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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Politische Reisebetrachtungen aus dem deutschen Süden

sicherungswesens nach deutschem Muster, aber auch auf dem Gebiete der Privat¬
unternehmung, ist tadellos und kein schlechtes Vorbild für den bisherigen
deutschen Lehrmeister.

Das barsche Wesen, um nicht zu sagen die Grobheit der Schweizer sticht
freilich von der sonstigen süddeutschen Lebensart ab; aber der Altbayer kann
sich an Rauheit in den Umgangsformen wohl mit dem alemannischen Schweizer
messen. Beide Pflegen eben eine etwas andre Art von Gemütlichkeit und ge¬
winnen dafür bei näherm Verkehr. Zuverlässigkeit und Treue sind Merkmale
ihres Wesens. Wir finden also überall noch die unverfälschten deutscheu Züge.
Denn in der Westschweiz ist die gewohnte französische Höflichkeit ebenso wenig
zu finden. Erst die Fremde schleift den Schweizer ab, wie man im Auslande
beobachten kann. Zum Schluß drängt sich uns eine Erscheinung auf, die dar¬
thut, daß das schwächliche Nationalgefühl freilich eine deutsche Eigentümlichkeit
ist. In den Schweizer Fremdenlisten finden sich nur wenig Franzosen, dagegen
häufig genug Mr. und Mdme. mit französischen Begleitworten. Deutsche
Elsässer aus den Reichslanden sind die würdigen Träger dieser Bezeichnungen,
denen sich nach dem Vorbilde der ungarischen Glaubensgenossen die elsässischen
Juden zugesellen. Daher hört man gerade in der stammverwandten Schweiz
von dem Mißerfolge der Verdeutschung Elsaß-Lothringens sprechen. Der
Deutsche muß hier wie dort auf dem gemeinschaftlichen alemannischen Boden
mit Gewalt zur Erkenntnis seines angestammten Volkstums gebracht werden,
wie auch im bajnvarischen Osterreich nur die nationale Not den deutschen
Michel aus seiner Gleichgiltigkeit aufgerüttelt hat.

Wenn auch die Presse leider nur selten der Ausdruck der thatsächlichen
öffentlichen Meinung ist, so muß man doch zugeben, daß die deutsch-schweize¬
rischen Zeitungen nur allzu getreu die Vernachlässigung der Muttersprache und
die Hochachtung vor der welschen Mundart wiederspiegeln, obschon ihr Deutsch
nicht schlechter als das traurige Zeitungsdeutsch im Reiche ist. Ein Züricher
Blatt, das sonst nicht ganz ohne nationale Anwandlungen ist, stellt die deutsch¬
nationale Bewegung des Altdeutschen Verbandes im Reiche zunächst mit dem
Antisemitismus auf eine Stufe und sieht der andauernden Verwelschung der
Schweiz ohne Schamgefühl zu. Es bedauert ausdrücklich, daß Hunzikers
Schrift, die Schweiz, die diesen Gegenstand wissenschaftlich und daher allzu
kühl behandelt, unter die Flugblätter des gedachten Vereins aufgenommen
ist. Hunziker stellt bloß Thatsachen der Sprache ohne politische Schlußfolge¬
rungen fest. Wir Deutschen sind dagegen wohl berechtigt, die systematische
Französirung der Schweiz politisch zu betrachten und die Haltung der obern
Stunde der deutschen Schweiz eindringlichst zu verurteilen. Der Deutsch¬
schweizer handelt einfach volksverräterisch, wenn er fortfährt, in dieser schmäh¬
lichen Weise sein Volkstum preiszugeben. Die reindeutsche Schweiz ist schon
jetzt zweisprachig, die französische Minderheit hat also den deutschen Grund-


Politische Reisebetrachtungen aus dem deutschen Süden

sicherungswesens nach deutschem Muster, aber auch auf dem Gebiete der Privat¬
unternehmung, ist tadellos und kein schlechtes Vorbild für den bisherigen
deutschen Lehrmeister.

Das barsche Wesen, um nicht zu sagen die Grobheit der Schweizer sticht
freilich von der sonstigen süddeutschen Lebensart ab; aber der Altbayer kann
sich an Rauheit in den Umgangsformen wohl mit dem alemannischen Schweizer
messen. Beide Pflegen eben eine etwas andre Art von Gemütlichkeit und ge¬
winnen dafür bei näherm Verkehr. Zuverlässigkeit und Treue sind Merkmale
ihres Wesens. Wir finden also überall noch die unverfälschten deutscheu Züge.
Denn in der Westschweiz ist die gewohnte französische Höflichkeit ebenso wenig
zu finden. Erst die Fremde schleift den Schweizer ab, wie man im Auslande
beobachten kann. Zum Schluß drängt sich uns eine Erscheinung auf, die dar¬
thut, daß das schwächliche Nationalgefühl freilich eine deutsche Eigentümlichkeit
ist. In den Schweizer Fremdenlisten finden sich nur wenig Franzosen, dagegen
häufig genug Mr. und Mdme. mit französischen Begleitworten. Deutsche
Elsässer aus den Reichslanden sind die würdigen Träger dieser Bezeichnungen,
denen sich nach dem Vorbilde der ungarischen Glaubensgenossen die elsässischen
Juden zugesellen. Daher hört man gerade in der stammverwandten Schweiz
von dem Mißerfolge der Verdeutschung Elsaß-Lothringens sprechen. Der
Deutsche muß hier wie dort auf dem gemeinschaftlichen alemannischen Boden
mit Gewalt zur Erkenntnis seines angestammten Volkstums gebracht werden,
wie auch im bajnvarischen Osterreich nur die nationale Not den deutschen
Michel aus seiner Gleichgiltigkeit aufgerüttelt hat.

