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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Die Deportationsfrage vor dem deutschen Juristentage in Posen

außer Verhältnis zu den Anlagekosten der Strafkolonie. Endlich, was das
Wichtigste ist, in der Strafkolonie und in den Ansiedlungsgebieten eröffnen
sich Absatzgebiete für unsre heimische Industrie. Thatsache ist, daß England
durch den Verkauf der Kronländereien und aus dem spätern Ertrage an direkten
Steuern und Zöllen das im australischen Kolonisationsgebiete aufgewandte
Kapital bald zurückgewonnen hatte.

Auf die Angaben Krohnes, daß die Kosten jedes Deportirten in Neu-
Kaledonien im Jahre ungefähr 2000 Franken betragen, ist in dieser Form gar
nichts zu geben. (Freund berechnet die Kosten nur auf 674 Franken.) Die
Behauptung Krohnes ist allerdings von einem Gegner der Deportation, Pro¬
fessor Prius in Brüssel, auf dem Pariser Gefängniskongresse aufgestellt worden.
Aber solange nicht feststeht, wie diese Summe entstanden ist, beweist die hohe
Zahl an sich gar nichts. Diese enorme Summe ist nicht etwa im Wesen der
Deportation begründet, sondern eingestandnermaßen auf die geradezu ver¬
schwenderische Ausstattung der kolonialen Gefängnisbeamten, auf verfehlte
Experimente und andre Mißgriffe der französischen Verwaltung zurückzuführen.

Was nun die Fluchtgefahr in den Kolonien anlangt, so ist zu berücksichtigen,
daß Deutsch-Südwestafrika außer einigen wenigen oasenähnlichen Ansiedlungen
infolge seines Wassermangels zur Zeit noch ein unwirkliches, wüstes Land ist. Bei
richtiger Wahl des Ortes erscheint daher die Flucht so gut wie ausgeschlossen;
denn sie wäre ohne Kenntnis des Landes und des Weges, ohne Lebensmittel so
gut wie aussichtslos; sie würde den Flüchtigen ins sichere Verderben führen; dem
Vaterlande erwächst aber auch hierdurch kein Schaden. Eine Verfolgung wäre
daher kaum zu empfehlen. Zu dem Kapitel "Flucht der Sträflinge" will ich
auch hier noch einmal auf die durch die Erfahrung bestätigte Thatsache hin¬
weisen, daß schon die Zuchthansinsassen in der Regel lieber in ihren Anstalten
bleiben, als daß sie sich freiwillig in die Freiheit begeben, wo ihnen ein
schwerer Kampf ums Dasein bevorsteht. Nicht selten begehen sie nach ihrer
Entlassung von neuem Verbrechen, um wieder sorgenfreie Unterkunft im Zucht¬
hause zu finden. Um wieviel weniger wird sich der nach Südwestafrika
deportirte Sträfling, der seine Strafe in freier Luft verbüßt und die sichere
Aussicht hat, bei ordentlicher Führung einmal zu ökonomischer Selbständigkeit
zu gelangen, durch die Flucht in die Wildnis einer höchst zweifelhaften Zukunft
aussetzen.

Für den Fall der Ansiedlung von Deportirten als selbständige Landeigen¬
tümer ist selbstverständlich die Fluchtgefahr nicht mehr zu besorgen. Aber auch
der Sträfling auf der Straffarm wird, solange seine Behandlung menschlich
ist -- und das muß sie sein, denn Grausamkeit entehrt den strafvollstreckenden
Staat --, den Aufenthalt in der Straffarm oder bei einem Landeigentümer,
dem er zur Beschäftigung überwiesen ist, und wo er regelmäßig Kost, Kleidung
und Obdach erhält, dem Leben eines Flüchtigen in den zum großen Teil noch
wüstliegenden Steppen Südwestafrikas vorziehen. Endlich werden drakonische


Die Deportationsfrage vor dem deutschen Juristentage in Posen

außer Verhältnis zu den Anlagekosten der Strafkolonie. Endlich, was das
Wichtigste ist, in der Strafkolonie und in den Ansiedlungsgebieten eröffnen
sich Absatzgebiete für unsre heimische Industrie. Thatsache ist, daß England
durch den Verkauf der Kronländereien und aus dem spätern Ertrage an direkten
Steuern und Zöllen das im australischen Kolonisationsgebiete aufgewandte
Kapital bald zurückgewonnen hatte.

Auf die Angaben Krohnes, daß die Kosten jedes Deportirten in Neu-
Kaledonien im Jahre ungefähr 2000 Franken betragen, ist in dieser Form gar
nichts zu geben. (Freund berechnet die Kosten nur auf 674 Franken.) Die
Behauptung Krohnes ist allerdings von einem Gegner der Deportation, Pro¬
fessor Prius in Brüssel, auf dem Pariser Gefängniskongresse aufgestellt worden.
Aber solange nicht feststeht, wie diese Summe entstanden ist, beweist die hohe
Zahl an sich gar nichts. Diese enorme Summe ist nicht etwa im Wesen der
Deportation begründet, sondern eingestandnermaßen auf die geradezu ver¬
schwenderische Ausstattung der kolonialen Gefängnisbeamten, auf verfehlte
Experimente und andre Mißgriffe der französischen Verwaltung zurückzuführen.

