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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Die Deportationsfrage vor dem deutschen Juristentage in Posen

stellen. Die technischen Fragen, die die Ausführung der Deportation betreffen,
gehören, wenn überhaupt, so doch erst in einem spätern Stadium vor sein
Forum. Wenn ich gleichwohl in diesem Referate gewisse der Kolonialpolitik
entlehnte Einwendungen berücksichtige, so geschieht dies nur zur Orientirung
des Juristeutages und nicht, um ihn dadurch zu einer Entscheidung in diesen
Fragen zu veranlassen. Für uns Juristen handelt es sich in erster Linie um
die kriminalrechtliche Frage: "Ob sich die Deportation nach unsern Kolonien
überhaupt als Strafmittel empfiehlt."

Die Einwendungen, die gegen die Deportation hie und da vorgebracht
zu werden pflegen, sind zum Teil nur vage Meinungsäußerungen, die sich
nicht auf thatsächliche Unterlagen stützen, sondern der Spekulation entlehnt
sind, so die Behauptung: "Die Deportation sei eine Feigheit," die "Depor¬
tation sei ein Ausfluß sozialer Faulheit."*) Zuweilen sind die Einwendungen
so oberflächlich, daß sich die Widerlegung jedem denkenden Menschen sofort von
selbst aufdrängt. So stellen einige Gegner die Sache so hin, als ob diese
Strafe von den Verbrechern gar nicht gefürchtet, vielmehr als eine angenehme
Reise ins Ausland gesucht werde. Diese Auffassung wird von einzelnen Aus¬
nahmefällen als Regel abstrahirt, aber sie berührt nicht das Wesen der Depor¬
tation, sondern nur die Frage nach ihrer zweckmäßigsten Ausgestaltung, damit
sie als Strafe empfunden werde. Sicherlich ist die Beschäftigung der Sträf¬
linge in unsern Strafanstalten im allgemeinen bedeutend weniger anstrengend
als die Arbeit, die wir in unsern Kolonien fordern können und müssen. Bis¬
weilen fehlt es in unsern inländischen Strafanstalten überhaupt an produktiver
Arbeit, und um die Sträflinge nur zu beschäftigen, wird zu ganz unmännlicher
Arbeiten gegriffen. Man läßt Männer in der Küche Kartoffeln schälen, Holz
spalten oder unaufhörlich die Austaltsräume und deren Inventar reinigen.
Ebenso hinfällig ist die Behauptung, "daß durch die Deportation von Sträf¬
lingen unser Prestige bei der eingebornen Bevölkerung leiden würde." Ab¬
gesehen davon, daß das für unsre Zwecke in Betracht kommende südwest-
afrikanische Schutzgebiet so gut wie menschenleer ist im dem ungeheuern, um
die Hälfte größern Lande als Deutschland wohnen im ganzen 100000 Menschen),
läßt sich auch an der Moral seiner Bewohner -- Hereros und Hottentotten --
nicht viel verderben. Wir müssen, wenn wir ehrlich sind, sogar eingestehen,
daß selbst unsre Sträflinge als Kulturmenschen jenen Barbaren nicht nur an
Intelligenz, sondern auch an Gesittung überlegen sind. Sicher kann es bei
der großen sozialen Bedeutung der Deportation für unser Volk wenig in
Betracht kommen, wie eine Handvoll Wilder über die sittliche Qualifikation
unsrer Sträflinge denkt.

Wenn aber gesagt wird, der Eingeborne in Afrika würde den Respekt vor



So Krohne, Lehrbuch der Gefängnis kunde, 1889, S, 208,
Die Deportationsfrage vor dem deutschen Juristentage in Posen

stellen. Die technischen Fragen, die die Ausführung der Deportation betreffen,
gehören, wenn überhaupt, so doch erst in einem spätern Stadium vor sein
Forum. Wenn ich gleichwohl in diesem Referate gewisse der Kolonialpolitik
entlehnte Einwendungen berücksichtige, so geschieht dies nur zur Orientirung
des Juristeutages und nicht, um ihn dadurch zu einer Entscheidung in diesen
Fragen zu veranlassen. Für uns Juristen handelt es sich in erster Linie um
die kriminalrechtliche Frage: „Ob sich die Deportation nach unsern Kolonien
überhaupt als Strafmittel empfiehlt."

