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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Politische Reisebetrachtungen aus dem deutschen Süden

auch teuer zu stehen. Beschränken sich die Regierungen der Vundesstaaten auf
die innere Verwaltung, so bleibt ihnen noch genug übrig. Handel und Verkehr
sind Reichssache; die Verwaltung der Kleinstaaten wirkt hier nur hemmend.

Das Reich bevorzugt die Süddeutschen in seinem Dienste, was für die
übrigen Staatsangehörigen nicht immer angenehm ist; aber die Dankbarkeit des
Südens dafür ist gering. Gerade das Auswärtige Amt nimmt gern Bayern,
und was ist der Lohn des dadurch geehrten Staates? Eine zur Farce ge-
wordne Diplomatie Bayerns im Auslande, in der sonst ganz tüchtige Kräfte
durch Nichtsthun und Salonleben verkümmern. Dabei wird das Ansehn des
Reichs und des Deutschtums geschädigt, wenn einflußlose bayrische Gesandten
und Ministerresidenten als gesellschaftliche Schmuckstücke in den europäischen
Hauptstädten erscheinen. Man erzählt leider wahre Anekdoten über die diplo¬
matische Thätigkeit dieser bayrischen Vertreter, die für tüchtige Beamte be¬
schämend sein müssen. In Deutschland selbst mögen sich die Mittelstaaten
diesen dynastischen Scherz erlauben, da er keinen Schaden stiftet, wenn er auch
unnützes Geld kostet. Im Auslande kann er gefährlich werden. Wir erinnern
an die Unterhandlungen Ludwigs II. mit den Orleans. Was unter einem
geisteskranken König harmlos war, kann sich in schwerer Stunde gefährlich
wiederholen. Die napoleonische Zeit mit dem Rheinbunde liegt noch kein Jahr¬
hundert hinter uns zurück. Festigen wir beizeiten das Reich; die Eigentümlich¬
keit und die Kunstblüte des Südens sollen hierdurch nicht gehindert werden,
sie sollen sich vielmehr unter dem starken Reichsschutz mit doppelter Kraft
entfalten.

Die süddeutsche Abneigung wurzelt in der Verwechslung des Reichs mit
dem Preußentum. Preußen hat gewiß im Süden nichts zu suchen, aber die
gemeinsamen Neichseinrichtungen können doch auch nicht als preußische Ver¬
anstaltungen angesehen werden. Nur die Böswilligkeit eines Dr. Sigl, der
aus seinem leider noch volkstümlichen Preußenhaß ein bezahltes Preßgewerbe
wacht, kann solche Unterstellung wagen. München hat gern die Schacksche
Galerie als kaiserliches Eigentum behalten, ebenso wie den kostbaren Stamm der
"leer Pinakothek, die ursprüngliche Düsseldorfer Sammlung, die nicht persönliches
Eigentum der wittelsbachischen Herzöge von Berg, sondern Staatsbesitz war.
Preußens Unterlassungssünde besteht in der Geringschätzung der alten Reichs¬
erinnerungen, die im Süden noch lebendig sind. Die Hälfte Süddeutschlands
bestand beim Zusammenbruch des alten Reichs aus unmittelbaren Städten
und Standesherrschaften. Kaiser Friedrich hat sich mit klugem Verständnis im
Süden nur als den Kronprinzen des Deutschen Reichs gefühlt. Er war auch
durch die Vergangenheit mit der mühsamen und oft ungelohnten preußischen
Vorarbeit zur Erneuerung des Reichs, die der alte, hochselige Herr nicht ver¬
gessen konnte, persönlich nicht verbunden. Wir sind ja Zeugen der Volks¬
tümlichkeit des Kronprinzen gewesen, ehe das heimtückische Leiden ihm die


Politische Reisebetrachtungen aus dem deutschen Süden

auch teuer zu stehen. Beschränken sich die Regierungen der Vundesstaaten auf
die innere Verwaltung, so bleibt ihnen noch genug übrig. Handel und Verkehr
sind Reichssache; die Verwaltung der Kleinstaaten wirkt hier nur hemmend.

Das Reich bevorzugt die Süddeutschen in seinem Dienste, was für die
übrigen Staatsangehörigen nicht immer angenehm ist; aber die Dankbarkeit des
Südens dafür ist gering. Gerade das Auswärtige Amt nimmt gern Bayern,
und was ist der Lohn des dadurch geehrten Staates? Eine zur Farce ge-
wordne Diplomatie Bayerns im Auslande, in der sonst ganz tüchtige Kräfte
durch Nichtsthun und Salonleben verkümmern. Dabei wird das Ansehn des
Reichs und des Deutschtums geschädigt, wenn einflußlose bayrische Gesandten
und Ministerresidenten als gesellschaftliche Schmuckstücke in den europäischen
Hauptstädten erscheinen. Man erzählt leider wahre Anekdoten über die diplo¬
matische Thätigkeit dieser bayrischen Vertreter, die für tüchtige Beamte be¬
schämend sein müssen. In Deutschland selbst mögen sich die Mittelstaaten
diesen dynastischen Scherz erlauben, da er keinen Schaden stiftet, wenn er auch
unnützes Geld kostet. Im Auslande kann er gefährlich werden. Wir erinnern
an die Unterhandlungen Ludwigs II. mit den Orleans. Was unter einem
geisteskranken König harmlos war, kann sich in schwerer Stunde gefährlich
wiederholen. Die napoleonische Zeit mit dem Rheinbunde liegt noch kein Jahr¬
hundert hinter uns zurück. Festigen wir beizeiten das Reich; die Eigentümlich¬
keit und die Kunstblüte des Südens sollen hierdurch nicht gehindert werden,
sie sollen sich vielmehr unter dem starken Reichsschutz mit doppelter Kraft
entfalten.

