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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches
Faschoda.

Frauwich hat also dem englischen Ersuchen nachgegeben und
Faschoda geräumt. Die Engländer freuen sich dieses Erfolges. Sie rüsten aber
fortwährend, und auch die Franzosen wenden ihrer Kriegsbereitschaft zur See eine
gesteigerte Aufmerksamkeit zu. Beide versichern, wie gewöhnlich, ihre Friedensliebe.
Daß Frankreich gegenwärtig nicht losschlagen will, oder richtiger gesagt, nicht los¬
schlagen kann, ist zweifellos, denn die Dreyfnssache lahmt offenbar jede Thätigkeit
der höhern Führer im französischen Heere. Wie soll Frankreich einen Krieg fuhren,
sei es auch nur mit England, wenn, wie augenblicklich, ein großer Teil der Gene¬
ralität und des Generalstabs in eine Untersuchung verwickelt ist, deren Ausgang
vorerst nicht abgesehen werden kann? Frankreich würde bei feinem leicht erreg¬
baren Nntionalstolz sicher nicht so ohne jede Entschädigung den Engländern gewichen
sein, wenn seine Landheere imstande wäre", Krieg zu führen ohne höhere Führer --
und die sind eben jetzt durch die Drcyfusuntersuchung vollauf in Anspruch ge¬
nommen. Frankreich würde umso weniger Ursache gehabt haben, vor England die
Nagge in Afrika zu streichen, als ihm ein ganz ähnlicher Plan, wie ihn England
letzt in Afrika durchzuführen strebt, vor mehr als zweihundert Jahren in Nord¬
amerika scheiterte, was den Engländern zu gute kam. Colbert der bcruhnite Mi¬
nister Ludwias XIV hatte auf Grund der Entdeckungsreisen französischer ^esuiten
und Offiziere am Mississippi in den Jahren 1670 bis 1672 das Gebiet an der
Mündung dieses Fin ses besetzen lassen und zu Ehren seines Königs Loms ana
genannt. Er äßte nun den großartigen Plan, ein französisches Kolonialreich vom
Golf von Mexiko, am Mississippi entlang bis nach Kanada zu gründen Aber man
stellte ans dieser ganzen Strecke nur Militärposteil auf und versäumte e-, eigentliche
Ansiedlungen zu gründen. So scheiterten diese Pläne, zumal da sich die ^ra..zoseu
V°n der Intoleranz gegen Andersgläubige nicht lossagen konnten; deshalb fiel das
ö""ze Gebiet nach und "ach in englische Hände. Die Engländer denen man gewiß die
Fähigkeit. Kolonien anzulegen. nicht abstreiten kann, haben offenbar in A rika ähn¬
liche Pläne. Von Ägypten aus nilaufwcirts und vom Kapland aus "ach Norden
!°it ein zusammenhängendes englisches Gebiet geschaffen werden. Deshalb war
ihnen eine Ansiedlung der Franzose" in Faschoda am Nil ein Hindernis; auch
waren sie nicht in der Lage, den Franzosen ein andres Gebiet am Nil zu über¬
lassen, denn dadurch würde die Verbindung mit Südafrika in unliebsamer Äbeise
unterbrochen. Gelingt es den Engländern, auch noch das portugiesische Gebiet und
der Delagoabai zu erlangen, dann haben sie ihren Zweck erreicht und sind in
der Lage, bei allen Kolonisationsbestrebnngen der übrigen europäischen Staaten in
Afrika ein entscheidendes Wort zu reden. Englaud besitzt seit dem Friede.! von
Utrecht 1712 Gibraltar. Malta gehört England, und auf Kreta hat es da
nun der griechische Prinz Georg wirklich Gouverneur geworden ist, vor allen
europäischen Mächten gewiß die Hanptstim.ne. Gelingt es ihm nun auch in
AghPteii feste" Fuß zu fassen, so beherrscht es den Suezkanal und ist im Besitz des
ganzen Mittelländischen Meeres nebst dessen Eingang und Ausgang. ^ußlands
Rotte ans dem Schwarzen Meere kann ihm nicht gefährlich werden. Nur eine
Vereinigung von Rußland, der Türkei, von Griechenland. Osterreich, Italien und
Frankreich wäre in der Lage, deu Kampf mit der englischen Mittelmeerflotte auf¬
zunehmen, vielleicht auch schon Nußland und Frankreich. Ich habe in einer rhei-


Maßgebliches und Unmaßgebliches
Faschoda.

