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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Die Deportationsfrage vor dem deutschen Zuristentage in Posen

auch seine Gegner. Die für den deutschen Juristentag ausgearbeiteten beiden
Gutachten des Professors Bornhak und des Negieruugsratö Freund stehen in
der Deportationsfrcigc grundsätzlich auf meinem Staudpunkte. Sie treten
beide mit Entschiedenheit für einen Versuch mit der Deportation ein. Nur
darin weichen sie von meinem Projekte ab, daß sie die Deportation in be-
deutend engern Grenzen durchführen wollen. Bornhnk will nur solche Sträf¬
linge deportiren, die eine längere als dreijährige Freiheitsstrafe zu verbüßen
haben. Dann würde aber gerade die Gruppe von Sträflingen ausgeschlossen
sei", die die beste" Kräfte für die Deportation umfaßt, nämlich die jugendlichen
Gewohnheitsverbrecher im Alter von sechzehn bis achtzehn Jahren, die noch
um fähigsten zur Bildung und Akklimatisation sind, ferner das ungeheure Heer
der Friedensbrecher, die wegen Verübung von Noheits- und Eigentumsdelikten
und wegen Arbeitsscheu wiederholt bestraft worden sind. Betrug doch die
Zahl der gewerbsmäßigen Bettler und Vagabunden im Deutschen Reiche im
Jahre 1896 rund 200000! Unter den hier genannten Kategorien ist eine
große Zahl von Leuten, die viel geringere als dreijährige Freiheitsstrafen zu
verbüßen, und die noch nicht das dreißigste Lebensjahr überschritten haben.
Sie sind, weil sie in der Regel noch widerstandsfähiger find als die ergrauten
Zuchthausinsassen, das beste Material für die Deportation.

Born hat vertritt sogar die Ansicht, daß sich die Deportation in dem von
ihm vorgeschlagucn Umfange ohne weiteres aus Grund der bestehenden Straf-
gesetzgebung im Wege der Verwaltung einführen lasse, während ich die Mei¬
nung vertrete, daß die Deportation eine neue, von den bestehenden gesetzlichen
Freiheitsstrafen bedeutend abweichende Strafart sei und deshalb mir im Wege
der Gesetzgebung eingeführt werden könne. Dieser Meinung ist auch Freund,
allein in der Wirkung würde sein Vorschlag ebenso wie der Bornhaks zu einer
Verkümmerung des Instituts der Deportation führe", da auch Freund be¬
sondres Gewicht darauf legt, daß nur solche Sträflinge deportirt werden, die
Su lebenslänglichen Zuchthausstrafen oder zu zeitigen Freiheitsstrafen mindestens
von fünf Jahren verurteilt worden sind. Diese Dauer erreichen aber die von
deutschen Gerichten verhängten Freiheitsstrafen nur äußerst selten. Nach der
Kriminalstatistik des Deutschen Reichs vom Jahre 1893 wurden von 11232
Zuchthaus Verurteilten nur 1445 mit mehr als fünf Jahren und von
254181 zu Gefängnis Verurteilten nur 3141 zu zwei bis fünf Jahren ver¬
urteilt, und uuter diesen sind gerade solche Rückfällige, die schon durch wieder¬
holte Verbüßung von Freiheitsstrafen für die Deportation unbrauchbar ge¬
worden sind.

Trotz dieser und mehrerer andrer die praktische Durchführung betreffenden
^Meinungsverschiedenheiten besteht aber hinsichtlich der prinzipiellen Frage, die
dem Juristentage zur Beantwortung vorliegt, zwischen mir und den Herren
Gutachten, volle Übereinstimmung. Der deutsche Juristentag, der sich zum
erstenmale mit der Deportationsfrage befaßt, kann wohl nur ein Prinzip fest-


Die Deportationsfrage vor dem deutschen Zuristentage in Posen

auch seine Gegner. Die für den deutschen Juristentag ausgearbeiteten beiden
Gutachten des Professors Bornhak und des Negieruugsratö Freund stehen in
der Deportationsfrcigc grundsätzlich auf meinem Staudpunkte. Sie treten
beide mit Entschiedenheit für einen Versuch mit der Deportation ein. Nur
darin weichen sie von meinem Projekte ab, daß sie die Deportation in be-
deutend engern Grenzen durchführen wollen. Bornhnk will nur solche Sträf¬
linge deportiren, die eine längere als dreijährige Freiheitsstrafe zu verbüßen
haben. Dann würde aber gerade die Gruppe von Sträflingen ausgeschlossen
sei», die die beste» Kräfte für die Deportation umfaßt, nämlich die jugendlichen
Gewohnheitsverbrecher im Alter von sechzehn bis achtzehn Jahren, die noch
um fähigsten zur Bildung und Akklimatisation sind, ferner das ungeheure Heer
der Friedensbrecher, die wegen Verübung von Noheits- und Eigentumsdelikten
und wegen Arbeitsscheu wiederholt bestraft worden sind. Betrug doch die
Zahl der gewerbsmäßigen Bettler und Vagabunden im Deutschen Reiche im
Jahre 1896 rund 200000! Unter den hier genannten Kategorien ist eine
große Zahl von Leuten, die viel geringere als dreijährige Freiheitsstrafen zu
verbüßen, und die noch nicht das dreißigste Lebensjahr überschritten haben.
Sie sind, weil sie in der Regel noch widerstandsfähiger find als die ergrauten
Zuchthausinsassen, das beste Material für die Deportation.

