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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Hundert Jahre Landwirtschaft in Dentschland

"Mehreren Gutsbesitzern gelang es, bei bewirkten Verkäufen zur Erhöhung
des Kredits der verkauften Güter, in unendlicher ssoll wohl heißen unredlicher!
Vorspiegelung beträchtlich größere Kaufsummen im Kaufkontrakt angegeben zu
erhalten, und sie benutzten demnächst diejenigen Gelder, die sie mittelst des zu
hoch gestandnen Kredits sehr bald dargeliehen erhalten hatten, dazu, sich in
Gegenden, wo die Güter noch für geringe Preise zu haben waren, andre Güter
zu erwerben; ja es gelang sogar vielen, dnrch landschaftliche Kreditanstalten
auf den in solchen wohlfeilen Gegenden erkauften Gütern mehr noch angeliehen
zu erhalten, als sie Kaufgeld dafür in Wahrheit gegeben hatten; und die
Täuschung, die dieser Verkehr mit Landgütern erzeugte, war so groß und all¬
gemein, daß nicht bloß die Kapitalisten bei den Darlehnsgewährnngen, sondern
auch die zu großem Grundbesitz gelangten Spekulanten sich in betreff des so
ganz eigentlich nur herausgerechneten Vermögens für völlig geborgen hielten,
indem sie bei aller Höhe der Getreidepreise deren allmähliches Steigen, als im
fortwährenden Sinken des Geldwerth gegründet, für völlig gesichert ansahen."
Der andre Zug, den er dem schon entworfnen Bilde beifügt, ist folgender.
Vor 1806 habe es sowohl an Aktien wie an Staatsschuldscheinen gefehlt;
deshalb seien die Rentner und die bei der guten preußischen Finanzwirtschaft
reich gewordnen Stiftungs-, Pensions- und Versicherungskassen genötigt ge¬
wesen, ihr Geld in Hypotheken und Pfandbriefen anzulegen; der Kredit sei
also den Gutsbesitzern förmlich aufgedrängt worden. Nach 1815 dagegen
habe es infolge der gemachten Kriegsschulden (und der Neugründung von
Aktiengesellschaften, die er zu erwähnen vergißt) nicht an Anlagepapiercn
gefehlt, und so hätten die Kapitalisten und die öffentlichen Kassen ihr Geld
aus den Landgütern herausgezogen. Die intensive Wirtschaft, wird außerdem
noch bemerkt, auf die sich viele Gutsbesitzer eingelassen hätten, rentire nur bei
guten Preisen; nun könnten sie zur extensiven nicht mehr zurück, und ebenso¬
wenig, da nun einmal der Slina-rrä ok ins gestiegen sei, zur alten einfachen
Lebensweise. Den Segen der großen Ncformgesetzgebung für das Ganze erkennt
^ an; den meisten Rittergutsbesitzern aber habe die Umwälzung vorläufig
wehr Schaden zugefügt als Vorteil gebracht. Unter anderen führt er an, daß
die Freizügigkeit den Gütern die Arbeiter entziehe. Er gesteht zu, daß die
Rittergüter selbst schuld seien an der Meuschenarmut Ostelbiens, indem sie
nicht allem durch viele Freiheitsbeschränkungen die Ansüssigmachuug erschwert,
sondern auch durch den Gesindezwang die rechtzeitige Verehelichung der jungen
Leute verhindert Hütten. Aber nachdem einmal dieser unglückliche Zustand ge¬
schaffen war, habe die auf einmal gewährte Freizügigkeit diese Gegenden vollends
entvölkern und die Ablösung der Roboten die Rittergüter der Arbeiter berauben
wüssen. In der Nähe von Berlin freilich seien die Frondienste der Bauern
uicht mehr viel wert gewesen, und man möge dort froh sein, daß man sich
diese Art Arbeiter vom Halse schaffen könne. Denn dort sei der Bauer von