Frauwich hat also dem englischen Ersuchen nachgegeben und
Faschoda geräumt. Die Engländer freuen sich dieses Erfolges. Sie rüsten aber
fortwährend, und auch die Franzosen wenden ihrer Kriegsbereitschaft zur See eine
gesteigerte Aufmerksamkeit zu. Beide versichern, wie gewöhnlich, ihre Friedensliebe.
Daß Frankreich gegenwärtig nicht losschlagen will, oder richtiger gesagt, nicht los¬
schlagen kann, ist zweifellos, denn die Dreyfnssache lahmt offenbar jede Thätigkeit
der höhern Führer im französischen Heere. Wie soll Frankreich einen Krieg fuhren,
sei es auch nur mit England, wenn, wie augenblicklich, ein großer Teil der Gene¬
ralität und des Generalstabs in eine Untersuchung verwickelt ist, deren Ausgang
vorerst nicht abgesehen werden kann? Frankreich würde bei feinem leicht erreg¬
baren Nntionalstolz sicher nicht so ohne jede Entschädigung den Engländern gewichen
sein, wenn seine Landheere imstande wäre», Krieg zu führen ohne höhere Führer —
und die sind eben jetzt durch die Drcyfusuntersuchung vollauf in Anspruch ge¬
nommen. Frankreich würde umso weniger Ursache gehabt haben, vor England die
Nagge in Afrika zu streichen, als ihm ein ganz ähnlicher Plan, wie ihn England
letzt in Afrika durchzuführen strebt, vor mehr als zweihundert Jahren in Nord¬
amerika scheiterte, was den Engländern zu gute kam. Colbert der bcruhnite Mi¬
nister Ludwias XIV hatte auf Grund der Entdeckungsreisen französischer ^esuiten
und Offiziere am Mississippi in den Jahren 1670 bis 1672 das Gebiet an der
Mündung dieses Fin ses besetzen lassen und zu Ehren seines Königs Loms ana
genannt. Er äßte nun den großartigen Plan, ein französisches Kolonialreich vom
Golf von Mexiko, am Mississippi entlang bis nach Kanada zu gründen Aber man
stellte ans dieser ganzen Strecke nur Militärposteil auf und versäumte e-, eigentliche
Ansiedlungen zu gründen. So scheiterten diese Pläne, zumal da sich die ^ra..zoseu
V°n der Intoleranz gegen Andersgläubige nicht lossagen konnten; deshalb fiel das
ö""ze Gebiet nach und »ach in englische Hände. Die Engländer denen man gewiß die
Fähigkeit. Kolonien anzulegen. nicht abstreiten kann, haben offenbar in A rika ähn¬
liche Pläne. Von Ägypten aus nilaufwcirts und vom Kapland aus „ach Norden
!°it ein zusammenhängendes englisches Gebiet geschaffen werden. Deshalb war
ihnen eine Ansiedlung der Franzose» in Faschoda am Nil ein Hindernis; auch
waren sie nicht in der Lage, den Franzosen ein andres Gebiet am Nil zu über¬
lassen, denn dadurch würde die Verbindung mit Südafrika in unliebsamer Äbeise
unterbrochen. Gelingt es den Engländern, auch noch das portugiesische Gebiet und
der Delagoabai zu erlangen, dann haben sie ihren Zweck erreicht und sind in
der Lage, bei allen Kolonisationsbestrebnngen der übrigen europäischen Staaten in
Afrika ein entscheidendes Wort zu reden. Englaud besitzt seit dem Friede.! von
Utrecht 1712 Gibraltar. Malta gehört England, und auf Kreta hat es da
nun der griechische Prinz Georg wirklich Gouverneur geworden ist, vor allen
europäischen Mächten gewiß die Hanptstim.ne. Gelingt es ihm nun auch in
AghPteii feste» Fuß zu fassen, so beherrscht es den Suezkanal und ist im Besitz des
ganzen Mittelländischen Meeres nebst dessen Eingang und Ausgang. ^ußlands
Rotte ans dem Schwarzen Meere kann ihm nicht gefährlich werden. Nur eine
Vereinigung von Rußland, der Türkei, von Griechenland. Osterreich, Italien und
Frankreich wäre in der Lage, deu Kampf mit der englischen Mittelmeerflotte auf¬
zunehmen, vielleicht auch schon Nußland und Frankreich. Ich habe in einer rhei-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/558>, abgerufen am 12.12.2024.