Born hat vertritt sogar die Ansicht, daß sich die Deportation in dem von
ihm vorgeschlagucn Umfange ohne weiteres aus Grund der bestehenden Straf-
gesetzgebung im Wege der Verwaltung einführen lasse, während ich die Mei¬
nung vertrete, daß die Deportation eine neue, von den bestehenden gesetzlichen
Freiheitsstrafen bedeutend abweichende Strafart sei und deshalb mir im Wege
der Gesetzgebung eingeführt werden könne. Dieser Meinung ist auch Freund,
allein in der Wirkung würde sein Vorschlag ebenso wie der Bornhaks zu einer
Verkümmerung des Instituts der Deportation führe», da auch Freund be¬
sondres Gewicht darauf legt, daß nur solche Sträflinge deportirt werden, die
Su lebenslänglichen Zuchthausstrafen oder zu zeitigen Freiheitsstrafen mindestens
von fünf Jahren verurteilt worden sind. Diese Dauer erreichen aber die von
deutschen Gerichten verhängten Freiheitsstrafen nur äußerst selten. Nach der
Kriminalstatistik des Deutschen Reichs vom Jahre 1893 wurden von 11232
Zuchthaus Verurteilten nur 1445 mit mehr als fünf Jahren und von
254181 zu Gefängnis Verurteilten nur 3141 zu zwei bis fünf Jahren ver¬
urteilt, und uuter diesen sind gerade solche Rückfällige, die schon durch wieder¬
holte Verbüßung von Freiheitsstrafen für die Deportation unbrauchbar ge¬
worden sind.

Trotz dieser und mehrerer andrer die praktische Durchführung betreffenden
^Meinungsverschiedenheiten besteht aber hinsichtlich der prinzipiellen Frage, die
dem Juristentage zur Beantwortung vorliegt, zwischen mir und den Herren
Gutachten, volle Übereinstimmung. Der deutsche Juristentag, der sich zum
erstenmale mit der Deportationsfrage befaßt, kann wohl nur ein Prinzip fest-


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[0512] Die Deportationsfrage vor dem deutschen Zuristentage in Posen auch seine Gegner. Die für den deutschen Juristentag ausgearbeiteten beiden Gutachten des Professors Bornhak und des Negieruugsratö Freund stehen in der Deportationsfrcigc grundsätzlich auf meinem Staudpunkte. Sie treten beide mit Entschiedenheit für einen Versuch mit der Deportation ein. Nur darin weichen sie von meinem Projekte ab, daß sie die Deportation in be- deutend engern Grenzen durchführen wollen. Bornhnk will nur solche Sträf¬ linge deportiren, die eine längere als dreijährige Freiheitsstrafe zu verbüßen haben. Dann würde aber gerade die Gruppe von Sträflingen ausgeschlossen sei», die die beste» Kräfte für die Deportation umfaßt, nämlich die jugendlichen Gewohnheitsverbrecher im Alter von sechzehn bis achtzehn Jahren, die noch um fähigsten zur Bildung und Akklimatisation sind, ferner das ungeheure Heer der Friedensbrecher, die wegen Verübung von Noheits- und Eigentumsdelikten und wegen Arbeitsscheu wiederholt bestraft worden sind. Betrug doch die Zahl der gewerbsmäßigen Bettler und Vagabunden im Deutschen Reiche im Jahre 1896 rund 200000! Unter den hier genannten Kategorien ist eine große Zahl von Leuten, die viel geringere als dreijährige Freiheitsstrafen zu verbüßen, und die noch nicht das dreißigste Lebensjahr überschritten haben. Sie sind, weil sie in der Regel noch widerstandsfähiger find als die ergrauten Zuchthausinsassen, das beste Material für die Deportation. Born hat vertritt sogar die Ansicht, daß sich die Deportation in dem von ihm vorgeschlagucn Umfange ohne weiteres aus Grund der bestehenden Straf- gesetzgebung im Wege der Verwaltung einführen lasse, während ich die Mei¬ nung vertrete, daß die Deportation eine neue, von den bestehenden gesetzlichen Freiheitsstrafen bedeutend abweichende Strafart sei und deshalb mir im Wege der Gesetzgebung eingeführt werden könne. Dieser Meinung ist auch Freund, allein in der Wirkung würde sein Vorschlag ebenso wie der Bornhaks zu einer Verkümmerung des Instituts der Deportation führe», da auch Freund be¬ sondres Gewicht darauf legt, daß nur solche Sträflinge deportirt werden, die Su lebenslänglichen Zuchthausstrafen oder zu zeitigen Freiheitsstrafen mindestens von fünf Jahren verurteilt worden sind. Diese Dauer erreichen aber die von deutschen Gerichten verhängten Freiheitsstrafen nur äußerst selten. Nach der Kriminalstatistik des Deutschen Reichs vom Jahre 1893 wurden von 11232 Zuchthaus Verurteilten nur 1445 mit mehr als fünf Jahren und von 254181 zu Gefängnis Verurteilten nur 3141 zu zwei bis fünf Jahren ver¬ urteilt, und uuter diesen sind gerade solche Rückfällige, die schon durch wieder¬ holte Verbüßung von Freiheitsstrafen für die Deportation unbrauchbar ge¬ worden sind. Trotz dieser und mehrerer andrer die praktische Durchführung betreffenden ^Meinungsverschiedenheiten besteht aber hinsichtlich der prinzipiellen Frage, die dem Juristentage zur Beantwortung vorliegt, zwischen mir und den Herren Gutachten, volle Übereinstimmung. Der deutsche Juristentag, der sich zum erstenmale mit der Deportationsfrage befaßt, kann wohl nur ein Prinzip fest-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/512>, abgerufen am 24.07.2024.