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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Hundert Jahre Tandwirtschaft in Deutschland

Herrlichkeit eines Staates ist, fährt mit einem unbehaglichen Gefühle durch
die schimmernden adlichen Herrensitze hin, die aus zerstörten Vauerdörfern
aufgeführt sind, und auf welchen Haufen wandernder Tagelöhner und Lohn-
knechte in kümmerlichen Kater zusammengepreßt wohnen. Auch wird er nicht
geblendet durch den vergänglichen Glanz und Reichtum, den Fabriken geben,
die auf gewisse Weise immer einen Teil des Menschengeschlechts leiblich und
geistig verderben. . . . O schönes Land meiner Heimat, wer wird die zerstörten
Bauern in dir wieder schaffen, woher soll dir der Wiederhersteller kommen? . . .
Die Länder, wo wenige Menschen im Besitz ungeheurer Reichtümer endlich fast
alle Grundstücke ihr Eigentum und fast alle Landbewohner ihre Pächter, Tage¬
löhner und Knechte nennen, und auch die, wo eine übertriebne Verteilung und
Zerstücklung der Hufen herrscht, mangeln des tapfern, gediegnen Kerns eines
Volkes und werden auf die Länge nicht würdig und glorreich bestehen können.
Daß bei Fabriken, daß in großen Städten eine Menge elender, unruhiger,
hungriger Menschen, daß diese gefährliche Brut, die Pöbel heißen muß, da
entsteht, läßt sich nicht wenden. Das sind die unvermeidlichen Krebsschäden
und Auswüchse der wachsenden Bildung und Verfeinerung des Menschen¬
geschlechts. . . . Aber, aber -- wenn wir auch auf dem Lande mit der allgemeinen
zerstückelnden Freiheit so fortgehen, wie es sich anläßt, so wird bei der durch
die Zerstücklung in Gütchen und Höfchen bis auf zwei, ja bis auf einen Morgen
Land und noch tiefer vermehrten Zeugung und bei der Unmöglichkeit, den
Menschen Arbeit und Gewinn zu verschaffen, in einigen Menschenaltern auch
der Landpöbel vollendet dastehen, ein hungriges, unruhiges, sittenloses Ge¬
sinde!. Wenn wir auf solche Weise den doppelten Pöbel fertig haben werden,
wird von einem Rechtsstaat kaum noch die Rede sein können- China wird
fertig sein, Despotismus und Knechtschaft an den beiden Enden der Gesellschaft,
der Schrecken drohende Stock des Schergen für das Milde und Gnade winkende
Szepter des Königs. Solche Menschen können nicht mehr durch die Liebe
Und die Gerechtigkeit regiert werden, sondern Furcht und Schrecken allein
können die reißenden Tiere bändigen."

Die Leser mögen selbst darüber nachdenken, wie weit Arndts Prophezeiung
in Erfüllung gegangen ist, und wie weit nicht. Hier soll nur bemerkt werden,
daß 1848 vollendet hat, was in den Jahren 1807 bis 1811 begonnen worden
war, und daß in Schlesien wenigstens der Bauernstand nicht vernichtet,
sondern gehoben worden ist, Im vorigen Jahrhundert war der Bauer auch
in Schlesien ein Knecht, der geprügelt werden konnte. Zu einem gewissen
Wohlstande brachte er es trotzdem, wie die goldgestickten Kappen der Bauer¬
frauen und sonstiger Schmuck bewiesen. In den dreißiger Jahren unsers Jahr¬
hunderts wurde er in der Stadt noch als ein grober Tölpel belächelt und
verachtet; forderte er im Laden ein feines Tuch zum Rocke, so meinte der
Kanfmcinn spöttisch, das werde ihm wohl zu teuer sein. Heut ist er ein ge-


Hundert Jahre Tandwirtschaft in Deutschland

Herrlichkeit eines Staates ist, fährt mit einem unbehaglichen Gefühle durch
die schimmernden adlichen Herrensitze hin, die aus zerstörten Vauerdörfern
aufgeführt sind, und auf welchen Haufen wandernder Tagelöhner und Lohn-
knechte in kümmerlichen Kater zusammengepreßt wohnen. Auch wird er nicht
geblendet durch den vergänglichen Glanz und Reichtum, den Fabriken geben,
die auf gewisse Weise immer einen Teil des Menschengeschlechts leiblich und
geistig verderben. . . . O schönes Land meiner Heimat, wer wird die zerstörten
Bauern in dir wieder schaffen, woher soll dir der Wiederhersteller kommen? . . .
Die Länder, wo wenige Menschen im Besitz ungeheurer Reichtümer endlich fast
alle Grundstücke ihr Eigentum und fast alle Landbewohner ihre Pächter, Tage¬
löhner und Knechte nennen, und auch die, wo eine übertriebne Verteilung und
Zerstücklung der Hufen herrscht, mangeln des tapfern, gediegnen Kerns eines
Volkes und werden auf die Länge nicht würdig und glorreich bestehen können.
Daß bei Fabriken, daß in großen Städten eine Menge elender, unruhiger,
hungriger Menschen, daß diese gefährliche Brut, die Pöbel heißen muß, da
entsteht, läßt sich nicht wenden. Das sind die unvermeidlichen Krebsschäden
und Auswüchse der wachsenden Bildung und Verfeinerung des Menschen¬
geschlechts. . . . Aber, aber — wenn wir auch auf dem Lande mit der allgemeinen
zerstückelnden Freiheit so fortgehen, wie es sich anläßt, so wird bei der durch
die Zerstücklung in Gütchen und Höfchen bis auf zwei, ja bis auf einen Morgen
Land und noch tiefer vermehrten Zeugung und bei der Unmöglichkeit, den
Menschen Arbeit und Gewinn zu verschaffen, in einigen Menschenaltern auch
der Landpöbel vollendet dastehen, ein hungriges, unruhiges, sittenloses Ge¬
sinde!. Wenn wir auf solche Weise den doppelten Pöbel fertig haben werden,
wird von einem Rechtsstaat kaum noch die Rede sein können- China wird
fertig sein, Despotismus und Knechtschaft an den beiden Enden der Gesellschaft,
der Schrecken drohende Stock des Schergen für das Milde und Gnade winkende
Szepter des Königs. Solche Menschen können nicht mehr durch die Liebe
Und die Gerechtigkeit regiert werden, sondern Furcht und Schrecken allein
können die reißenden Tiere bändigen."

