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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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politische Reisebetrachtungen aus dem deutschen Süden

Dornenkrone des edeln Dulders auf das Haupt drückte. Nicht das kraftvolle
Preußen, die Vormacht Deutschlands, ist im Süden beliebt, sondern der einst
freilich nur flitterhafte und morsche Glanz des alten Reiches hat auch um das
noch kleinere, aber stärkere neue Staatswesen einen idealen Schimmer gewoben,
dessen Wert nicht zu unterschätzen ist. staatsrechtlich und auch rein that¬
sächlich beruht die Stärke Deutschlands freilich nicht mehr auf dem Reich,
sondern auf der Lebenskraft der preußischen Großmacht und der Mittelstaaten.
Die Kleinstaaten sind jetzt wenigstens kein Hindernis mehr für das Reich, wenn
ihr Anteil an der nationalen Entwicklung auch immer bescheidner wird und
sich schließlich auf die Nekrutengestellnng beschränkt. Aber eine allgemeine Mit¬
arbeit des Südens zu Reichszwecken ist eben nur durch das Mittel des Reichs
möglich, soll dieses nicht wieder aus den Fugen gehen, wie schon einmal, wo
es formell sogar noch besser gefestet war. In Berlin hat man sich zu dieser
Einsicht noch nicht emporgeschwungen und glaubt, durch Schonung des un¬
geschichtlichen und durchaus nicht einheitlichen Königreichs die störrischen süd¬
deutschen Herzen zu gewinnen. Man läßt sich im Süden die Rücksicht wohl
gefallen, schimpft weiter auf den "verflixten Preiß" und giebt dem Kaiser nicht,
was des Kaisers ist; denn er erscheint bloß als der König von Preußen, dem
man sich als kleiner Gernegroß ebenbürtig dünkt. Die Folgen dieses Ver¬
haltens liegen gegenwärtig klar zu Tage, der Süden ist nicht mehr so reichs-
sreuudlich wie früher, und der unberechtigte Preußeuhciß ist gewaltig gewachsen,
obschon keine unfreundliche preußische Maßnahme offiziell erfolgt ist. Die per¬
sönlichen Reibungen an den höchsten Stellen entziehen sich der öffentlichen
Beurteilung und beruhen wohl viel auf Mißverständnissen, die ernstlich die
Staatsleitung nicht beeinflussen dürfen.

Sieht es innerhalb der Neichsgrenzen im Süden vom nationalen Stand¬
punkt nicht allzu rosig aus, so sieht es noch trüber in den andern deutscheu
Bezirken am Fuße der Alpen aus. Der Weg soll uns durch Tirol und die
Schweiz führen. Die bayrischen Tiroler und die alemannischen Schweizer
waren sich bis jetzt ihrer besondern Stammesgemeinschaft mit ihren Volks¬
genossen im Reiche nur wenig bewußt. Der Verzweiflungskampf der Tiroler
im Jahre 1809 wurde gegen bayrische Bajonette geführt, und man kann nicht
behaupten, daß die Bayern menschenfreundlich im Lande gehaust Hütten. Trotz
dieser Thatsachen hat die verhängnisvolle Slawenpolitik der österreichischen
Regierung auch hier der Erkenntnis des gemeinsamen Volkstums Bahn ge¬
brochen. Ein großer Teil der Tiroler fühlt sich jetzt mit Stolz als Deutsche,
und weder die angestammte Treue gegen das ErzHaus noch der blinde
Gehorsam gegen die alleinseligmachende Kirche können diese natürliche Em¬
pfindung mehr bannen. Freilich darf man sich nicht über die Tiefe dieses
Gefühls in der Volksmenge täuschen. Die geisttötende Jesuitenpolitik hat
zu starke Wurzeln in dem gottesfürchtigen Lande geschlagen, als daß der


politische Reisebetrachtungen aus dem deutschen Süden

Dornenkrone des edeln Dulders auf das Haupt drückte. Nicht das kraftvolle
Preußen, die Vormacht Deutschlands, ist im Süden beliebt, sondern der einst
freilich nur flitterhafte und morsche Glanz des alten Reiches hat auch um das
noch kleinere, aber stärkere neue Staatswesen einen idealen Schimmer gewoben,
dessen Wert nicht zu unterschätzen ist. staatsrechtlich und auch rein that¬
sächlich beruht die Stärke Deutschlands freilich nicht mehr auf dem Reich,
sondern auf der Lebenskraft der preußischen Großmacht und der Mittelstaaten.
Die Kleinstaaten sind jetzt wenigstens kein Hindernis mehr für das Reich, wenn
ihr Anteil an der nationalen Entwicklung auch immer bescheidner wird und
sich schließlich auf die Nekrutengestellnng beschränkt. Aber eine allgemeine Mit¬
arbeit des Südens zu Reichszwecken ist eben nur durch das Mittel des Reichs
möglich, soll dieses nicht wieder aus den Fugen gehen, wie schon einmal, wo
es formell sogar noch besser gefestet war. In Berlin hat man sich zu dieser
Einsicht noch nicht emporgeschwungen und glaubt, durch Schonung des un¬
geschichtlichen und durchaus nicht einheitlichen Königreichs die störrischen süd¬
deutschen Herzen zu gewinnen. Man läßt sich im Süden die Rücksicht wohl
gefallen, schimpft weiter auf den „verflixten Preiß" und giebt dem Kaiser nicht,
was des Kaisers ist; denn er erscheint bloß als der König von Preußen, dem
man sich als kleiner Gernegroß ebenbürtig dünkt. Die Folgen dieses Ver¬
haltens liegen gegenwärtig klar zu Tage, der Süden ist nicht mehr so reichs-
sreuudlich wie früher, und der unberechtigte Preußeuhciß ist gewaltig gewachsen,
obschon keine unfreundliche preußische Maßnahme offiziell erfolgt ist. Die per¬
sönlichen Reibungen an den höchsten Stellen entziehen sich der öffentlichen
Beurteilung und beruhen wohl viel auf Mißverständnissen, die ernstlich die
Staatsleitung nicht beeinflussen dürfen.

