird. Man betrachtet bei solcher
Franzoscnliebe wohl nicht ohne Genugthuung die französische Republik, der die
Schweiz schon einmal zum Opfer gefallen ist. als das zweite Vaterland. Viel¬
leicht ist es nützlich, daran zu erinnern. daß nur Deutschland Napoleon später
besiegt und damit auch die Schweiz gerettet hat. Die Schweiz war Kriegs¬
beute der Verbündeten, und bloß die gänzliche nationale Gleichgültigkeit der
damaligen deutschen Regierungen hat die Aufnahme der Schweiz in den deutschen
Bund verhindert, womit die alte Schuld des Reichs an der Eidgenossenschaft
^führt gewesen wäre. Freilich war es bloß eine Unterlassungssünde, daß das
Reich sich seit Jahrhunderten nicht mehr um sein Alpenkind bekümmert hat.
Indessen ein Kanton hat bis zur Neichsauflösung zu den Reichsständen gehört.
Dies ist Basel, das jetzt in zwei 5>albkanto"c geteilt ist. Die alte Reichsstadt
Basel ist noch voll stolzer Erinnerungen an diese für sie ruhmreiche Zeit.
Alte Bilder zeigen den Glanz der Bauten der Renaissance, die leider die Zeit der
französischen Vorherrschaft im vorigen Jahrhundert hat vom Boden verschwinden


Grenzboten IV 1898 ^
Politische Reisebetrachtmigen aus dem deutschen Süden

stock der Eidgenossenschaft schon jetzt besiegt und sich zur ebenbürtigen Neben¬
buhlerin aufgeschwungen. Es sei nochmals betont, daß der Fremdenverkehr
uicht der Anlaß ist. Sonst müßte Englisch die Rolle des Französischen spielen.
Der wirkliche Franzose ist ein seltner Gast in den Alpen; selbst im eignen
Lande, wie in Chamounix, ist er nur ein kleiner Bruchteil der Touristen.
Besonders aber ans Reisen befleißigt sich der bessere deutsche Schweizer
der französischen Sprache, ohne sich der Lächerlichkeit dieses Vornehmthuns
bewußt zu werden. Er hält dieses Gebaren anscheinend für den Gipfel der
Bildung.

Die erwähnte Züricher Zeitung hält es für angemessen, eine größere
Pflege der Muttersprache zu empfehlen, verwahrt sich aber ausdrücklich da¬
gegen, einer Einschränkung der französischen Sprache das Wort reden zu wollen.
Die rein nationale Haltung des Altdeutschen Verbandes weist sie als freche
teutonische Anmaßung, gleich einem französischen Nevcmcheblatt, zurück. Die
Folge dieser vaterlandslosen Gesinnung der Eidgenossen, deren deutsches Schwert
ihr berechtigter Stolz seit Jahrhunderten gewesen ist, zeigt sich auch immer
deutlicher. Die gehorsame Schwesterrepublik feiert nämlich in Bern artig das
französische Nationalfest mit, das die dortige französische Gesellschaft veran¬
staltet. Die Ironie des Schicksals will es, daß der Vorsitzende dieses fran¬
zösischen Hilfsvereins der Urfmnzose Lümmle ist. als tüchtiger Renegat natür¬
lich Mr. Lümmle geschrieben. Die Hauptrede hielt der Sekretär des über¬
nationalen Postbureaus. ebenfalls ein Deutscher. Mit schweizerischem Takt
hat er sich trotz seiner neutralen amtlichen Stellung als besondrer Franzosen¬
wund aufgespielt Das kluge Frankreich weiß freilich auch solche Thaten der
Selbstverleugnung theatralisch zu belohnen. Der Präsident Felix Faure hat
g">n diesjährigen Bundcsschicßen einen wertvollen Ehrenpreis gestiftet, der auf
der Scheibe „Vaterland" ausgeschossen wird. Man betrachtet bei solcher
Franzoscnliebe wohl nicht ohne Genugthuung die französische Republik, der die
Schweiz schon einmal zum Opfer gefallen ist. als das zweite Vaterland. Viel¬
leicht ist es nützlich, daran zu erinnern. daß nur Deutschland Napoleon später
besiegt und damit auch die Schweiz gerettet hat. Die Schweiz war Kriegs¬
beute der Verbündeten, und bloß die gänzliche nationale Gleichgültigkeit der
damaligen deutschen Regierungen hat die Aufnahme der Schweiz in den deutschen
Bund verhindert, womit die alte Schuld des Reichs an der Eidgenossenschaft
^führt gewesen wäre. Freilich war es bloß eine Unterlassungssünde, daß das
Reich sich seit Jahrhunderten nicht mehr um sein Alpenkind bekümmert hat.
Indessen ein Kanton hat bis zur Neichsauflösung zu den Reichsständen gehört.
Dies ist Basel, das jetzt in zwei 5>albkanto»c geteilt ist. Die alte Reichsstadt
Basel ist noch voll stolzer Erinnerungen an diese für sie ruhmreiche Zeit.
Alte Bilder zeigen den Glanz der Bauten der Renaissance, die leider die Zeit der
französischen Vorherrschaft im vorigen Jahrhundert hat vom Boden verschwinden


