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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Politische Reisebetrachtungen aus dem deutschen Süden

aus, dessen Nordufer einst kerndeutsch war, unaufhaltsam fort. schädigend
wirkt auch noch eine anscheinend harmlose Abart der Latifundienbildung. In
Südtirol, an der Sprachgrenze im gesegneten Gartenlande um Bozen und
Meran siedeln sich reiche Leute, auch Reichsdeutsche, an, indem sie einen der
zahlreichen kleinen Edelsttze mit den alten Schlössern erwerben. Nach den Be¬
griffen aus der deutschen Ebne ist das Besitztum ein kleines Gütchen. Aber
der bescheidne Bodenumfang ernährt als Rehberg vielleicht ein Dutzend Winzer¬
familien, während nunmehr aus der eindringlichsten Gartenkultur ein herrschaft¬
licher Park entsteht, ohne jeden Nutzwert. Bitter beklagte sich bei uns ein
deutschgesiunter Tiroler aus dem Volke über diese Enteignung, obgleich sie
nicht gewaltsam erfolgt und den kleinen Verkäufern sogar noch ein hübsches
Geld einbringt. Aber sie wirkt national verderblich. Die Bequemlichkeit der
Landesregierung selbst verringert noch die Ertragsfähigkeit des Bodens. Gerade
mitten in diesem hochlnltivirten Landstrich, im Überschwemmungsgebiet der Etsch,
sieht man weite Strecken Ödland, die bei einer geschickten Entwässerung die
saftigsten Wiesen geben würden. Jetzt sind es verrottete Erlenbrüche. Natürlich
würde die Urbarmachung zunächst beträchtliche Kosten erheischen, die die Privat¬
eigentümer nicht tragen könnten. Aber der Staat hat doch ein Interesse daran,
die schon an sich beschränkten Nahrungsstellen in ihrer Zahl für die wachsende
Bevölkerung zu erhöhen. Es ist das sogar eine besondre nationale Forderung
Zur Erhaltung des Deutschtums. Aber vielleicht rechtfertigt gerade dieser Um¬
stand die Unthütigkeit der Regierung, die sonst landwirtschaftlich keineswegs
müßig und unverständig ist.

Während es geschichtlich feststeht, daß nicht nur ganz Südtirol deutsch ist,
sondern das Deutschtum bis über Verona, das Bern der deutschen Sage, ge¬
reicht hat, giebt man sich bei der Regierung den Anschein, als ob man an
das fremde Volkstum der sogenannten Welschtiroler glaube. Freilich hat ja
gerade die allezeit undeutsche österreichische Negierung seit Jahrhunderten Süd-
tirol absichtlich verwelscht, indem es das deutsche Land der Lombardei gleich¬
stellte und hier wie dort mit Hilfe der Geistlichkeit das unsichere italienische
Element stärkte. Jetzt erntet Österreich den Dank seiner Jtcilienisirung. Die
Welschtiroler fühlen sich als Italiener und verlangen Anschluß an ihren
größten Feind, Italien. Freilich von einer Negierung, die das 1815 Grau¬
bünden abgenommne deutsche Veltlin zur Lombardei schlug und italienisch
verwaltete, kann man kein nationales Empfinden verlangen. Die Auffassung
eines Deutschböhmen erscheint beinahe gerechtfertigt, daß man in Österreich
selbst an höchster Stelle die Monarchie absichtlich slawisire und verwelsche, um
den ehemals deutschen Bissen dem neuen Deutschen Reiche zu verleiden. Man
verzweifelt also selbst an der Einheit des Habsburgischen Staates, den allein
das Deutschtum zusammenhalten kann. Bildet sich erst ein Staatenbündel,
wie das bei Ungarn und Galizien schon geschehen ist, so wird freilich die


Politische Reisebetrachtungen aus dem deutschen Süden

aus, dessen Nordufer einst kerndeutsch war, unaufhaltsam fort. schädigend
wirkt auch noch eine anscheinend harmlose Abart der Latifundienbildung. In
Südtirol, an der Sprachgrenze im gesegneten Gartenlande um Bozen und
Meran siedeln sich reiche Leute, auch Reichsdeutsche, an, indem sie einen der
zahlreichen kleinen Edelsttze mit den alten Schlössern erwerben. Nach den Be¬
griffen aus der deutschen Ebne ist das Besitztum ein kleines Gütchen. Aber
der bescheidne Bodenumfang ernährt als Rehberg vielleicht ein Dutzend Winzer¬
familien, während nunmehr aus der eindringlichsten Gartenkultur ein herrschaft¬
licher Park entsteht, ohne jeden Nutzwert. Bitter beklagte sich bei uns ein
deutschgesiunter Tiroler aus dem Volke über diese Enteignung, obgleich sie
nicht gewaltsam erfolgt und den kleinen Verkäufern sogar noch ein hübsches
Geld einbringt. Aber sie wirkt national verderblich. Die Bequemlichkeit der
Landesregierung selbst verringert noch die Ertragsfähigkeit des Bodens. Gerade
mitten in diesem hochlnltivirten Landstrich, im Überschwemmungsgebiet der Etsch,
sieht man weite Strecken Ödland, die bei einer geschickten Entwässerung die
saftigsten Wiesen geben würden. Jetzt sind es verrottete Erlenbrüche. Natürlich
würde die Urbarmachung zunächst beträchtliche Kosten erheischen, die die Privat¬
eigentümer nicht tragen könnten. Aber der Staat hat doch ein Interesse daran,
die schon an sich beschränkten Nahrungsstellen in ihrer Zahl für die wachsende
Bevölkerung zu erhöhen. Es ist das sogar eine besondre nationale Forderung
Zur Erhaltung des Deutschtums. Aber vielleicht rechtfertigt gerade dieser Um¬
stand die Unthütigkeit der Regierung, die sonst landwirtschaftlich keineswegs
müßig und unverständig ist.

