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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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der weißen Nasse verlieren, wenn er den Weißen als Strafknecht in der Kolonie
arbeiten sähe, so ist das ganz unverständlich. Daß Weiße Verbrechen zu be¬
gehen imstande sind, haben die afrikanischen Eingebornen nie bezweifelt, sobald
sie die Weißen kennen gelernt hatten, und die weitere Wahrnehmung, daß
Weiße wegen ihrer Verbrechen mit harten Strafen belegt werden, könnte auf
die sittliche Entwicklung der Eingebornen durch die Hebung ihres Gerechtig¬
keitsgefühls nur läuternd wirken. Dem Prestige des Reichs bei den Ein¬
gebornen haben die Verbrechen pflichtvergessener Kolonialbeamter mehr ge¬
schadet, als dies jemals durch den Anblick unsrer deportirten Sträflinge ge¬
schehen könnte.

Wichtiger erscheinen dem Laien auf den ersten Blick gewisse Einwendungen,
die besonders von Gegnern aus kolonialen Kreisen erhoben werden, so die zur
Diskreditirung des Deportationswesens in unkritischer Weise herangezognen
Mißerfolge der Staaten, die bisher die Deportationsstrafe eingeführt haben,
ferner der Einwand größerer Kostspieligkeit und die mit der Deportation ver¬
bundn? Fluchtgefahr. Alle diese Einwände lassen sich ohne Schwierigkeit
widerlegen.

Was insbesondre die angeblich schlechten Erfahrungen anlangt, die Eng¬
land mit seiner Strafkolonisation in Neusüdwales gemacht haben soll, so ist
nur soviel an dieser Behauptung wahr, daß sich die freien, eingewanderten
Kolonisten gegen weitere Verbrechersendungen aufgelehnt und damit der Depor¬
tation ein Ende bereitet haben. Nun habe ich aber gerade diesen Einwand
schon in meiner Abhandlung: "Fort mit den Zuchthäusern!" eingehend ge¬
würdigt. Es heißt dort: "Gegen diesen Einwand ist leicht Abhilfe möglich,
dadurch, daß man bestimmte Territorien von vornherein ausschließlich für ent¬
lassene Sträflinge zur Ansiedlung reservirt und die Ansiedlung freier Kolo¬
nisten in diesem Gebiete unter keiner Bedingung duldet. Sollte aber in der
Folge das Ansiedlungsgebiet nicht mehr zur Strafkolonisation geeignet er¬
scheinen, weil sich in demselben bereits eine Generation unbescholtner Nach¬
kommen entlassener Verbrecher befindet, so müßte, diese Strafkolonie als solche
durch ausdrücklichen Erlaß der Negierung geschlossen und formell das An¬
siedlungsgebiet auch freien Einwanderern geöffnet werden. Wer sich alsdann
w diesem Gebiete ansiedelt, darf sich über die Anwesenheit von entlassenen
Sträflingen oder Abkömmlingen derselben nicht beklagen. Er hatte ja bei
seiner Niederlassung Kenntnis vom Stande der Dinge. Außerdem steht ihm
jederzeit frei, durch Auswanderung seine Lage zu ändern. Mit der Schließung
einer solchen Strafkolonie braucht aber für das Deutsche Reich die Depor¬
tationsstrafe als solche noch lange nicht aus der Reihe der Strafmittel aus¬
zuscheiden, sondern es tritt sür das Reich nur die Notwendigkeit der Kolo-
nisirung an andern geeigneten Stellen ein. An solchen wird es in unserm
ausgedehnten Kolonialgebiet in absehbarer Zeit nicht fehlen. Sollte aber


Die Deportationsfrage vor dem deutschen I»nstentage ,„ Posen

der weißen Nasse verlieren, wenn er den Weißen als Strafknecht in der Kolonie
arbeiten sähe, so ist das ganz unverständlich. Daß Weiße Verbrechen zu be¬
gehen imstande sind, haben die afrikanischen Eingebornen nie bezweifelt, sobald
sie die Weißen kennen gelernt hatten, und die weitere Wahrnehmung, daß
Weiße wegen ihrer Verbrechen mit harten Strafen belegt werden, könnte auf
die sittliche Entwicklung der Eingebornen durch die Hebung ihres Gerechtig¬
keitsgefühls nur läuternd wirken. Dem Prestige des Reichs bei den Ein¬
gebornen haben die Verbrechen pflichtvergessener Kolonialbeamter mehr ge¬
schadet, als dies jemals durch den Anblick unsrer deportirten Sträflinge ge¬
schehen könnte.

Wichtiger erscheinen dem Laien auf den ersten Blick gewisse Einwendungen,
die besonders von Gegnern aus kolonialen Kreisen erhoben werden, so die zur
Diskreditirung des Deportationswesens in unkritischer Weise herangezognen
Mißerfolge der Staaten, die bisher die Deportationsstrafe eingeführt haben,
ferner der Einwand größerer Kostspieligkeit und die mit der Deportation ver¬
bundn? Fluchtgefahr. Alle diese Einwände lassen sich ohne Schwierigkeit
widerlegen.

