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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Nordische Novellen

Fremdlinge zur Geltung kommen lassen. Die Grenzboten haben es immer als
eine ihrer Aufgaben angesehen, die Kenntnis dieser guten dänischen Novelle,
die unserm deutschen Sinne so sehr zusagt, mit verbreiten zu helfen. Sie
haben eben die Empfindung, daß das ein Stück Leben ist von unserm Leben,
etwas, was uns mit unsern nordischen Stammesvettern verbinden und ver¬
einigen kann bis dahin, wo wir hoffentlich auch einmal politisch werden zu¬
sammen gehen können.

Zu diesen guten dänischen Büchern gehört eine Erzählung von Zacharias
Nielsen, Die Kohlenbrenner, übersetzt von Pauline Klaiber (Leipzig,
Grunow), sie spannt nicht, wie ein überhitzter moderner Roman, sondern sie
sührt uns ruhig und allmählich ein in den Kreis ihrer Gestalten, die wir
dann am Schluß recht lieb geivonnen haben, sodaß wir gern vernehmen, wieviel
von dem Leben der hier geschilderten Familien auf wirklicher Geschichte beruht.
"Im Jahre 1883 noch konnte man zuweilen draußen auf der Heide eine große,
ernste alte Fran mit schwarzen Augen und ganz weißen Haaren herumgehen
sehen." Ihr Mann, ihre Kinder und viele ihrer Vorfahren ruhten damals
schon auf dem Kirchhof eines Dorfes des nordöstlichen Seelands nicht weit
von Kopenhagen, von wo ein alter freundlicher Herr alle Sommer die Greisin
zu besuchen pflegte, um mit ihr von alten Zeiten zu plaudern. Sie waren
allein übrig geblieben, und in ihren Herzen lebten die Erinnerungen weiter,
leuchtend und sich verklärend, je höher das Alter stieg. Der alte Herr war
unvermählt geblieben, denn die, mit der er jetzt sprach, Arme, hatte ja den
ihr vom Schicksal ausgehöhlten Mann bekommen, den Gespielen ihrer Kindheit,
den Nachbarssohn Svend, aber erst nach vielen Hindernissen und Irrungen
für beide. Diese sind der eigentliche Gegenstand der Erzählung. Prächtig,
wird dabei das äußere Leben der kohlenbrennenden Bauern in den Walddörfern
geschildert; der Beruf hat längst aufgehört, und mit seinen Nöten kämpft schon
dieses Geschlecht, das um 1830 jung war. Wohl sind es kräftige, rauhe, derbe
Menschen, äußerlich möchten wir nicht leben wie sie; aber wenn das Schicksal
sie angreift und sie bis in ihre Tiefen rüttelt, dann werden sie uns in den
Äußerungen ihres Gemüts zum Verwechseln ähnlich, wir verstehen sie und
denken uns ganz in sie hinein. Psychologisch ist die Erzählung noch viel
schöner als in der äußern Schilderung. Arme war arm und stolz zugleich,
das trieb die schon Versprochnen auseinander. Wer war schuld an der Tren¬
nung? Nach der Strafpredigt, die dem jungen Manne gehalten wird, dieser
allein (S. 144), was sich der Leser vielleicht noch etwas näher überlegen wird.
Jedenfalls büßt nun Svend lauge und schwer durch eine unglückliche und dann
wieder gelöste Ehe, und als er sich endlich zu seiner ersten Liebe zurückwenden
kann, hat auch Arme innere Erlebnisse zu überstehen gehabt; wir haben ja
den alten Herrn aus Kopenhagen schon kennen gelernt. Und nun kommt, ihr
feinen Stadtleser, die ihr in euern Romanen der nie ermüdenden Jagd nach


Nordische Novellen

Fremdlinge zur Geltung kommen lassen. Die Grenzboten haben es immer als
eine ihrer Aufgaben angesehen, die Kenntnis dieser guten dänischen Novelle,
die unserm deutschen Sinne so sehr zusagt, mit verbreiten zu helfen. Sie
haben eben die Empfindung, daß das ein Stück Leben ist von unserm Leben,
etwas, was uns mit unsern nordischen Stammesvettern verbinden und ver¬
einigen kann bis dahin, wo wir hoffentlich auch einmal politisch werden zu¬
sammen gehen können.