Die Leser mögen selbst darüber nachdenken, wie weit Arndts Prophezeiung
in Erfüllung gegangen ist, und wie weit nicht. Hier soll nur bemerkt werden,
daß 1848 vollendet hat, was in den Jahren 1807 bis 1811 begonnen worden
war, und daß in Schlesien wenigstens der Bauernstand nicht vernichtet,
sondern gehoben worden ist, Im vorigen Jahrhundert war der Bauer auch
in Schlesien ein Knecht, der geprügelt werden konnte. Zu einem gewissen
Wohlstande brachte er es trotzdem, wie die goldgestickten Kappen der Bauer¬
frauen und sonstiger Schmuck bewiesen. In den dreißiger Jahren unsers Jahr¬
hunderts wurde er in der Stadt noch als ein grober Tölpel belächelt und
verachtet; forderte er im Laden ein feines Tuch zum Rocke, so meinte der
Kanfmcinn spöttisch, das werde ihm wohl zu teuer sein. Heut ist er ein ge-


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[0533] Hundert Jahre Tandwirtschaft in Deutschland Herrlichkeit eines Staates ist, fährt mit einem unbehaglichen Gefühle durch die schimmernden adlichen Herrensitze hin, die aus zerstörten Vauerdörfern aufgeführt sind, und auf welchen Haufen wandernder Tagelöhner und Lohn- knechte in kümmerlichen Kater zusammengepreßt wohnen. Auch wird er nicht geblendet durch den vergänglichen Glanz und Reichtum, den Fabriken geben, die auf gewisse Weise immer einen Teil des Menschengeschlechts leiblich und geistig verderben. . . . O schönes Land meiner Heimat, wer wird die zerstörten Bauern in dir wieder schaffen, woher soll dir der Wiederhersteller kommen? . . . Die Länder, wo wenige Menschen im Besitz ungeheurer Reichtümer endlich fast alle Grundstücke ihr Eigentum und fast alle Landbewohner ihre Pächter, Tage¬ löhner und Knechte nennen, und auch die, wo eine übertriebne Verteilung und Zerstücklung der Hufen herrscht, mangeln des tapfern, gediegnen Kerns eines Volkes und werden auf die Länge nicht würdig und glorreich bestehen können. Daß bei Fabriken, daß in großen Städten eine Menge elender, unruhiger, hungriger Menschen, daß diese gefährliche Brut, die Pöbel heißen muß, da entsteht, läßt sich nicht wenden. Das sind die unvermeidlichen Krebsschäden und Auswüchse der wachsenden Bildung und Verfeinerung des Menschen¬ geschlechts. . . . Aber, aber — wenn wir auch auf dem Lande mit der allgemeinen zerstückelnden Freiheit so fortgehen, wie es sich anläßt, so wird bei der durch die Zerstücklung in Gütchen und Höfchen bis auf zwei, ja bis auf einen Morgen Land und noch tiefer vermehrten Zeugung und bei der Unmöglichkeit, den Menschen Arbeit und Gewinn zu verschaffen, in einigen Menschenaltern auch der Landpöbel vollendet dastehen, ein hungriges, unruhiges, sittenloses Ge¬ sinde!. Wenn wir auf solche Weise den doppelten Pöbel fertig haben werden, wird von einem Rechtsstaat kaum noch die Rede sein können- China wird fertig sein, Despotismus und Knechtschaft an den beiden Enden der Gesellschaft, der Schrecken drohende Stock des Schergen für das Milde und Gnade winkende Szepter des Königs. Solche Menschen können nicht mehr durch die Liebe Und die Gerechtigkeit regiert werden, sondern Furcht und Schrecken allein können die reißenden Tiere bändigen." Die Leser mögen selbst darüber nachdenken, wie weit Arndts Prophezeiung in Erfüllung gegangen ist, und wie weit nicht. Hier soll nur bemerkt werden, daß 1848 vollendet hat, was in den Jahren 1807 bis 1811 begonnen worden war, und daß in Schlesien wenigstens der Bauernstand nicht vernichtet, sondern gehoben worden ist, Im vorigen Jahrhundert war der Bauer auch in Schlesien ein Knecht, der geprügelt werden konnte. Zu einem gewissen Wohlstande brachte er es trotzdem, wie die goldgestickten Kappen der Bauer¬ frauen und sonstiger Schmuck bewiesen. In den dreißiger Jahren unsers Jahr¬ hunderts wurde er in der Stadt noch als ein grober Tölpel belächelt und verachtet; forderte er im Laden ein feines Tuch zum Rocke, so meinte der Kanfmcinn spöttisch, das werde ihm wohl zu teuer sein. Heut ist er ein ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/533>, abgerufen am 24.07.2024.