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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Hundert Jahre Landwirtschaft in Deutschland

der Stadt aus klug gemacht worden, und seine sogenannte Arbeit sei nur noch
Zeitverderb gewesen; habe er z. B. auf einem zweispünnigen Wagen Dünger
fahren sollen, so habe er nicht mehr darauf geladen, als ein einzelner Mann
auf einem Schiebkarren fortbringt. In der Stadt habe er nicht bloß bei
Winkelratgebern und Aufwieglern, sondern sogar bei Gericht Hilfe gefunden,
"weil die größte Anzahl der Richter mit der Landwirtschaft und der Drei-
härigkeit, Harthörigkeit und Dickfelligkeit der Bauern zu unbekannt waren."
In den entlegnen Gegenden aber seien die Leute noch willig gewesen und
hätten daher die Roboten noch ihren Wert gehabt.

Ein Herr von der Marwitz, den Meyer anführt -- wohl derselbe, der
wegen des von Boyen so scharf kritisirten Protestes gegen die Bauernbefreiung
ein paar Wochen auf Festung mußte --, ist ein wahrer Unglücksrabe. Er sieht
in seinen Abhandlungen und Denkschriften von 1811, 1812, 1823 und 1836
nicht allein die Edelleute, sondern auch die Bauern zu Grunde gehen. Wie
der Handwerksmeister, und nicht der Geselle, der eigentliche Produzent der
Gewerbeerzeugnisse sei, so sei auch der Gutsbesitzer, dem das Land gehöre,
und nicht der Bauer, sein Knecht, durch den er das Land beackern lasse, der
Getreideprodnzent. So wenig die Gesellen und Ladendiener einen besondern
Stand ausmachen könnten, so wenig könnten es die Bauern. Stunde dieser
richtige märkische Junker aus dem Grabe auf, so würde er zu seinem Erstaunen
hören, wie heute die Bauern geradeso sprechen -- mit Beziehung auf ihre
Knechte. Daß sich die Bauern damals schon Knechte und Mügde hielten,
findet er höchst anstößig. Solange sie zu Hofe gingen, hätten sie solche ja
gebraucht sür den Dienst des gnädigen Herrn. Jetzt, da dieser Dienst auf¬
gehört habe, Hütten sie das Gesinde abschaffen müssen. Statt dessen hätten
sie es behalten. Das schicke der Bauer nun aufs Feld, er selber aber sitze in
guter Ruh vor seiner Hausthür oder im Wirtshaus bei der Branntweinflasche,
und während er sonst um 3 Uhr morgens zu arbeiten angefangen habe, werde
es jetzt in seinem Hanse kaum um 6 Uhr lebendig. Eine der Bemerkungen
dieses Urfeudalen ist unbestritten richtig. Bei der Ablösung habe es geheißen:
Wer da hat, dem wird noch mehr gegeben, wer wenig hat, dem wird auch
das Wenige vollends genommen. Dem vermögenden Rittergutsbesitzer habe
das Vauernland, das er erhalten habe, Gewinn gebracht, weil er Vorwerke
anlegen und Arbeiter bezahlen konnte; dem unvermögenden war es nur eine
Last. Ebenso habe die Ablösung dem größern Bauern genützt, den kleinen
Kossäten dagegen, der mit seinem Stückchen Land die nackte Freiheit erkaufen
mußte, zum Proletarier gemacht. Und der verarmende Bauer habe jetzt statt
des Grundherrn, der ihn in der Not unterstützen mußte, den unerbittlichen
Gläubiger, der ihn von der Scholle treibt, während früher die Bauerngüter
weder subhastirt noch verschuldet werden konnten.

Solchem Gejammer über das Unglück Einzelner, die der Pessimist für


Hundert Jahre Landwirtschaft in Deutschland

der Stadt aus klug gemacht worden, und seine sogenannte Arbeit sei nur noch
Zeitverderb gewesen; habe er z. B. auf einem zweispünnigen Wagen Dünger
fahren sollen, so habe er nicht mehr darauf geladen, als ein einzelner Mann
auf einem Schiebkarren fortbringt. In der Stadt habe er nicht bloß bei
Winkelratgebern und Aufwieglern, sondern sogar bei Gericht Hilfe gefunden,
„weil die größte Anzahl der Richter mit der Landwirtschaft und der Drei-
härigkeit, Harthörigkeit und Dickfelligkeit der Bauern zu unbekannt waren."
In den entlegnen Gegenden aber seien die Leute noch willig gewesen und
hätten daher die Roboten noch ihren Wert gehabt.