Grenzboten IV 1898 ^
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[0588] Politische Reisebetrachtmigen aus dem deutschen Süden stock der Eidgenossenschaft schon jetzt besiegt und sich zur ebenbürtigen Neben¬ buhlerin aufgeschwungen. Es sei nochmals betont, daß der Fremdenverkehr uicht der Anlaß ist. Sonst müßte Englisch die Rolle des Französischen spielen. Der wirkliche Franzose ist ein seltner Gast in den Alpen; selbst im eignen Lande, wie in Chamounix, ist er nur ein kleiner Bruchteil der Touristen. Besonders aber ans Reisen befleißigt sich der bessere deutsche Schweizer der französischen Sprache, ohne sich der Lächerlichkeit dieses Vornehmthuns bewußt zu werden. Er hält dieses Gebaren anscheinend für den Gipfel der Bildung. Die erwähnte Züricher Zeitung hält es für angemessen, eine größere Pflege der Muttersprache zu empfehlen, verwahrt sich aber ausdrücklich da¬ gegen, einer Einschränkung der französischen Sprache das Wort reden zu wollen. Die rein nationale Haltung des Altdeutschen Verbandes weist sie als freche teutonische Anmaßung, gleich einem französischen Nevcmcheblatt, zurück. Die Folge dieser vaterlandslosen Gesinnung der Eidgenossen, deren deutsches Schwert ihr berechtigter Stolz seit Jahrhunderten gewesen ist, zeigt sich auch immer deutlicher. Die gehorsame Schwesterrepublik feiert nämlich in Bern artig das französische Nationalfest mit, das die dortige französische Gesellschaft veran¬ staltet. Die Ironie des Schicksals will es, daß der Vorsitzende dieses fran¬ zösischen Hilfsvereins der Urfmnzose Lümmle ist. als tüchtiger Renegat natür¬ lich Mr. Lümmle geschrieben. Die Hauptrede hielt der Sekretär des über¬ nationalen Postbureaus. ebenfalls ein Deutscher. Mit schweizerischem Takt hat er sich trotz seiner neutralen amtlichen Stellung als besondrer Franzosen¬ wund aufgespielt Das kluge Frankreich weiß freilich auch solche Thaten der Selbstverleugnung theatralisch zu belohnen. Der Präsident Felix Faure hat g">n diesjährigen Bundcsschicßen einen wertvollen Ehrenpreis gestiftet, der auf der Scheibe „Vaterland" ausgeschossen wird. Man betrachtet bei solcher Franzoscnliebe wohl nicht ohne Genugthuung die französische Republik, der die Schweiz schon einmal zum Opfer gefallen ist. als das zweite Vaterland. Viel¬ leicht ist es nützlich, daran zu erinnern. daß nur Deutschland Napoleon später besiegt und damit auch die Schweiz gerettet hat. Die Schweiz war Kriegs¬ beute der Verbündeten, und bloß die gänzliche nationale Gleichgültigkeit der damaligen deutschen Regierungen hat die Aufnahme der Schweiz in den deutschen Bund verhindert, womit die alte Schuld des Reichs an der Eidgenossenschaft ^führt gewesen wäre. Freilich war es bloß eine Unterlassungssünde, daß das Reich sich seit Jahrhunderten nicht mehr um sein Alpenkind bekümmert hat. Indessen ein Kanton hat bis zur Neichsauflösung zu den Reichsständen gehört. Dies ist Basel, das jetzt in zwei 5>albkanto»c geteilt ist. Die alte Reichsstadt Basel ist noch voll stolzer Erinnerungen an diese für sie ruhmreiche Zeit. Alte Bilder zeigen den Glanz der Bauten der Renaissance, die leider die Zeit der französischen Vorherrschaft im vorigen Jahrhundert hat vom Boden verschwinden Grenzboten IV 1898 ^

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/588>, abgerufen am 24.07.2024.