Was nun die Fluchtgefahr in den Kolonien anlangt, so ist zu berücksichtigen,
daß Deutsch-Südwestafrika außer einigen wenigen oasenähnlichen Ansiedlungen
infolge seines Wassermangels zur Zeit noch ein unwirkliches, wüstes Land ist. Bei
richtiger Wahl des Ortes erscheint daher die Flucht so gut wie ausgeschlossen;
denn sie wäre ohne Kenntnis des Landes und des Weges, ohne Lebensmittel so
gut wie aussichtslos; sie würde den Flüchtigen ins sichere Verderben führen; dem
Vaterlande erwächst aber auch hierdurch kein Schaden. Eine Verfolgung wäre
daher kaum zu empfehlen. Zu dem Kapitel „Flucht der Sträflinge" will ich
auch hier noch einmal auf die durch die Erfahrung bestätigte Thatsache hin¬
weisen, daß schon die Zuchthansinsassen in der Regel lieber in ihren Anstalten
bleiben, als daß sie sich freiwillig in die Freiheit begeben, wo ihnen ein
schwerer Kampf ums Dasein bevorsteht. Nicht selten begehen sie nach ihrer
Entlassung von neuem Verbrechen, um wieder sorgenfreie Unterkunft im Zucht¬
hause zu finden. Um wieviel weniger wird sich der nach Südwestafrika
deportirte Sträfling, der seine Strafe in freier Luft verbüßt und die sichere
Aussicht hat, bei ordentlicher Führung einmal zu ökonomischer Selbständigkeit
zu gelangen, durch die Flucht in die Wildnis einer höchst zweifelhaften Zukunft
aussetzen.

Für den Fall der Ansiedlung von Deportirten als selbständige Landeigen¬
tümer ist selbstverständlich die Fluchtgefahr nicht mehr zu besorgen. Aber auch
der Sträfling auf der Straffarm wird, solange seine Behandlung menschlich
ist — und das muß sie sein, denn Grausamkeit entehrt den strafvollstreckenden
Staat —, den Aufenthalt in der Straffarm oder bei einem Landeigentümer,
dem er zur Beschäftigung überwiesen ist, und wo er regelmäßig Kost, Kleidung
und Obdach erhält, dem Leben eines Flüchtigen in den zum großen Teil noch
wüstliegenden Steppen Südwestafrikas vorziehen. Endlich werden drakonische


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[0575] Die Deportationsfrage vor dem deutschen Juristentage in Posen außer Verhältnis zu den Anlagekosten der Strafkolonie. Endlich, was das Wichtigste ist, in der Strafkolonie und in den Ansiedlungsgebieten eröffnen sich Absatzgebiete für unsre heimische Industrie. Thatsache ist, daß England durch den Verkauf der Kronländereien und aus dem spätern Ertrage an direkten Steuern und Zöllen das im australischen Kolonisationsgebiete aufgewandte Kapital bald zurückgewonnen hatte. Auf die Angaben Krohnes, daß die Kosten jedes Deportirten in Neu- Kaledonien im Jahre ungefähr 2000 Franken betragen, ist in dieser Form gar nichts zu geben. (Freund berechnet die Kosten nur auf 674 Franken.) Die Behauptung Krohnes ist allerdings von einem Gegner der Deportation, Pro¬ fessor Prius in Brüssel, auf dem Pariser Gefängniskongresse aufgestellt worden. Aber solange nicht feststeht, wie diese Summe entstanden ist, beweist die hohe Zahl an sich gar nichts. Diese enorme Summe ist nicht etwa im Wesen der Deportation begründet, sondern eingestandnermaßen auf die geradezu ver¬ schwenderische Ausstattung der kolonialen Gefängnisbeamten, auf verfehlte Experimente und andre Mißgriffe der französischen Verwaltung zurückzuführen. Was nun die Fluchtgefahr in den Kolonien anlangt, so ist zu berücksichtigen, daß Deutsch-Südwestafrika außer einigen wenigen oasenähnlichen Ansiedlungen infolge seines Wassermangels zur Zeit noch ein unwirkliches, wüstes Land ist. Bei richtiger Wahl des Ortes erscheint daher die Flucht so gut wie ausgeschlossen; denn sie wäre ohne Kenntnis des Landes und des Weges, ohne Lebensmittel so gut wie aussichtslos; sie würde den Flüchtigen ins sichere Verderben führen; dem Vaterlande erwächst aber auch hierdurch kein Schaden. Eine Verfolgung wäre daher kaum zu empfehlen. Zu dem Kapitel „Flucht der Sträflinge" will ich auch hier noch einmal auf die durch die Erfahrung bestätigte Thatsache hin¬ weisen, daß schon die Zuchthansinsassen in der Regel lieber in ihren Anstalten bleiben, als daß sie sich freiwillig in die Freiheit begeben, wo ihnen ein schwerer Kampf ums Dasein bevorsteht. Nicht selten begehen sie nach ihrer Entlassung von neuem Verbrechen, um wieder sorgenfreie Unterkunft im Zucht¬ hause zu finden. Um wieviel weniger wird sich der nach Südwestafrika deportirte Sträfling, der seine Strafe in freier Luft verbüßt und die sichere Aussicht hat, bei ordentlicher Führung einmal zu ökonomischer Selbständigkeit zu gelangen, durch die Flucht in die Wildnis einer höchst zweifelhaften Zukunft aussetzen. Für den Fall der Ansiedlung von Deportirten als selbständige Landeigen¬ tümer ist selbstverständlich die Fluchtgefahr nicht mehr zu besorgen. Aber auch der Sträfling auf der Straffarm wird, solange seine Behandlung menschlich ist — und das muß sie sein, denn Grausamkeit entehrt den strafvollstreckenden Staat —, den Aufenthalt in der Straffarm oder bei einem Landeigentümer, dem er zur Beschäftigung überwiesen ist, und wo er regelmäßig Kost, Kleidung und Obdach erhält, dem Leben eines Flüchtigen in den zum großen Teil noch wüstliegenden Steppen Südwestafrikas vorziehen. Endlich werden drakonische

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/575>, abgerufen am 24.07.2024.