Zu diesen guten dänischen Büchern gehört eine Erzählung von Zacharias
Nielsen, Die Kohlenbrenner, übersetzt von Pauline Klaiber (Leipzig,
Grunow), sie spannt nicht, wie ein überhitzter moderner Roman, sondern sie
sührt uns ruhig und allmählich ein in den Kreis ihrer Gestalten, die wir
dann am Schluß recht lieb geivonnen haben, sodaß wir gern vernehmen, wieviel
von dem Leben der hier geschilderten Familien auf wirklicher Geschichte beruht.
„Im Jahre 1883 noch konnte man zuweilen draußen auf der Heide eine große,
ernste alte Fran mit schwarzen Augen und ganz weißen Haaren herumgehen
sehen." Ihr Mann, ihre Kinder und viele ihrer Vorfahren ruhten damals
schon auf dem Kirchhof eines Dorfes des nordöstlichen Seelands nicht weit
von Kopenhagen, von wo ein alter freundlicher Herr alle Sommer die Greisin
zu besuchen pflegte, um mit ihr von alten Zeiten zu plaudern. Sie waren
allein übrig geblieben, und in ihren Herzen lebten die Erinnerungen weiter,
leuchtend und sich verklärend, je höher das Alter stieg. Der alte Herr war
unvermählt geblieben, denn die, mit der er jetzt sprach, Arme, hatte ja den
ihr vom Schicksal ausgehöhlten Mann bekommen, den Gespielen ihrer Kindheit,
den Nachbarssohn Svend, aber erst nach vielen Hindernissen und Irrungen
für beide. Diese sind der eigentliche Gegenstand der Erzählung. Prächtig,
wird dabei das äußere Leben der kohlenbrennenden Bauern in den Walddörfern
geschildert; der Beruf hat längst aufgehört, und mit seinen Nöten kämpft schon
dieses Geschlecht, das um 1830 jung war. Wohl sind es kräftige, rauhe, derbe
Menschen, äußerlich möchten wir nicht leben wie sie; aber wenn das Schicksal
sie angreift und sie bis in ihre Tiefen rüttelt, dann werden sie uns in den
Äußerungen ihres Gemüts zum Verwechseln ähnlich, wir verstehen sie und
denken uns ganz in sie hinein. Psychologisch ist die Erzählung noch viel
schöner als in der äußern Schilderung. Arme war arm und stolz zugleich,
das trieb die schon Versprochnen auseinander. Wer war schuld an der Tren¬
nung? Nach der Strafpredigt, die dem jungen Manne gehalten wird, dieser
allein (S. 144), was sich der Leser vielleicht noch etwas näher überlegen wird.
Jedenfalls büßt nun Svend lauge und schwer durch eine unglückliche und dann
wieder gelöste Ehe, und als er sich endlich zu seiner ersten Liebe zurückwenden
kann, hat auch Arme innere Erlebnisse zu überstehen gehabt; wir haben ja
den alten Herrn aus Kopenhagen schon kennen gelernt. Und nun kommt, ihr
feinen Stadtleser, die ihr in euern Romanen der nie ermüdenden Jagd nach


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[0485] Nordische Novellen Fremdlinge zur Geltung kommen lassen. Die Grenzboten haben es immer als eine ihrer Aufgaben angesehen, die Kenntnis dieser guten dänischen Novelle, die unserm deutschen Sinne so sehr zusagt, mit verbreiten zu helfen. Sie haben eben die Empfindung, daß das ein Stück Leben ist von unserm Leben, etwas, was uns mit unsern nordischen Stammesvettern verbinden und ver¬ einigen kann bis dahin, wo wir hoffentlich auch einmal politisch werden zu¬ sammen gehen können. Zu diesen guten dänischen Büchern gehört eine Erzählung von Zacharias Nielsen, Die Kohlenbrenner, übersetzt von Pauline Klaiber (Leipzig, Grunow), sie spannt nicht, wie ein überhitzter moderner Roman, sondern sie sührt uns ruhig und allmählich ein in den Kreis ihrer Gestalten, die wir dann am Schluß recht lieb geivonnen haben, sodaß wir gern vernehmen, wieviel von dem Leben der hier geschilderten Familien auf wirklicher Geschichte beruht. „Im Jahre 1883 noch konnte man zuweilen draußen auf der Heide eine große, ernste alte Fran mit schwarzen Augen und ganz weißen Haaren herumgehen sehen." Ihr Mann, ihre Kinder und viele ihrer Vorfahren ruhten damals schon auf dem Kirchhof eines Dorfes des nordöstlichen Seelands nicht weit von Kopenhagen, von wo ein alter freundlicher Herr alle Sommer die Greisin zu besuchen pflegte, um mit ihr von alten Zeiten zu plaudern. Sie waren allein übrig geblieben, und in ihren Herzen lebten die Erinnerungen weiter, leuchtend und sich verklärend, je höher das Alter stieg. Der alte Herr war unvermählt geblieben, denn die, mit der er jetzt sprach, Arme, hatte ja den ihr vom Schicksal ausgehöhlten Mann bekommen, den Gespielen ihrer Kindheit, den Nachbarssohn Svend, aber erst nach vielen Hindernissen und Irrungen für beide. Diese sind der eigentliche Gegenstand der Erzählung. Prächtig, wird dabei das äußere Leben der kohlenbrennenden Bauern in den Walddörfern geschildert; der Beruf hat längst aufgehört, und mit seinen Nöten kämpft schon dieses Geschlecht, das um 1830 jung war. Wohl sind es kräftige, rauhe, derbe Menschen, äußerlich möchten wir nicht leben wie sie; aber wenn das Schicksal sie angreift und sie bis in ihre Tiefen rüttelt, dann werden sie uns in den Äußerungen ihres Gemüts zum Verwechseln ähnlich, wir verstehen sie und denken uns ganz in sie hinein. Psychologisch ist die Erzählung noch viel schöner als in der äußern Schilderung. Arme war arm und stolz zugleich, das trieb die schon Versprochnen auseinander. Wer war schuld an der Tren¬ nung? Nach der Strafpredigt, die dem jungen Manne gehalten wird, dieser allein (S. 144), was sich der Leser vielleicht noch etwas näher überlegen wird. Jedenfalls büßt nun Svend lauge und schwer durch eine unglückliche und dann wieder gelöste Ehe, und als er sich endlich zu seiner ersten Liebe zurückwenden kann, hat auch Arme innere Erlebnisse zu überstehen gehabt; wir haben ja den alten Herrn aus Kopenhagen schon kennen gelernt. Und nun kommt, ihr feinen Stadtleser, die ihr in euern Romanen der nie ermüdenden Jagd nach

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/485>, abgerufen am 24.07.2024.