Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die große Aunstansstellnng in Berlin

Anton von Werner bei seinen geschichtlichen Bildern jederzeit mit der Wahrheit
sehr genau genommen hat, und wenn er sich hier wirklich eine poetische Freiheit
erlaubt hat, so darf er sich darauf berufen, daß das deutsche Volk seine beiden
nationalen Helden am liebsten in inniger Vereinigung sieht und sich selbst
durch die Macht der Thatsachen dieses ideale Bild nicht gern trüben läßt.
Nicht gering sind auch die koloristischen Vorzüge des Wernerschem Gemäldes.
Das Dunkel des Sterbezimmers, das nur durch die brennende Lampe auf
dem Nachttisch matt erhellt wird, hat dem Künstler die Möglichkeit geboten,
seine schon mehrfach erprobte Virtuosität in der Behandlung des Helldunkels
hier von neuem zu bewähren.

Was daneben noch von Bildern geschichtlichen Inhalts auf der Berliner
Ausstellung zu sehen ist, geht über die Illustration eines Vorkommnisses, dessen
Bedeutung ohne eine längere Erläuterung unklar bleibt, nicht hinaus. Haupt¬
sächlich kommen zwei Bilder in Betracht, die der Kaiser bestellt hat. Das
eine, von Hermann Knackfuß gemalt, hält eine Episode aus der Geschichte des
Hohenzollernschen Fürstenhauses im Mittelalter fest: Friedrich IV., Burggraf
von Nürnberg, empfängt vom Kaiser Heinrich VII. vor den Thoren Roms,
wohin er den Kaiser zur Krönung begleitet hat, den Ritterschlag, im Angesichte
feindlicher Scharen, die den Deutschen den Einzug in die Stadt verwehren
wollen. Es ist ein fleißig durchgeführtes, sichtlich auf gründlichen geschichtlichen
und archäologischen Studien aufgebautes Bild, das in Heller Farbenpracht
leuchtet; aber ein andres Gefühl als das der Freude an buntem Pomp wird
dadurch schwerlich befriedigt. Ans dem andern Bild, einem Werke des polnischen
Malers Adalbert von Kossak, wird wenigstens unser patriotisches Herz durch
die Ehrung erfreut, die hier altpreußischer Tapferkeit erwiesen wird. Es ist
die lebendige Schilderung einer Episode aus den Kämpfen, die das preußische
Heer im Winter des Jahres 1814 ans seinem Marsche nach Paris zu be¬
stehen hatte: das westpreußische Grenadierregiment bricht sich unter der Führung
des Prinzen August von Preußen mit dem Bajonett dnrch die französische
Reiterei Bahn.

Wie hoch wir auch die materielle und moralische Unterstützung anschlagen,
die der Kaiser der Malerei großen Stils und der Geschichtsmalerei zu teil
werden läßt, so ist doch vorauszusehen, daß der Kaiser allein ihren Verfall
oder vielmehr ihr allmähliches Verschwinden von unsern Ausstellungen auf die
Dauer nicht aufhalten kann. Auch die Verdienste und die Bemühungen der
Verbindung für historische Kunst wollen wir nicht unterschätzen; aber ihre
Mittel sind beschränkt im Verhältnis zu der Aufgabe, die hier zu lösen ist. Die
vom Staate unterstützten Museen scheinen ebenfalls an die Grenze ihrer Auf¬
nahmefähigkeit gelangt zu sein, und überdies werden viele von ihren Leitern
zur Zeit von einem Geist beseelt, der der historischen Malerei nichts weniger
als günstig ist. Eine wesentliche Förderung wäre dagegen von der Kunstpflege


Die große Aunstansstellnng in Berlin

Anton von Werner bei seinen geschichtlichen Bildern jederzeit mit der Wahrheit
sehr genau genommen hat, und wenn er sich hier wirklich eine poetische Freiheit
erlaubt hat, so darf er sich darauf berufen, daß das deutsche Volk seine beiden
nationalen Helden am liebsten in inniger Vereinigung sieht und sich selbst
durch die Macht der Thatsachen dieses ideale Bild nicht gern trüben läßt.
Nicht gering sind auch die koloristischen Vorzüge des Wernerschem Gemäldes.
Das Dunkel des Sterbezimmers, das nur durch die brennende Lampe auf
dem Nachttisch matt erhellt wird, hat dem Künstler die Möglichkeit geboten,
seine schon mehrfach erprobte Virtuosität in der Behandlung des Helldunkels
hier von neuem zu bewähren.