Während es geschichtlich feststeht, daß nicht nur ganz Südtirol deutsch ist,
sondern das Deutschtum bis über Verona, das Bern der deutschen Sage, ge¬
reicht hat, giebt man sich bei der Regierung den Anschein, als ob man an
das fremde Volkstum der sogenannten Welschtiroler glaube. Freilich hat ja
gerade die allezeit undeutsche österreichische Negierung seit Jahrhunderten Süd-
tirol absichtlich verwelscht, indem es das deutsche Land der Lombardei gleich¬
stellte und hier wie dort mit Hilfe der Geistlichkeit das unsichere italienische
Element stärkte. Jetzt erntet Österreich den Dank seiner Jtcilienisirung. Die
Welschtiroler fühlen sich als Italiener und verlangen Anschluß an ihren
größten Feind, Italien. Freilich von einer Negierung, die das 1815 Grau¬
bünden abgenommne deutsche Veltlin zur Lombardei schlug und italienisch
verwaltete, kann man kein nationales Empfinden verlangen. Die Auffassung
eines Deutschböhmen erscheint beinahe gerechtfertigt, daß man in Österreich
selbst an höchster Stelle die Monarchie absichtlich slawisire und verwelsche, um
den ehemals deutschen Bissen dem neuen Deutschen Reiche zu verleiden. Man
verzweifelt also selbst an der Einheit des Habsburgischen Staates, den allein
das Deutschtum zusammenhalten kann. Bildet sich erst ein Staatenbündel,
wie das bei Ungarn und Galizien schon geschehen ist, so wird freilich die


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[0523] Politische Reisebetrachtungen aus dem deutschen Süden aus, dessen Nordufer einst kerndeutsch war, unaufhaltsam fort. schädigend wirkt auch noch eine anscheinend harmlose Abart der Latifundienbildung. In Südtirol, an der Sprachgrenze im gesegneten Gartenlande um Bozen und Meran siedeln sich reiche Leute, auch Reichsdeutsche, an, indem sie einen der zahlreichen kleinen Edelsttze mit den alten Schlössern erwerben. Nach den Be¬ griffen aus der deutschen Ebne ist das Besitztum ein kleines Gütchen. Aber der bescheidne Bodenumfang ernährt als Rehberg vielleicht ein Dutzend Winzer¬ familien, während nunmehr aus der eindringlichsten Gartenkultur ein herrschaft¬ licher Park entsteht, ohne jeden Nutzwert. Bitter beklagte sich bei uns ein deutschgesiunter Tiroler aus dem Volke über diese Enteignung, obgleich sie nicht gewaltsam erfolgt und den kleinen Verkäufern sogar noch ein hübsches Geld einbringt. Aber sie wirkt national verderblich. Die Bequemlichkeit der Landesregierung selbst verringert noch die Ertragsfähigkeit des Bodens. Gerade mitten in diesem hochlnltivirten Landstrich, im Überschwemmungsgebiet der Etsch, sieht man weite Strecken Ödland, die bei einer geschickten Entwässerung die saftigsten Wiesen geben würden. Jetzt sind es verrottete Erlenbrüche. Natürlich würde die Urbarmachung zunächst beträchtliche Kosten erheischen, die die Privat¬ eigentümer nicht tragen könnten. Aber der Staat hat doch ein Interesse daran, die schon an sich beschränkten Nahrungsstellen in ihrer Zahl für die wachsende Bevölkerung zu erhöhen. Es ist das sogar eine besondre nationale Forderung Zur Erhaltung des Deutschtums. Aber vielleicht rechtfertigt gerade dieser Um¬ stand die Unthütigkeit der Regierung, die sonst landwirtschaftlich keineswegs müßig und unverständig ist. Während es geschichtlich feststeht, daß nicht nur ganz Südtirol deutsch ist, sondern das Deutschtum bis über Verona, das Bern der deutschen Sage, ge¬ reicht hat, giebt man sich bei der Regierung den Anschein, als ob man an das fremde Volkstum der sogenannten Welschtiroler glaube. Freilich hat ja gerade die allezeit undeutsche österreichische Negierung seit Jahrhunderten Süd- tirol absichtlich verwelscht, indem es das deutsche Land der Lombardei gleich¬ stellte und hier wie dort mit Hilfe der Geistlichkeit das unsichere italienische Element stärkte. Jetzt erntet Österreich den Dank seiner Jtcilienisirung. Die Welschtiroler fühlen sich als Italiener und verlangen Anschluß an ihren größten Feind, Italien. Freilich von einer Negierung, die das 1815 Grau¬ bünden abgenommne deutsche Veltlin zur Lombardei schlug und italienisch verwaltete, kann man kein nationales Empfinden verlangen. Die Auffassung eines Deutschböhmen erscheint beinahe gerechtfertigt, daß man in Österreich selbst an höchster Stelle die Monarchie absichtlich slawisire und verwelsche, um den ehemals deutschen Bissen dem neuen Deutschen Reiche zu verleiden. Man verzweifelt also selbst an der Einheit des Habsburgischen Staates, den allein das Deutschtum zusammenhalten kann. Bildet sich erst ein Staatenbündel, wie das bei Ungarn und Galizien schon geschehen ist, so wird freilich die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/523>, abgerufen am 24.07.2024.