Sieht es innerhalb der Neichsgrenzen im Süden vom nationalen Stand¬
punkt nicht allzu rosig aus, so sieht es noch trüber in den andern deutscheu
Bezirken am Fuße der Alpen aus. Der Weg soll uns durch Tirol und die
Schweiz führen. Die bayrischen Tiroler und die alemannischen Schweizer
waren sich bis jetzt ihrer besondern Stammesgemeinschaft mit ihren Volks¬
genossen im Reiche nur wenig bewußt. Der Verzweiflungskampf der Tiroler
im Jahre 1809 wurde gegen bayrische Bajonette geführt, und man kann nicht
behaupten, daß die Bayern menschenfreundlich im Lande gehaust Hütten. Trotz
dieser Thatsachen hat die verhängnisvolle Slawenpolitik der österreichischen
Regierung auch hier der Erkenntnis des gemeinsamen Volkstums Bahn ge¬
brochen. Ein großer Teil der Tiroler fühlt sich jetzt mit Stolz als Deutsche,
und weder die angestammte Treue gegen das ErzHaus noch der blinde
Gehorsam gegen die alleinseligmachende Kirche können diese natürliche Em¬
pfindung mehr bannen. Freilich darf man sich nicht über die Tiefe dieses
Gefühls in der Volksmenge täuschen. Die geisttötende Jesuitenpolitik hat
zu starke Wurzeln in dem gottesfürchtigen Lande geschlagen, als daß der


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[0521] politische Reisebetrachtungen aus dem deutschen Süden Dornenkrone des edeln Dulders auf das Haupt drückte. Nicht das kraftvolle Preußen, die Vormacht Deutschlands, ist im Süden beliebt, sondern der einst freilich nur flitterhafte und morsche Glanz des alten Reiches hat auch um das noch kleinere, aber stärkere neue Staatswesen einen idealen Schimmer gewoben, dessen Wert nicht zu unterschätzen ist. staatsrechtlich und auch rein that¬ sächlich beruht die Stärke Deutschlands freilich nicht mehr auf dem Reich, sondern auf der Lebenskraft der preußischen Großmacht und der Mittelstaaten. Die Kleinstaaten sind jetzt wenigstens kein Hindernis mehr für das Reich, wenn ihr Anteil an der nationalen Entwicklung auch immer bescheidner wird und sich schließlich auf die Nekrutengestellnng beschränkt. Aber eine allgemeine Mit¬ arbeit des Südens zu Reichszwecken ist eben nur durch das Mittel des Reichs möglich, soll dieses nicht wieder aus den Fugen gehen, wie schon einmal, wo es formell sogar noch besser gefestet war. In Berlin hat man sich zu dieser Einsicht noch nicht emporgeschwungen und glaubt, durch Schonung des un¬ geschichtlichen und durchaus nicht einheitlichen Königreichs die störrischen süd¬ deutschen Herzen zu gewinnen. Man läßt sich im Süden die Rücksicht wohl gefallen, schimpft weiter auf den „verflixten Preiß" und giebt dem Kaiser nicht, was des Kaisers ist; denn er erscheint bloß als der König von Preußen, dem man sich als kleiner Gernegroß ebenbürtig dünkt. Die Folgen dieses Ver¬ haltens liegen gegenwärtig klar zu Tage, der Süden ist nicht mehr so reichs- sreuudlich wie früher, und der unberechtigte Preußeuhciß ist gewaltig gewachsen, obschon keine unfreundliche preußische Maßnahme offiziell erfolgt ist. Die per¬ sönlichen Reibungen an den höchsten Stellen entziehen sich der öffentlichen Beurteilung und beruhen wohl viel auf Mißverständnissen, die ernstlich die Staatsleitung nicht beeinflussen dürfen. Sieht es innerhalb der Neichsgrenzen im Süden vom nationalen Stand¬ punkt nicht allzu rosig aus, so sieht es noch trüber in den andern deutscheu Bezirken am Fuße der Alpen aus. Der Weg soll uns durch Tirol und die Schweiz führen. Die bayrischen Tiroler und die alemannischen Schweizer waren sich bis jetzt ihrer besondern Stammesgemeinschaft mit ihren Volks¬ genossen im Reiche nur wenig bewußt. Der Verzweiflungskampf der Tiroler im Jahre 1809 wurde gegen bayrische Bajonette geführt, und man kann nicht behaupten, daß die Bayern menschenfreundlich im Lande gehaust Hütten. Trotz dieser Thatsachen hat die verhängnisvolle Slawenpolitik der österreichischen Regierung auch hier der Erkenntnis des gemeinsamen Volkstums Bahn ge¬ brochen. Ein großer Teil der Tiroler fühlt sich jetzt mit Stolz als Deutsche, und weder die angestammte Treue gegen das ErzHaus noch der blinde Gehorsam gegen die alleinseligmachende Kirche können diese natürliche Em¬ pfindung mehr bannen. Freilich darf man sich nicht über die Tiefe dieses Gefühls in der Volksmenge täuschen. Die geisttötende Jesuitenpolitik hat zu starke Wurzeln in dem gottesfürchtigen Lande geschlagen, als daß der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/521>, abgerufen am 12.12.2024.