Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.Praxiteles Auch Klein hat sich dieser Verpflichtung nicht entzogen und nicht ent¬ Wir haben diese Einzelheit aus dem reichen Stoffe des Kleinschen Buchs Praxiteles Auch Klein hat sich dieser Verpflichtung nicht entzogen und nicht ent¬ Wir haben diese Einzelheit aus dem reichen Stoffe des Kleinschen Buchs <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0495" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/229444"/> <fw type="header" place="top"> Praxiteles</fw><lb/> <p xml:id="ID_1402"> Auch Klein hat sich dieser Verpflichtung nicht entzogen und nicht ent¬<lb/> ziehen können, weil auch er sich vor der Autorität der Quellen nicht beugt,<lb/> wenn ihm die Ergebnisse der Stilanalyse etwas andres oder vielleicht einmal<lb/> sogar das Gegenteil sagen. „Ans dem stilanalytischen Gebiete — sagt er in<lb/> seiner Besprechung der Niobegruppe — hat uns die durch geistige Vererbung<lb/> gesteigerte Fähigkeit, die Sprache der Formen immer feiner zu hören, schon<lb/> ost über die Mängel der litterarischen Überlieferung hinweggeholfen," und durch<lb/> diese Feinhörigkeit glaubt er sich befähigt, die alte, von Plinius ausgeworfne<lb/> Streitfrage, ob Praxiteles oder Skopas der Schöpfer der Niobegruppe sei,<lb/> wenn auch noch nicht bestimmt lösen, so doch der Lösung näher bringen zu<lb/> können. Ein Epigramm der griechischen Anthologie hat ihn bei dem Vergleich<lb/> mit der Stelle des Plinius, an der von der Gruppe, die Rede ist, die uns in<lb/> den Florentiner Bildwerken erhalten wurde, zu der Überzeugung gebracht, daß<lb/> im Altertum nur ein Zweifel über den Schöpfer der Kinder geherrscht habe.<lb/> Die Gestalt der Mutter Niobe habe im Altertum unbestritten als ein Werk des<lb/> Praxiteles gegolten, und mit dieser Zuweisung stimmt auch die von Klein<lb/> gebotne Stilanalyse. Sie erstreckt sich auch auf die drei Töchter, und „die<lb/> frappante Familienähnlichkeit," die sie mit der Mutter verbindet, entscheidet<lb/> für denselben künstlerischen Urheber. In den Söhnen dagegen erkennt er<lb/> weder den Geist noch die Hand des Praxiteles. Er wagt sich aber auch<lb/> nicht für Skopas zu entscheiden, weil diese Frage für ihn noch nicht zu einer<lb/> Beantwortung reif ist, obwohl er sonst meint, daß die Zeit für eine Skopas-<lb/> monogrciphie sehr nahe sei.</p><lb/> <p xml:id="ID_1403" next="#ID_1404"> Wir haben diese Einzelheit aus dem reichen Stoffe des Kleinschen Buchs<lb/> hervorgehoben, weil sie das große Publikum besonders interessirt. Klein leitet<lb/> den Nivbetypus unmittelbar von dem der kritischen Venus ab. „Es sind sehr<lb/> verschiedne Gefühle, die Aphroditens und Niobens Augen feuchten, aber nur<lb/> leise Variationen scheiden ihren physiognomischen Ausdruck." Klein sieht in dem<lb/> Ausdruck des Niobetopfes eine Steigerung und Vertiefung des Ausdrucks im<lb/> Aphroditekopf und erkennt darin zugleich eine höhere Stufe der Entwicklung,<lb/> „die uns sein Hermes so glänzend vertritt." Im Gegensatz zu Brunn, der<lb/> in dem Hermes ein Jugendwerk des Künstlers vor sich zu sehen glaubte, stellt<lb/> Klein die Hermesgruppe auf die Höhe seines Schaffens, eine Meinung, die<lb/> jetzt wohl von allen namhaften Archäologen geteilt wird. Von dein Hermes<lb/> muß die Forschung über Praxiteles ausgehen, und bei ihm muß sie Halt<lb/> machen, weil es über ihn hinaus nichts höheres für uns giebt, weil der Hermes<lb/> für uns „den unmittelbaren, durch kein Zwischenglied abgeschwächten Kontakt<lb/> mit dem Meister bedeutet." Über den Hermes darf aber eigentlich nur der<lb/> urteilen und schreiben, der das Original in Olympia gesehen und in allen<lb/> Feinheiten studirt hat. „Es giebt wenig Antiken — sagt Collignon in seiner<lb/> »Geschichte der griechischen Plastik«, von der jetzt eine vortreffliche deutsche<lb/> Ausgabe vorliegt —, bei denen die Abgüsse und Abbildungen in solchem Maße<lb/> versagen, wie beim Hermes. Nur vor dem Original kann man die unerreichte<lb/> Vollkommenheit der Ausführung ermessen; in der Ausführung aber treten,<lb/> wenn es sich um einen Meister wie Praxiteles handelt, so recht die persönlichen<lb/> Vorzüge zu Tage." In dem Abschnitte, den Klein dem Hermes widmet, sind<lb/> gerade seine Bemerkungen über die Ausführung, über die Marmortechnik des<lb/> Praxiteles das Wertvollste. Wenn man sie mit der stilistischen Analyse Georg<lb/> Trens im Olhmpiawerke verbindet, sollte man meinen, daß menschlicher Scharf¬<lb/> sinn überhaupt nichts weiter mehr aus der Gruppe herauslesen könne. Der</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0495]