Was insbesondre die angeblich schlechten Erfahrungen anlangt, die Eng¬
land mit seiner Strafkolonisation in Neusüdwales gemacht haben soll, so ist
nur soviel an dieser Behauptung wahr, daß sich die freien, eingewanderten
Kolonisten gegen weitere Verbrechersendungen aufgelehnt und damit der Depor¬
tation ein Ende bereitet haben. Nun habe ich aber gerade diesen Einwand
schon in meiner Abhandlung: „Fort mit den Zuchthäusern!" eingehend ge¬
würdigt. Es heißt dort: „Gegen diesen Einwand ist leicht Abhilfe möglich,
dadurch, daß man bestimmte Territorien von vornherein ausschließlich für ent¬
lassene Sträflinge zur Ansiedlung reservirt und die Ansiedlung freier Kolo¬
nisten in diesem Gebiete unter keiner Bedingung duldet. Sollte aber in der
Folge das Ansiedlungsgebiet nicht mehr zur Strafkolonisation geeignet er¬
scheinen, weil sich in demselben bereits eine Generation unbescholtner Nach¬
kommen entlassener Verbrecher befindet, so müßte, diese Strafkolonie als solche
durch ausdrücklichen Erlaß der Negierung geschlossen und formell das An¬
siedlungsgebiet auch freien Einwanderern geöffnet werden. Wer sich alsdann
w diesem Gebiete ansiedelt, darf sich über die Anwesenheit von entlassenen
Sträflingen oder Abkömmlingen derselben nicht beklagen. Er hatte ja bei
seiner Niederlassung Kenntnis vom Stande der Dinge. Außerdem steht ihm
jederzeit frei, durch Auswanderung seine Lage zu ändern. Mit der Schließung
einer solchen Strafkolonie braucht aber für das Deutsche Reich die Depor¬
tationsstrafe als solche noch lange nicht aus der Reihe der Strafmittel aus¬
zuscheiden, sondern es tritt sür das Reich nur die Notwendigkeit der Kolo-
nisirung an andern geeigneten Stellen ein. An solchen wird es in unserm
ausgedehnten Kolonialgebiet in absehbarer Zeit nicht fehlen. Sollte aber


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[0514] Die Deportationsfrage vor dem deutschen I»nstentage ,„ Posen der weißen Nasse verlieren, wenn er den Weißen als Strafknecht in der Kolonie arbeiten sähe, so ist das ganz unverständlich. Daß Weiße Verbrechen zu be¬ gehen imstande sind, haben die afrikanischen Eingebornen nie bezweifelt, sobald sie die Weißen kennen gelernt hatten, und die weitere Wahrnehmung, daß Weiße wegen ihrer Verbrechen mit harten Strafen belegt werden, könnte auf die sittliche Entwicklung der Eingebornen durch die Hebung ihres Gerechtig¬ keitsgefühls nur läuternd wirken. Dem Prestige des Reichs bei den Ein¬ gebornen haben die Verbrechen pflichtvergessener Kolonialbeamter mehr ge¬ schadet, als dies jemals durch den Anblick unsrer deportirten Sträflinge ge¬ schehen könnte. Wichtiger erscheinen dem Laien auf den ersten Blick gewisse Einwendungen, die besonders von Gegnern aus kolonialen Kreisen erhoben werden, so die zur Diskreditirung des Deportationswesens in unkritischer Weise herangezognen Mißerfolge der Staaten, die bisher die Deportationsstrafe eingeführt haben, ferner der Einwand größerer Kostspieligkeit und die mit der Deportation ver¬ bundn? Fluchtgefahr. Alle diese Einwände lassen sich ohne Schwierigkeit widerlegen. Was insbesondre die angeblich schlechten Erfahrungen anlangt, die Eng¬ land mit seiner Strafkolonisation in Neusüdwales gemacht haben soll, so ist nur soviel an dieser Behauptung wahr, daß sich die freien, eingewanderten Kolonisten gegen weitere Verbrechersendungen aufgelehnt und damit der Depor¬ tation ein Ende bereitet haben. Nun habe ich aber gerade diesen Einwand schon in meiner Abhandlung: „Fort mit den Zuchthäusern!" eingehend ge¬ würdigt. Es heißt dort: „Gegen diesen Einwand ist leicht Abhilfe möglich, dadurch, daß man bestimmte Territorien von vornherein ausschließlich für ent¬ lassene Sträflinge zur Ansiedlung reservirt und die Ansiedlung freier Kolo¬ nisten in diesem Gebiete unter keiner Bedingung duldet. Sollte aber in der Folge das Ansiedlungsgebiet nicht mehr zur Strafkolonisation geeignet er¬ scheinen, weil sich in demselben bereits eine Generation unbescholtner Nach¬ kommen entlassener Verbrecher befindet, so müßte, diese Strafkolonie als solche durch ausdrücklichen Erlaß der Negierung geschlossen und formell das An¬ siedlungsgebiet auch freien Einwanderern geöffnet werden. Wer sich alsdann w diesem Gebiete ansiedelt, darf sich über die Anwesenheit von entlassenen Sträflingen oder Abkömmlingen derselben nicht beklagen. Er hatte ja bei seiner Niederlassung Kenntnis vom Stande der Dinge. Außerdem steht ihm jederzeit frei, durch Auswanderung seine Lage zu ändern. Mit der Schließung einer solchen Strafkolonie braucht aber für das Deutsche Reich die Depor¬ tationsstrafe als solche noch lange nicht aus der Reihe der Strafmittel aus¬ zuscheiden, sondern es tritt sür das Reich nur die Notwendigkeit der Kolo- nisirung an andern geeigneten Stellen ein. An solchen wird es in unserm ausgedehnten Kolonialgebiet in absehbarer Zeit nicht fehlen. Sollte aber

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/514>, abgerufen am 24.07.2024.