Hundert Jahre Landwirtschaft in Dentschland

„Mehreren Gutsbesitzern gelang es, bei bewirkten Verkäufen zur Erhöhung
des Kredits der verkauften Güter, in unendlicher ssoll wohl heißen unredlicher!
Vorspiegelung beträchtlich größere Kaufsummen im Kaufkontrakt angegeben zu
erhalten, und sie benutzten demnächst diejenigen Gelder, die sie mittelst des zu
hoch gestandnen Kredits sehr bald dargeliehen erhalten hatten, dazu, sich in
Gegenden, wo die Güter noch für geringe Preise zu haben waren, andre Güter
zu erwerben; ja es gelang sogar vielen, dnrch landschaftliche Kreditanstalten
auf den in solchen wohlfeilen Gegenden erkauften Gütern mehr noch angeliehen
zu erhalten, als sie Kaufgeld dafür in Wahrheit gegeben hatten; und die
Täuschung, die dieser Verkehr mit Landgütern erzeugte, war so groß und all¬
gemein, daß nicht bloß die Kapitalisten bei den Darlehnsgewährnngen, sondern
auch die zu großem Grundbesitz gelangten Spekulanten sich in betreff des so
ganz eigentlich nur herausgerechneten Vermögens für völlig geborgen hielten,
indem sie bei aller Höhe der Getreidepreise deren allmähliches Steigen, als im
fortwährenden Sinken des Geldwerth gegründet, für völlig gesichert ansahen."
Der andre Zug, den er dem schon entworfnen Bilde beifügt, ist folgender.
Vor 1806 habe es sowohl an Aktien wie an Staatsschuldscheinen gefehlt;
deshalb seien die Rentner und die bei der guten preußischen Finanzwirtschaft
reich gewordnen Stiftungs-, Pensions- und Versicherungskassen genötigt ge¬
wesen, ihr Geld in Hypotheken und Pfandbriefen anzulegen; der Kredit sei
also den Gutsbesitzern förmlich aufgedrängt worden. Nach 1815 dagegen
habe es infolge der gemachten Kriegsschulden (und der Neugründung von
Aktiengesellschaften, die er zu erwähnen vergißt) nicht an Anlagepapiercn
gefehlt, und so hätten die Kapitalisten und die öffentlichen Kassen ihr Geld
aus den Landgütern herausgezogen. Die intensive Wirtschaft, wird außerdem
noch bemerkt, auf die sich viele Gutsbesitzer eingelassen hätten, rentire nur bei
guten Preisen; nun könnten sie zur extensiven nicht mehr zurück, und ebenso¬
wenig, da nun einmal der Slina-rrä ok ins gestiegen sei, zur alten einfachen
Lebensweise. Den Segen der großen Ncformgesetzgebung für das Ganze erkennt
^ an; den meisten Rittergutsbesitzern aber habe die Umwälzung vorläufig
wehr Schaden zugefügt als Vorteil gebracht. Unter anderen führt er an, daß
die Freizügigkeit den Gütern die Arbeiter entziehe. Er gesteht zu, daß die
Rittergüter selbst schuld seien an der Meuschenarmut Ostelbiens, indem sie
nicht allem durch viele Freiheitsbeschränkungen die Ansüssigmachuug erschwert,
sondern auch durch den Gesindezwang die rechtzeitige Verehelichung der jungen
Leute verhindert Hütten. Aber nachdem einmal dieser unglückliche Zustand ge¬
schaffen war, habe die auf einmal gewährte Freizügigkeit diese Gegenden vollends
entvölkern und die Ablösung der Roboten die Rittergüter der Arbeiter berauben
wüssen. In der Nähe von Berlin freilich seien die Frondienste der Bauern
uicht mehr viel wert gewesen, und man möge dort froh sein, daß man sich
diese Art Arbeiter vom Halse schaffen könne. Denn dort sei der Bauer von


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[0528] Hundert Jahre Landwirtschaft in Dentschland „Mehreren Gutsbesitzern gelang es, bei bewirkten Verkäufen zur Erhöhung des Kredits der verkauften Güter, in unendlicher ssoll wohl heißen unredlicher! Vorspiegelung beträchtlich größere Kaufsummen im Kaufkontrakt angegeben zu erhalten, und sie benutzten demnächst diejenigen Gelder, die sie mittelst des zu hoch gestandnen Kredits sehr bald dargeliehen erhalten hatten, dazu, sich in Gegenden, wo die Güter noch für geringe Preise zu haben waren, andre Güter zu erwerben; ja es gelang sogar vielen, dnrch landschaftliche Kreditanstalten auf den in solchen wohlfeilen Gegenden erkauften Gütern mehr noch angeliehen zu erhalten, als sie Kaufgeld dafür in Wahrheit gegeben hatten; und die Täuschung, die dieser Verkehr mit Landgütern erzeugte, war so groß und all¬ gemein, daß nicht bloß die Kapitalisten bei den Darlehnsgewährnngen, sondern auch die zu großem Grundbesitz gelangten Spekulanten sich in betreff des so ganz eigentlich nur herausgerechneten Vermögens für völlig geborgen hielten, indem sie bei aller Höhe der Getreidepreise deren allmähliches Steigen, als im fortwährenden Sinken des Geldwerth gegründet, für völlig gesichert ansahen." Der andre Zug, den er dem schon entworfnen Bilde beifügt, ist folgender. Vor 1806 habe es sowohl an Aktien wie an Staatsschuldscheinen gefehlt; deshalb seien die Rentner und die bei der guten preußischen Finanzwirtschaft reich gewordnen Stiftungs-, Pensions- und Versicherungskassen genötigt ge¬ wesen, ihr Geld in Hypotheken und Pfandbriefen anzulegen; der Kredit sei also den Gutsbesitzern förmlich aufgedrängt worden. Nach 1815 dagegen habe es infolge der gemachten Kriegsschulden (und der Neugründung von Aktiengesellschaften, die er zu erwähnen vergißt) nicht an Anlagepapiercn gefehlt, und so hätten die Kapitalisten und die öffentlichen Kassen ihr Geld aus den Landgütern herausgezogen. Die intensive Wirtschaft, wird außerdem noch bemerkt, auf die sich viele Gutsbesitzer eingelassen hätten, rentire nur bei guten Preisen; nun könnten sie zur extensiven nicht mehr zurück, und ebenso¬ wenig, da nun einmal der Slina-rrä ok ins gestiegen sei, zur alten einfachen Lebensweise. Den Segen der großen Ncformgesetzgebung für das Ganze erkennt ^ an; den meisten Rittergutsbesitzern aber habe die Umwälzung vorläufig wehr Schaden zugefügt als Vorteil gebracht. Unter anderen führt er an, daß die Freizügigkeit den Gütern die Arbeiter entziehe. Er gesteht zu, daß die Rittergüter selbst schuld seien an der Meuschenarmut Ostelbiens, indem sie nicht allem durch viele Freiheitsbeschränkungen die Ansüssigmachuug erschwert, sondern auch durch den Gesindezwang die rechtzeitige Verehelichung der jungen Leute verhindert Hütten. Aber nachdem einmal dieser unglückliche Zustand ge¬ schaffen war, habe die auf einmal gewährte Freizügigkeit diese Gegenden vollends entvölkern und die Ablösung der Roboten die Rittergüter der Arbeiter berauben wüssen. In der Nähe von Berlin freilich seien die Frondienste der Bauern uicht mehr viel wert gewesen, und man möge dort froh sein, daß man sich diese Art Arbeiter vom Halse schaffen könne. Denn dort sei der Bauer von

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/528>, abgerufen am 12.12.2024.