Praxiteles
Auch Klein hat sich dieser Verpflichtung nicht entzogen und nicht ent¬
ziehen können, weil auch er sich vor der Autorität der Quellen nicht beugt,
wenn ihm die Ergebnisse der Stilanalyse etwas andres oder vielleicht einmal
sogar das Gegenteil sagen. „Ans dem stilanalytischen Gebiete — sagt er in
seiner Besprechung der Niobegruppe — hat uns die durch geistige Vererbung
gesteigerte Fähigkeit, die Sprache der Formen immer feiner zu hören, schon
ost über die Mängel der litterarischen Überlieferung hinweggeholfen," und durch
diese Feinhörigkeit glaubt er sich befähigt, die alte, von Plinius ausgeworfne
Streitfrage, ob Praxiteles oder Skopas der Schöpfer der Niobegruppe sei,
wenn auch noch nicht bestimmt lösen, so doch der Lösung näher bringen zu
können. Ein Epigramm der griechischen Anthologie hat ihn bei dem Vergleich
mit der Stelle des Plinius, an der von der Gruppe, die Rede ist, die uns in
den Florentiner Bildwerken erhalten wurde, zu der Überzeugung gebracht, daß
im Altertum nur ein Zweifel über den Schöpfer der Kinder geherrscht habe.
Die Gestalt der Mutter Niobe habe im Altertum unbestritten als ein Werk des
Praxiteles gegolten, und mit dieser Zuweisung stimmt auch die von Klein
gebotne Stilanalyse. Sie erstreckt sich auch auf die drei Töchter, und „die
frappante Familienähnlichkeit," die sie mit der Mutter verbindet, entscheidet
für denselben künstlerischen Urheber. In den Söhnen dagegen erkennt er
weder den Geist noch die Hand des Praxiteles. Er wagt sich aber auch
nicht für Skopas zu entscheiden, weil diese Frage für ihn noch nicht zu einer
Beantwortung reif ist, obwohl er sonst meint, daß die Zeit für eine Skopas-
monogrciphie sehr nahe sei.
Wir haben diese Einzelheit aus dem reichen Stoffe des Kleinschen Buchs
hervorgehoben, weil sie das große Publikum besonders interessirt. Klein leitet
den Nivbetypus unmittelbar von dem der kritischen Venus ab. „Es sind sehr
verschiedne Gefühle, die Aphroditens und Niobens Augen feuchten, aber nur
leise Variationen scheiden ihren physiognomischen Ausdruck." Klein sieht in dem
Ausdruck des Niobetopfes eine Steigerung und Vertiefung des Ausdrucks im
Aphroditekopf und erkennt darin zugleich eine höhere Stufe der Entwicklung,
„die uns sein Hermes so glänzend vertritt." Im Gegensatz zu Brunn, der
in dem Hermes ein Jugendwerk des Künstlers vor sich zu sehen glaubte, stellt
Klein die Hermesgruppe auf die Höhe seines Schaffens, eine Meinung, die
jetzt wohl von allen namhaften Archäologen geteilt wird. Von dein Hermes
muß die Forschung über Praxiteles ausgehen, und bei ihm muß sie Halt
machen, weil es über ihn hinaus nichts höheres für uns giebt, weil der Hermes
für uns „den unmittelbaren, durch kein Zwischenglied abgeschwächten Kontakt
mit dem Meister bedeutet." Über den Hermes darf aber eigentlich nur der
urteilen und schreiben, der das Original in Olympia gesehen und in allen
Feinheiten studirt hat. „Es giebt wenig Antiken — sagt Collignon in seiner
»Geschichte der griechischen Plastik«, von der jetzt eine vortreffliche deutsche
Ausgabe vorliegt —, bei denen die Abgüsse und Abbildungen in solchem Maße
versagen, wie beim Hermes. Nur vor dem Original kann man die unerreichte
Vollkommenheit der Ausführung ermessen; in der Ausführung aber treten,
wenn es sich um einen Meister wie Praxiteles handelt, so recht die persönlichen
Vorzüge zu Tage." In dem Abschnitte, den Klein dem Hermes widmet, sind
gerade seine Bemerkungen über die Ausführung, über die Marmortechnik des
Praxiteles das Wertvollste. Wenn man sie mit der stilistischen Analyse Georg
Trens im Olhmpiawerke verbindet, sollte man meinen, daß menschlicher Scharf¬
sinn überhaupt nichts weiter mehr aus der Gruppe herauslesen könne. Der
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