Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.Märchenhafte Romane reichenden Stoff dazu geben. Zumal in diesem Jahre, wo sowohl in Berlin Märchenhafte Romane s ist Märchenhafte Romane reichenden Stoff dazu geben. Zumal in diesem Jahre, wo sowohl in Berlin Märchenhafte Romane s ist <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0054" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/229002"/> <fw type="header" place="top"> Märchenhafte Romane</fw><lb/> <p xml:id="ID_105" prev="#ID_104"> reichenden Stoff dazu geben. Zumal in diesem Jahre, wo sowohl in Berlin<lb/> als in München eine große Erschlaffung im Wettkampf um die Vorherrschaft<lb/> in der Kunst oder doch im Kunstausstelluugswesen Deutschlands eingetreten<lb/> ist. Wir haben es darum vorgezogen, in dieser Charakteristik der Berliner<lb/> Kunstausstellung mehr den Nachdruck auf hoffnungsvolle und entwicklungs¬<lb/> fähige Keime als auf Zeichen des Verfalls zu legen, die, wie wir noch hoffen<lb/> wollen, vielleicht trügerisch sind.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> <div n="1"> <head> Märchenhafte Romane</head><lb/> <p xml:id="ID_106"> s ist<lb/> eine Halbgattung, das weiß ich wohl, aber ich habe dafür<lb/> eine ganz besondre Vorliebe, und da ich nicht Professor der<lb/> Litteraturgeschichte bin, so kann ich sie verantworten. Das ist<lb/> aber so gekommen. Ich habe immer sehr viele Romane gelesen,<lb/> wir sollen ja darin das Leben, das uns umgiebt, wiederfinden<lb/> und verstehen lernen. Im Leben ist aber vieles nicht so, wie wir es wünschen,<lb/> und gar vieles ist auch persönlich dem einen und dem andern von uns quer<lb/> gegangen; man denkt darum lieber nicht daran und spinnt mit seinen Gedanken<lb/> einen andern Faden weiter. Läßt man sich nun von der Erzählung eines<lb/> Romans leise und behaglich weiter treiben, plötzlich rennt man an eine<lb/> fatale Erinnerung, an einen Stein, eine Klippe, die unmittelbar vom Leben<lb/> hereinragt und uns den Weg verlegt, die Mechanik unsrer Gedanken ist auf<lb/> einen toten Punkt geraten, und wenn das noch öfter geschieht, möchte man den<lb/> Roman am liebsten wegwerfen, oder man liest ihn nur mit Überwindung aus<lb/> einer Art Pflichtgefühl weiter. Das ist im Märchen und in der phantastischen<lb/> Erzählung anders. Wir werden gerade so fest gehalten, wenn die Darstellung<lb/> gut ist, als wenn sichs um ganz wirkliche Dinge handelte, aber wir sehen nicht<lb/> in alle Winkel und stoßen uns nicht an jeder Ecke; es ist, als stünden wir<lb/> den Gegenständen etwas ferner, sodaß wir nicht alles sehen, und namentlich<lb/> nicht das Unangenehme. Auch das Triebwerk sehen wir nicht, nur den Effekt,<lb/> die Erscheinung, und die Gesetze des Handelns sind nicht völlig die unsers<lb/> Lebens. Und anstatt uns unsanft ins Leben hineinzustoßen, giebt diese künst¬<lb/> lich dichtende Erzählung unserm kritischen Verstände Rätsel auf, prüft die<lb/> Stärke unsers Glaubens und entläßt uns mit Bildern, die uns beim Weiter¬<lb/> gehen wie farbige Reflexe noch eine Weile unterhalten können. Gern suche<lb/> ich mir vorab aus einem Haufen neuer Romane einige heraus, die ihrem Titel<lb/> nach etwa dieses zu leisten versprechen, und die Schlußabrechnung zwischen<lb/> Hoffnung und Erfüllung gewährt mir immer außerdem noch ein Vergnügen.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0054]
Märchenhafte Romane
reichenden Stoff dazu geben. Zumal in diesem Jahre, wo sowohl in Berlin
als in München eine große Erschlaffung im Wettkampf um die Vorherrschaft
in der Kunst oder doch im Kunstausstelluugswesen Deutschlands eingetreten
ist. Wir haben es darum vorgezogen, in dieser Charakteristik der Berliner
Kunstausstellung mehr den Nachdruck auf hoffnungsvolle und entwicklungs¬
fähige Keime als auf Zeichen des Verfalls zu legen, die, wie wir noch hoffen
wollen, vielleicht trügerisch sind.
Märchenhafte Romane
s ist
eine Halbgattung, das weiß ich wohl, aber ich habe dafür
eine ganz besondre Vorliebe, und da ich nicht Professor der
Litteraturgeschichte bin, so kann ich sie verantworten. Das ist
aber so gekommen. Ich habe immer sehr viele Romane gelesen,
wir sollen ja darin das Leben, das uns umgiebt, wiederfinden
und verstehen lernen. Im Leben ist aber vieles nicht so, wie wir es wünschen,
und gar vieles ist auch persönlich dem einen und dem andern von uns quer
gegangen; man denkt darum lieber nicht daran und spinnt mit seinen Gedanken
einen andern Faden weiter. Läßt man sich nun von der Erzählung eines
Romans leise und behaglich weiter treiben, plötzlich rennt man an eine
fatale Erinnerung, an einen Stein, eine Klippe, die unmittelbar vom Leben
hereinragt und uns den Weg verlegt, die Mechanik unsrer Gedanken ist auf
einen toten Punkt geraten, und wenn das noch öfter geschieht, möchte man den
Roman am liebsten wegwerfen, oder man liest ihn nur mit Überwindung aus
einer Art Pflichtgefühl weiter. Das ist im Märchen und in der phantastischen
Erzählung anders. Wir werden gerade so fest gehalten, wenn die Darstellung
gut ist, als wenn sichs um ganz wirkliche Dinge handelte, aber wir sehen nicht
in alle Winkel und stoßen uns nicht an jeder Ecke; es ist, als stünden wir
den Gegenständen etwas ferner, sodaß wir nicht alles sehen, und namentlich
nicht das Unangenehme. Auch das Triebwerk sehen wir nicht, nur den Effekt,
die Erscheinung, und die Gesetze des Handelns sind nicht völlig die unsers
Lebens. Und anstatt uns unsanft ins Leben hineinzustoßen, giebt diese künst¬
lich dichtende Erzählung unserm kritischen Verstände Rätsel auf, prüft die
Stärke unsers Glaubens und entläßt uns mit Bildern, die uns beim Weiter¬
gehen wie farbige Reflexe noch eine Weile unterhalten können. Gern suche
ich mir vorab aus einem Haufen neuer Romane einige heraus, die ihrem Titel
nach etwa dieses zu leisten versprechen, und die Schlußabrechnung zwischen
Hoffnung und Erfüllung gewährt mir immer außerdem noch ein Vergnügen.
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