Wenn auch die Presse leider nur selten der Ausdruck der thatsächlichen
öffentlichen Meinung ist, so muß man doch zugeben, daß die deutsch-schweize¬
rischen Zeitungen nur allzu getreu die Vernachlässigung der Muttersprache und
die Hochachtung vor der welschen Mundart wiederspiegeln, obschon ihr Deutsch
nicht schlechter als das traurige Zeitungsdeutsch im Reiche ist. Ein Züricher
Blatt, das sonst nicht ganz ohne nationale Anwandlungen ist, stellt die deutsch¬
nationale Bewegung des Altdeutschen Verbandes im Reiche zunächst mit dem
Antisemitismus auf eine Stufe und sieht der andauernden Verwelschung der
Schweiz ohne Schamgefühl zu. Es bedauert ausdrücklich, daß Hunzikers
Schrift, die Schweiz, die diesen Gegenstand wissenschaftlich und daher allzu
kühl behandelt, unter die Flugblätter des gedachten Vereins aufgenommen
ist. Hunziker stellt bloß Thatsachen der Sprache ohne politische Schlußfolge¬
rungen fest. Wir Deutschen sind dagegen wohl berechtigt, die systematische
Französirung der Schweiz politisch zu betrachten und die Haltung der obern
Stunde der deutschen Schweiz eindringlichst zu verurteilen. Der Deutsch¬
schweizer handelt einfach volksverräterisch, wenn er fortfährt, in dieser schmäh¬
lichen Weise sein Volkstum preiszugeben. Die reindeutsche Schweiz ist schon
jetzt zweisprachig, die französische Minderheit hat also den deutschen Grund-


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[0587] Politische Reisebetrachtungen aus dem deutschen Süden sicherungswesens nach deutschem Muster, aber auch auf dem Gebiete der Privat¬ unternehmung, ist tadellos und kein schlechtes Vorbild für den bisherigen deutschen Lehrmeister. Das barsche Wesen, um nicht zu sagen die Grobheit der Schweizer sticht freilich von der sonstigen süddeutschen Lebensart ab; aber der Altbayer kann sich an Rauheit in den Umgangsformen wohl mit dem alemannischen Schweizer messen. Beide Pflegen eben eine etwas andre Art von Gemütlichkeit und ge¬ winnen dafür bei näherm Verkehr. Zuverlässigkeit und Treue sind Merkmale ihres Wesens. Wir finden also überall noch die unverfälschten deutscheu Züge. Denn in der Westschweiz ist die gewohnte französische Höflichkeit ebenso wenig zu finden. Erst die Fremde schleift den Schweizer ab, wie man im Auslande beobachten kann. Zum Schluß drängt sich uns eine Erscheinung auf, die dar¬ thut, daß das schwächliche Nationalgefühl freilich eine deutsche Eigentümlichkeit ist. In den Schweizer Fremdenlisten finden sich nur wenig Franzosen, dagegen häufig genug Mr. und Mdme. mit französischen Begleitworten. Deutsche Elsässer aus den Reichslanden sind die würdigen Träger dieser Bezeichnungen, denen sich nach dem Vorbilde der ungarischen Glaubensgenossen die elsässischen Juden zugesellen. Daher hört man gerade in der stammverwandten Schweiz von dem Mißerfolge der Verdeutschung Elsaß-Lothringens sprechen. Der Deutsche muß hier wie dort auf dem gemeinschaftlichen alemannischen Boden mit Gewalt zur Erkenntnis seines angestammten Volkstums gebracht werden, wie auch im bajnvarischen Osterreich nur die nationale Not den deutschen Michel aus seiner Gleichgiltigkeit aufgerüttelt hat. Wenn auch die Presse leider nur selten der Ausdruck der thatsächlichen öffentlichen Meinung ist, so muß man doch zugeben, daß die deutsch-schweize¬ rischen Zeitungen nur allzu getreu die Vernachlässigung der Muttersprache und die Hochachtung vor der welschen Mundart wiederspiegeln, obschon ihr Deutsch nicht schlechter als das traurige Zeitungsdeutsch im Reiche ist. Ein Züricher Blatt, das sonst nicht ganz ohne nationale Anwandlungen ist, stellt die deutsch¬ nationale Bewegung des Altdeutschen Verbandes im Reiche zunächst mit dem Antisemitismus auf eine Stufe und sieht der andauernden Verwelschung der Schweiz ohne Schamgefühl zu. Es bedauert ausdrücklich, daß Hunzikers Schrift, die Schweiz, die diesen Gegenstand wissenschaftlich und daher allzu kühl behandelt, unter die Flugblätter des gedachten Vereins aufgenommen ist. Hunziker stellt bloß Thatsachen der Sprache ohne politische Schlußfolge¬ rungen fest. Wir Deutschen sind dagegen wohl berechtigt, die systematische Französirung der Schweiz politisch zu betrachten und die Haltung der obern Stunde der deutschen Schweiz eindringlichst zu verurteilen. Der Deutsch¬ schweizer handelt einfach volksverräterisch, wenn er fortfährt, in dieser schmäh¬ lichen Weise sein Volkstum preiszugeben. Die reindeutsche Schweiz ist schon jetzt zweisprachig, die französische Minderheit hat also den deutschen Grund-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/587>, abgerufen am 24.07.2024.