Die Einwendungen, die gegen die Deportation hie und da vorgebracht
zu werden pflegen, sind zum Teil nur vage Meinungsäußerungen, die sich
nicht auf thatsächliche Unterlagen stützen, sondern der Spekulation entlehnt
sind, so die Behauptung: „Die Deportation sei eine Feigheit," die „Depor¬
tation sei ein Ausfluß sozialer Faulheit."*) Zuweilen sind die Einwendungen
so oberflächlich, daß sich die Widerlegung jedem denkenden Menschen sofort von
selbst aufdrängt. So stellen einige Gegner die Sache so hin, als ob diese
Strafe von den Verbrechern gar nicht gefürchtet, vielmehr als eine angenehme
Reise ins Ausland gesucht werde. Diese Auffassung wird von einzelnen Aus¬
nahmefällen als Regel abstrahirt, aber sie berührt nicht das Wesen der Depor¬
tation, sondern nur die Frage nach ihrer zweckmäßigsten Ausgestaltung, damit
sie als Strafe empfunden werde. Sicherlich ist die Beschäftigung der Sträf¬
linge in unsern Strafanstalten im allgemeinen bedeutend weniger anstrengend
als die Arbeit, die wir in unsern Kolonien fordern können und müssen. Bis¬
weilen fehlt es in unsern inländischen Strafanstalten überhaupt an produktiver
Arbeit, und um die Sträflinge nur zu beschäftigen, wird zu ganz unmännlicher
Arbeiten gegriffen. Man läßt Männer in der Küche Kartoffeln schälen, Holz
spalten oder unaufhörlich die Austaltsräume und deren Inventar reinigen.
Ebenso hinfällig ist die Behauptung, „daß durch die Deportation von Sträf¬
lingen unser Prestige bei der eingebornen Bevölkerung leiden würde." Ab¬
gesehen davon, daß das für unsre Zwecke in Betracht kommende südwest-
afrikanische Schutzgebiet so gut wie menschenleer ist im dem ungeheuern, um
die Hälfte größern Lande als Deutschland wohnen im ganzen 100000 Menschen),
läßt sich auch an der Moral seiner Bewohner — Hereros und Hottentotten —
nicht viel verderben. Wir müssen, wenn wir ehrlich sind, sogar eingestehen,
daß selbst unsre Sträflinge als Kulturmenschen jenen Barbaren nicht nur an
Intelligenz, sondern auch an Gesittung überlegen sind. Sicher kann es bei
der großen sozialen Bedeutung der Deportation für unser Volk wenig in
Betracht kommen, wie eine Handvoll Wilder über die sittliche Qualifikation
unsrer Sträflinge denkt.

Wenn aber gesagt wird, der Eingeborne in Afrika würde den Respekt vor



So Krohne, Lehrbuch der Gefängnis kunde, 1889, S, 208,
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[0513] Die Deportationsfrage vor dem deutschen Juristentage in Posen stellen. Die technischen Fragen, die die Ausführung der Deportation betreffen, gehören, wenn überhaupt, so doch erst in einem spätern Stadium vor sein Forum. Wenn ich gleichwohl in diesem Referate gewisse der Kolonialpolitik entlehnte Einwendungen berücksichtige, so geschieht dies nur zur Orientirung des Juristeutages und nicht, um ihn dadurch zu einer Entscheidung in diesen Fragen zu veranlassen. Für uns Juristen handelt es sich in erster Linie um die kriminalrechtliche Frage: „Ob sich die Deportation nach unsern Kolonien überhaupt als Strafmittel empfiehlt." Die Einwendungen, die gegen die Deportation hie und da vorgebracht zu werden pflegen, sind zum Teil nur vage Meinungsäußerungen, die sich nicht auf thatsächliche Unterlagen stützen, sondern der Spekulation entlehnt sind, so die Behauptung: „Die Deportation sei eine Feigheit," die „Depor¬ tation sei ein Ausfluß sozialer Faulheit."*) Zuweilen sind die Einwendungen so oberflächlich, daß sich die Widerlegung jedem denkenden Menschen sofort von selbst aufdrängt. So stellen einige Gegner die Sache so hin, als ob diese Strafe von den Verbrechern gar nicht gefürchtet, vielmehr als eine angenehme Reise ins Ausland gesucht werde. Diese Auffassung wird von einzelnen Aus¬ nahmefällen als Regel abstrahirt, aber sie berührt nicht das Wesen der Depor¬ tation, sondern nur die Frage nach ihrer zweckmäßigsten Ausgestaltung, damit sie als Strafe empfunden werde. Sicherlich ist die Beschäftigung der Sträf¬ linge in unsern Strafanstalten im allgemeinen bedeutend weniger anstrengend als die Arbeit, die wir in unsern Kolonien fordern können und müssen. Bis¬ weilen fehlt es in unsern inländischen Strafanstalten überhaupt an produktiver Arbeit, und um die Sträflinge nur zu beschäftigen, wird zu ganz unmännlicher Arbeiten gegriffen. Man läßt Männer in der Küche Kartoffeln schälen, Holz spalten oder unaufhörlich die Austaltsräume und deren Inventar reinigen. Ebenso hinfällig ist die Behauptung, „daß durch die Deportation von Sträf¬ lingen unser Prestige bei der eingebornen Bevölkerung leiden würde." Ab¬ gesehen davon, daß das für unsre Zwecke in Betracht kommende südwest- afrikanische Schutzgebiet so gut wie menschenleer ist im dem ungeheuern, um die Hälfte größern Lande als Deutschland wohnen im ganzen 100000 Menschen), läßt sich auch an der Moral seiner Bewohner — Hereros und Hottentotten — nicht viel verderben. Wir müssen, wenn wir ehrlich sind, sogar eingestehen, daß selbst unsre Sträflinge als Kulturmenschen jenen Barbaren nicht nur an Intelligenz, sondern auch an Gesittung überlegen sind. Sicher kann es bei der großen sozialen Bedeutung der Deportation für unser Volk wenig in Betracht kommen, wie eine Handvoll Wilder über die sittliche Qualifikation unsrer Sträflinge denkt. Wenn aber gesagt wird, der Eingeborne in Afrika würde den Respekt vor So Krohne, Lehrbuch der Gefängnis kunde, 1889, S, 208,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/513>, abgerufen am 24.07.2024.