Ein Herr von der Marwitz, den Meyer anführt — wohl derselbe, der
wegen des von Boyen so scharf kritisirten Protestes gegen die Bauernbefreiung
ein paar Wochen auf Festung mußte —, ist ein wahrer Unglücksrabe. Er sieht
in seinen Abhandlungen und Denkschriften von 1811, 1812, 1823 und 1836
nicht allein die Edelleute, sondern auch die Bauern zu Grunde gehen. Wie
der Handwerksmeister, und nicht der Geselle, der eigentliche Produzent der
Gewerbeerzeugnisse sei, so sei auch der Gutsbesitzer, dem das Land gehöre,
und nicht der Bauer, sein Knecht, durch den er das Land beackern lasse, der
Getreideprodnzent. So wenig die Gesellen und Ladendiener einen besondern
Stand ausmachen könnten, so wenig könnten es die Bauern. Stunde dieser
richtige märkische Junker aus dem Grabe auf, so würde er zu seinem Erstaunen
hören, wie heute die Bauern geradeso sprechen — mit Beziehung auf ihre
Knechte. Daß sich die Bauern damals schon Knechte und Mügde hielten,
findet er höchst anstößig. Solange sie zu Hofe gingen, hätten sie solche ja
gebraucht sür den Dienst des gnädigen Herrn. Jetzt, da dieser Dienst auf¬
gehört habe, Hütten sie das Gesinde abschaffen müssen. Statt dessen hätten
sie es behalten. Das schicke der Bauer nun aufs Feld, er selber aber sitze in
guter Ruh vor seiner Hausthür oder im Wirtshaus bei der Branntweinflasche,
und während er sonst um 3 Uhr morgens zu arbeiten angefangen habe, werde
es jetzt in seinem Hanse kaum um 6 Uhr lebendig. Eine der Bemerkungen
dieses Urfeudalen ist unbestritten richtig. Bei der Ablösung habe es geheißen:
Wer da hat, dem wird noch mehr gegeben, wer wenig hat, dem wird auch
das Wenige vollends genommen. Dem vermögenden Rittergutsbesitzer habe
das Vauernland, das er erhalten habe, Gewinn gebracht, weil er Vorwerke
anlegen und Arbeiter bezahlen konnte; dem unvermögenden war es nur eine
Last. Ebenso habe die Ablösung dem größern Bauern genützt, den kleinen
Kossäten dagegen, der mit seinem Stückchen Land die nackte Freiheit erkaufen
mußte, zum Proletarier gemacht. Und der verarmende Bauer habe jetzt statt
des Grundherrn, der ihn in der Not unterstützen mußte, den unerbittlichen
Gläubiger, der ihn von der Scholle treibt, während früher die Bauerngüter
weder subhastirt noch verschuldet werden konnten.

Solchem Gejammer über das Unglück Einzelner, die der Pessimist für


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[0529] Hundert Jahre Landwirtschaft in Deutschland der Stadt aus klug gemacht worden, und seine sogenannte Arbeit sei nur noch Zeitverderb gewesen; habe er z. B. auf einem zweispünnigen Wagen Dünger fahren sollen, so habe er nicht mehr darauf geladen, als ein einzelner Mann auf einem Schiebkarren fortbringt. In der Stadt habe er nicht bloß bei Winkelratgebern und Aufwieglern, sondern sogar bei Gericht Hilfe gefunden, „weil die größte Anzahl der Richter mit der Landwirtschaft und der Drei- härigkeit, Harthörigkeit und Dickfelligkeit der Bauern zu unbekannt waren." In den entlegnen Gegenden aber seien die Leute noch willig gewesen und hätten daher die Roboten noch ihren Wert gehabt. Ein Herr von der Marwitz, den Meyer anführt — wohl derselbe, der wegen des von Boyen so scharf kritisirten Protestes gegen die Bauernbefreiung ein paar Wochen auf Festung mußte —, ist ein wahrer Unglücksrabe. Er sieht in seinen Abhandlungen und Denkschriften von 1811, 1812, 1823 und 1836 nicht allein die Edelleute, sondern auch die Bauern zu Grunde gehen. Wie der Handwerksmeister, und nicht der Geselle, der eigentliche Produzent der Gewerbeerzeugnisse sei, so sei auch der Gutsbesitzer, dem das Land gehöre, und nicht der Bauer, sein Knecht, durch den er das Land beackern lasse, der Getreideprodnzent. So wenig die Gesellen und Ladendiener einen besondern Stand ausmachen könnten, so wenig könnten es die Bauern. Stunde dieser richtige märkische Junker aus dem Grabe auf, so würde er zu seinem Erstaunen hören, wie heute die Bauern geradeso sprechen — mit Beziehung auf ihre Knechte. Daß sich die Bauern damals schon Knechte und Mügde hielten, findet er höchst anstößig. Solange sie zu Hofe gingen, hätten sie solche ja gebraucht sür den Dienst des gnädigen Herrn. Jetzt, da dieser Dienst auf¬ gehört habe, Hütten sie das Gesinde abschaffen müssen. Statt dessen hätten sie es behalten. Das schicke der Bauer nun aufs Feld, er selber aber sitze in guter Ruh vor seiner Hausthür oder im Wirtshaus bei der Branntweinflasche, und während er sonst um 3 Uhr morgens zu arbeiten angefangen habe, werde es jetzt in seinem Hanse kaum um 6 Uhr lebendig. Eine der Bemerkungen dieses Urfeudalen ist unbestritten richtig. Bei der Ablösung habe es geheißen: Wer da hat, dem wird noch mehr gegeben, wer wenig hat, dem wird auch das Wenige vollends genommen. Dem vermögenden Rittergutsbesitzer habe das Vauernland, das er erhalten habe, Gewinn gebracht, weil er Vorwerke anlegen und Arbeiter bezahlen konnte; dem unvermögenden war es nur eine Last. Ebenso habe die Ablösung dem größern Bauern genützt, den kleinen Kossäten dagegen, der mit seinem Stückchen Land die nackte Freiheit erkaufen mußte, zum Proletarier gemacht. Und der verarmende Bauer habe jetzt statt des Grundherrn, der ihn in der Not unterstützen mußte, den unerbittlichen Gläubiger, der ihn von der Scholle treibt, während früher die Bauerngüter weder subhastirt noch verschuldet werden konnten. Solchem Gejammer über das Unglück Einzelner, die der Pessimist für

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/529>, abgerufen am 24.07.2024.