Was daneben noch von Bildern geschichtlichen Inhalts auf der Berliner
Ausstellung zu sehen ist, geht über die Illustration eines Vorkommnisses, dessen
Bedeutung ohne eine längere Erläuterung unklar bleibt, nicht hinaus. Haupt¬
sächlich kommen zwei Bilder in Betracht, die der Kaiser bestellt hat. Das
eine, von Hermann Knackfuß gemalt, hält eine Episode aus der Geschichte des
Hohenzollernschen Fürstenhauses im Mittelalter fest: Friedrich IV., Burggraf
von Nürnberg, empfängt vom Kaiser Heinrich VII. vor den Thoren Roms,
wohin er den Kaiser zur Krönung begleitet hat, den Ritterschlag, im Angesichte
feindlicher Scharen, die den Deutschen den Einzug in die Stadt verwehren
wollen. Es ist ein fleißig durchgeführtes, sichtlich auf gründlichen geschichtlichen
und archäologischen Studien aufgebautes Bild, das in Heller Farbenpracht
leuchtet; aber ein andres Gefühl als das der Freude an buntem Pomp wird
dadurch schwerlich befriedigt. Ans dem andern Bild, einem Werke des polnischen
Malers Adalbert von Kossak, wird wenigstens unser patriotisches Herz durch
die Ehrung erfreut, die hier altpreußischer Tapferkeit erwiesen wird. Es ist
die lebendige Schilderung einer Episode aus den Kämpfen, die das preußische
Heer im Winter des Jahres 1814 ans seinem Marsche nach Paris zu be¬
stehen hatte: das westpreußische Grenadierregiment bricht sich unter der Führung
des Prinzen August von Preußen mit dem Bajonett dnrch die französische
Reiterei Bahn.

Wie hoch wir auch die materielle und moralische Unterstützung anschlagen,
die der Kaiser der Malerei großen Stils und der Geschichtsmalerei zu teil
werden läßt, so ist doch vorauszusehen, daß der Kaiser allein ihren Verfall
oder vielmehr ihr allmähliches Verschwinden von unsern Ausstellungen auf die
Dauer nicht aufhalten kann. Auch die Verdienste und die Bemühungen der
Verbindung für historische Kunst wollen wir nicht unterschätzen; aber ihre
Mittel sind beschränkt im Verhältnis zu der Aufgabe, die hier zu lösen ist. Die
vom Staate unterstützten Museen scheinen ebenfalls an die Grenze ihrer Auf¬
nahmefähigkeit gelangt zu sein, und überdies werden viele von ihren Leitern
zur Zeit von einem Geist beseelt, der der historischen Malerei nichts weniger
als günstig ist. Eine wesentliche Förderung wäre dagegen von der Kunstpflege