Die süddeutsche Abneigung wurzelt in der Verwechslung des Reichs mit
dem Preußentum. Preußen hat gewiß im Süden nichts zu suchen, aber die
gemeinsamen Neichseinrichtungen können doch auch nicht als preußische Ver¬
anstaltungen angesehen werden. Nur die Böswilligkeit eines Dr. Sigl, der
aus seinem leider noch volkstümlichen Preußenhaß ein bezahltes Preßgewerbe
wacht, kann solche Unterstellung wagen. München hat gern die Schacksche
Galerie als kaiserliches Eigentum behalten, ebenso wie den kostbaren Stamm der
"leer Pinakothek, die ursprüngliche Düsseldorfer Sammlung, die nicht persönliches
Eigentum der wittelsbachischen Herzöge von Berg, sondern Staatsbesitz war.
Preußens Unterlassungssünde besteht in der Geringschätzung der alten Reichs¬
erinnerungen, die im Süden noch lebendig sind. Die Hälfte Süddeutschlands
bestand beim Zusammenbruch des alten Reichs aus unmittelbaren Städten
und Standesherrschaften. Kaiser Friedrich hat sich mit klugem Verständnis im
Süden nur als den Kronprinzen des Deutschen Reichs gefühlt. Er war auch
durch die Vergangenheit mit der mühsamen und oft ungelohnten preußischen
Vorarbeit zur Erneuerung des Reichs, die der alte, hochselige Herr nicht ver¬
gessen konnte, persönlich nicht verbunden. Wir sind ja Zeugen der Volks¬
tümlichkeit des Kronprinzen gewesen, ehe das heimtückische Leiden ihm die


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[0520] Politische Reisebetrachtungen aus dem deutschen Süden auch teuer zu stehen. Beschränken sich die Regierungen der Vundesstaaten auf die innere Verwaltung, so bleibt ihnen noch genug übrig. Handel und Verkehr sind Reichssache; die Verwaltung der Kleinstaaten wirkt hier nur hemmend. Das Reich bevorzugt die Süddeutschen in seinem Dienste, was für die übrigen Staatsangehörigen nicht immer angenehm ist; aber die Dankbarkeit des Südens dafür ist gering. Gerade das Auswärtige Amt nimmt gern Bayern, und was ist der Lohn des dadurch geehrten Staates? Eine zur Farce ge- wordne Diplomatie Bayerns im Auslande, in der sonst ganz tüchtige Kräfte durch Nichtsthun und Salonleben verkümmern. Dabei wird das Ansehn des Reichs und des Deutschtums geschädigt, wenn einflußlose bayrische Gesandten und Ministerresidenten als gesellschaftliche Schmuckstücke in den europäischen Hauptstädten erscheinen. Man erzählt leider wahre Anekdoten über die diplo¬ matische Thätigkeit dieser bayrischen Vertreter, die für tüchtige Beamte be¬ schämend sein müssen. In Deutschland selbst mögen sich die Mittelstaaten diesen dynastischen Scherz erlauben, da er keinen Schaden stiftet, wenn er auch unnützes Geld kostet. Im Auslande kann er gefährlich werden. Wir erinnern an die Unterhandlungen Ludwigs II. mit den Orleans. Was unter einem geisteskranken König harmlos war, kann sich in schwerer Stunde gefährlich wiederholen. Die napoleonische Zeit mit dem Rheinbunde liegt noch kein Jahr¬ hundert hinter uns zurück. Festigen wir beizeiten das Reich; die Eigentümlich¬ keit und die Kunstblüte des Südens sollen hierdurch nicht gehindert werden, sie sollen sich vielmehr unter dem starken Reichsschutz mit doppelter Kraft entfalten. Die süddeutsche Abneigung wurzelt in der Verwechslung des Reichs mit dem Preußentum. Preußen hat gewiß im Süden nichts zu suchen, aber die gemeinsamen Neichseinrichtungen können doch auch nicht als preußische Ver¬ anstaltungen angesehen werden. Nur die Böswilligkeit eines Dr. Sigl, der aus seinem leider noch volkstümlichen Preußenhaß ein bezahltes Preßgewerbe wacht, kann solche Unterstellung wagen. München hat gern die Schacksche Galerie als kaiserliches Eigentum behalten, ebenso wie den kostbaren Stamm der "leer Pinakothek, die ursprüngliche Düsseldorfer Sammlung, die nicht persönliches Eigentum der wittelsbachischen Herzöge von Berg, sondern Staatsbesitz war. Preußens Unterlassungssünde besteht in der Geringschätzung der alten Reichs¬ erinnerungen, die im Süden noch lebendig sind. Die Hälfte Süddeutschlands bestand beim Zusammenbruch des alten Reichs aus unmittelbaren Städten und Standesherrschaften. Kaiser Friedrich hat sich mit klugem Verständnis im Süden nur als den Kronprinzen des Deutschen Reichs gefühlt. Er war auch durch die Vergangenheit mit der mühsamen und oft ungelohnten preußischen Vorarbeit zur Erneuerung des Reichs, die der alte, hochselige Herr nicht ver¬ gessen konnte, persönlich nicht verbunden. Wir sind ja Zeugen der Volks¬ tümlichkeit des Kronprinzen gewesen, ehe das heimtückische Leiden ihm die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/520>, abgerufen am 12.12.2024.