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0052" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/229000"/>
          <fw type="header" place="top"> Die große Aunstansstellnng in Berlin</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_99" prev="#ID_98"> Anton von Werner bei seinen geschichtlichen Bildern jederzeit mit der Wahrheit<lb/>
sehr genau genommen hat, und wenn er sich hier wirklich eine poetische Freiheit<lb/>
erlaubt hat, so darf er sich darauf berufen, daß das deutsche Volk seine beiden<lb/>
nationalen Helden am liebsten in inniger Vereinigung sieht und sich selbst<lb/>
durch die Macht der Thatsachen dieses ideale Bild nicht gern trüben läßt.<lb/>
Nicht gering sind auch die koloristischen Vorzüge des Wernerschem Gemäldes.<lb/>
Das Dunkel des Sterbezimmers, das nur durch die brennende Lampe auf<lb/>
dem Nachttisch matt erhellt wird, hat dem Künstler die Möglichkeit geboten,<lb/>
seine schon mehrfach erprobte Virtuosität in der Behandlung des Helldunkels<lb/>
hier von neuem zu bewähren.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_100"> Was daneben noch von Bildern geschichtlichen Inhalts auf der Berliner<lb/>
Ausstellung zu sehen ist, geht über die Illustration eines Vorkommnisses, dessen<lb/>
Bedeutung ohne eine längere Erläuterung unklar bleibt, nicht hinaus. Haupt¬<lb/>
sächlich kommen zwei Bilder in Betracht, die der Kaiser bestellt hat. Das<lb/>
eine, von Hermann Knackfuß gemalt, hält eine Episode aus der Geschichte des<lb/>
Hohenzollernschen Fürstenhauses im Mittelalter fest: Friedrich IV., Burggraf<lb/>
von Nürnberg, empfängt vom Kaiser Heinrich VII. vor den Thoren Roms,<lb/>
wohin er den Kaiser zur Krönung begleitet hat, den Ritterschlag, im Angesichte<lb/>
feindlicher Scharen, die den Deutschen den Einzug in die Stadt verwehren<lb/>
wollen. Es ist ein fleißig durchgeführtes, sichtlich auf gründlichen geschichtlichen<lb/>
und archäologischen Studien aufgebautes Bild, das in Heller Farbenpracht<lb/>
leuchtet; aber ein andres Gefühl als das der Freude an buntem Pomp wird<lb/>
dadurch schwerlich befriedigt. Ans dem andern Bild, einem Werke des polnischen<lb/>
Malers Adalbert von Kossak, wird wenigstens unser patriotisches Herz durch<lb/>
die Ehrung erfreut, die hier altpreußischer Tapferkeit erwiesen wird. Es ist<lb/>
die lebendige Schilderung einer Episode aus den Kämpfen, die das preußische<lb/>
Heer im Winter des Jahres 1814 ans seinem Marsche nach Paris zu be¬<lb/>
stehen hatte: das westpreußische Grenadierregiment bricht sich unter der Führung<lb/>
des Prinzen August von Preußen mit dem Bajonett dnrch die französische<lb/>
Reiterei Bahn.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_101" next="#ID_102"> Wie hoch wir auch die materielle und moralische Unterstützung anschlagen,<lb/>
die der Kaiser der Malerei großen Stils und der Geschichtsmalerei zu teil<lb/>
werden läßt, so ist doch vorauszusehen, daß der Kaiser allein ihren Verfall<lb/>
oder vielmehr ihr allmähliches Verschwinden von unsern Ausstellungen auf die<lb/>
Dauer nicht aufhalten kann. Auch die Verdienste und die Bemühungen der<lb/>
Verbindung für historische Kunst wollen wir nicht unterschätzen; aber ihre<lb/>
Mittel sind beschränkt im Verhältnis zu der Aufgabe, die hier zu lösen ist. Die<lb/>
vom Staate unterstützten Museen scheinen ebenfalls an die Grenze ihrer Auf¬<lb/>
nahmefähigkeit gelangt zu sein, und überdies werden viele von ihren Leitern<lb/>
zur Zeit von einem Geist beseelt, der der historischen Malerei nichts weniger<lb/>
als günstig ist. Eine wesentliche Förderung wäre dagegen von der Kunstpflege</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0052] Die große Aunstansstellnng in Berlin Anton von Werner bei seinen geschichtlichen Bildern jederzeit mit der Wahrheit sehr genau genommen hat, und wenn er sich hier wirklich eine poetische Freiheit erlaubt hat, so darf er sich darauf berufen, daß das deutsche Volk seine beiden nationalen Helden am liebsten in inniger Vereinigung sieht und sich selbst durch die Macht der Thatsachen dieses ideale Bild nicht gern trüben läßt. Nicht gering sind auch die koloristischen Vorzüge des Wernerschem Gemäldes. Das Dunkel des Sterbezimmers, das nur durch die brennende Lampe auf dem Nachttisch matt erhellt wird, hat dem Künstler die Möglichkeit geboten, seine schon mehrfach erprobte Virtuosität in der Behandlung des Helldunkels hier von neuem zu bewähren. Was daneben noch von Bildern geschichtlichen Inhalts auf der Berliner Ausstellung zu sehen ist, geht über die Illustration eines Vorkommnisses, dessen Bedeutung ohne eine längere Erläuterung unklar bleibt, nicht hinaus. Haupt¬ sächlich kommen zwei Bilder in Betracht, die der Kaiser bestellt hat. Das eine, von Hermann Knackfuß gemalt, hält eine Episode aus der Geschichte des Hohenzollernschen Fürstenhauses im Mittelalter fest: Friedrich IV., Burggraf von Nürnberg, empfängt vom Kaiser Heinrich VII. vor den Thoren Roms, wohin er den Kaiser zur Krönung begleitet hat, den Ritterschlag, im Angesichte feindlicher Scharen, die den Deutschen den Einzug in die Stadt verwehren wollen. Es ist ein fleißig durchgeführtes, sichtlich auf gründlichen geschichtlichen und archäologischen Studien aufgebautes Bild, das in Heller Farbenpracht leuchtet; aber ein andres Gefühl als das der Freude an buntem Pomp wird dadurch schwerlich befriedigt. Ans dem andern Bild, einem Werke des polnischen Malers Adalbert von Kossak, wird wenigstens unser patriotisches Herz durch die Ehrung erfreut, die hier altpreußischer Tapferkeit erwiesen wird. Es ist die lebendige Schilderung einer Episode aus den Kämpfen, die das preußische Heer im Winter des Jahres 1814 ans seinem Marsche nach Paris zu be¬ stehen hatte: das westpreußische Grenadierregiment bricht sich unter der Führung des Prinzen August von Preußen mit dem Bajonett dnrch die französische Reiterei Bahn. Wie hoch wir auch die materielle und moralische Unterstützung anschlagen, die der Kaiser der Malerei großen Stils und der Geschichtsmalerei zu teil werden läßt, so ist doch vorauszusehen, daß der Kaiser allein ihren Verfall oder vielmehr ihr allmähliches Verschwinden von unsern Ausstellungen auf die Dauer nicht aufhalten kann. Auch die Verdienste und die Bemühungen der Verbindung für historische Kunst wollen wir nicht unterschätzen; aber ihre Mittel sind beschränkt im Verhältnis zu der Aufgabe, die hier zu lösen ist. Die vom Staate unterstützten Museen scheinen ebenfalls an die Grenze ihrer Auf¬ nahmefähigkeit gelangt zu sein, und überdies werden viele von ihren Leitern zur Zeit von einem Geist beseelt, der der historischen Malerei nichts weniger als günstig ist. Eine wesentliche Förderung wäre dagegen von der Kunstpflege

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/52
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/52>, abgerufen am 12.12.2024.