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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Hundert Jahre Landwirtschaft i" Deutschland

hat mir oft erzählt, daß ihr Vater, der ein armer Mann war, seinen fünf
leiblichen Kindern und den beiden angenommnen Waislein zu sagen gepflegt
habe: Eßt, Kinder, eßt, das Brot ist wohlfeil!

Aber den größern Gutsbesitzern wurde diese Wohlfeilheit, die bis in die
dreißiger Jahre fortdauerte, verhängnisvoll. Der Doppelzentner Roggen hatte
trotz der guten Ernte von 1817 in der Zeit von 1816 bis 1820 im Durch¬
schnitt noch 15,18 Mark gekostet, der Durchschnittspreis für 1821 bis 1830
war 12.68, der für 1831 bis 1840 nur noch 10 Mark. Diese Zahlen giebt
das Handwörterbuch der Staatswissenschaften an; Eiuzelberichte enthalten weit
niedrigere Zahlen. In den zwanziger Jahren, schreibt Elsner, galt der preußische
Scheffel Weizen (85 bis 86 Pfund) 20 Silbergroschen (der Doppelzentner also
4,70 Mark), der Scheffel Roggen 15 Silbergroschen (der Doppelzentner also
3,53 Mary, Gerste 12, Hafer 9 Silbergroschen. "Wer nun ans seinem Gute
20000 Thaler mit 5 Prozent zu verzinsen hatte, der bedürfte dazu 1500
Scheffel Weizen oder 2000 Scheffel Roggen oder 2400 Scheffel Gerste. War
dann der Kaufpreis eines solchen Gutes 40000 Thaler, so war an Verzinsung
dieses Kapitals nicht zu denken; es mußten schon sehr gute Ernten gemacht
werden, um nur die 20000 Thaler Hypotheken zu verzinsen." Die guten
Ernten würden für sich allem den Preis noch nicht so tief gedrückt haben,
wenn nicht die Ausfuhr aufgehört hätte. Die nach England wurde zuerst
durch die Kontinentalsperre abgeschnitten und dann durch hohe Kornzölle erschwert
und durch die Ausdehnung des Weizenbaues in England, wozu die hohen
Preise verlockten, auf einige Zeit sogar überflüssig gemacht; die nach Frankreich
hörte auf, da Frankreich in ruhigen Zeiten das für seine Bevölkerung notwendige
Vrotlorn selbst zu erzeugen vermag; auch die spanische und die schwedische
Kundschaft fiel aus. Reiche Ernten -- die von 1823 wird überschwenglich
genannt -- befederten Überfluß, die Exporthäuser wurde" bei vollen Speicher"
bankrott, der Landmann jammerte,, die Getreidespekulation habe aufgehört, und
mit Hunderten von Scheffeln Korn auf dem Boden wisse er nicht, woher er
dreißig Thaler für dringende Ausgaben nehmen solle. (Unke, S. 33.) So kam
es denn zu vielen Subhastationen, und mancher verkaufte -- zum Glück für
seine Nachfolger -- voreilig aus freier Hand, der, wenn er ausgehalten hätte,
den Segen der auf die schlechte folgenden guten Zeit selbst hätte einheimsen
können. Avenarius schreibt 1827, viele Gläubiger hätten in der Hoffnung
auf bessere Zeiten ihren Schuldnern jahrelang Frist gegeben, aber das sei eben
doch nur ein Aufschub gewesen und habe den schließlichen Zusammenbruch nicht
aufhalten können. "Zwar hat auch hier die Gnade des Königs geholfen,
soweit dies mir möglich war, denn mehrere haben ansehnliche Summen zur
Unterstützung und Aushilfe erhalten; manche Familie ist dadurch gerettet worden,
aber allen konnte nicht geholfen werden; viele mußten dem Drange einer
schweren, unglücklichen Zeit unterliegen und ihre Güter verlassen." Nach Unke


Hundert Jahre Landwirtschaft i» Deutschland

hat mir oft erzählt, daß ihr Vater, der ein armer Mann war, seinen fünf
leiblichen Kindern und den beiden angenommnen Waislein zu sagen gepflegt
habe: Eßt, Kinder, eßt, das Brot ist wohlfeil!

Aber den größern Gutsbesitzern wurde diese Wohlfeilheit, die bis in die
dreißiger Jahre fortdauerte, verhängnisvoll. Der Doppelzentner Roggen hatte
trotz der guten Ernte von 1817 in der Zeit von 1816 bis 1820 im Durch¬
schnitt noch 15,18 Mark gekostet, der Durchschnittspreis für 1821 bis 1830
war 12.68, der für 1831 bis 1840 nur noch 10 Mark. Diese Zahlen giebt
das Handwörterbuch der Staatswissenschaften an; Eiuzelberichte enthalten weit
niedrigere Zahlen. In den zwanziger Jahren, schreibt Elsner, galt der preußische
Scheffel Weizen (85 bis 86 Pfund) 20 Silbergroschen (der Doppelzentner also
4,70 Mark), der Scheffel Roggen 15 Silbergroschen (der Doppelzentner also
3,53 Mary, Gerste 12, Hafer 9 Silbergroschen. „Wer nun ans seinem Gute
20000 Thaler mit 5 Prozent zu verzinsen hatte, der bedürfte dazu 1500
Scheffel Weizen oder 2000 Scheffel Roggen oder 2400 Scheffel Gerste. War
dann der Kaufpreis eines solchen Gutes 40000 Thaler, so war an Verzinsung
dieses Kapitals nicht zu denken; es mußten schon sehr gute Ernten gemacht
werden, um nur die 20000 Thaler Hypotheken zu verzinsen." Die guten
Ernten würden für sich allem den Preis noch nicht so tief gedrückt haben,
wenn nicht die Ausfuhr aufgehört hätte. Die nach England wurde zuerst
durch die Kontinentalsperre abgeschnitten und dann durch hohe Kornzölle erschwert
und durch die Ausdehnung des Weizenbaues in England, wozu die hohen
Preise verlockten, auf einige Zeit sogar überflüssig gemacht; die nach Frankreich
hörte auf, da Frankreich in ruhigen Zeiten das für seine Bevölkerung notwendige
Vrotlorn selbst zu erzeugen vermag; auch die spanische und die schwedische
Kundschaft fiel aus. Reiche Ernten — die von 1823 wird überschwenglich
genannt — befederten Überfluß, die Exporthäuser wurde» bei vollen Speicher»
bankrott, der Landmann jammerte,, die Getreidespekulation habe aufgehört, und
mit Hunderten von Scheffeln Korn auf dem Boden wisse er nicht, woher er
dreißig Thaler für dringende Ausgaben nehmen solle. (Unke, S. 33.) So kam
es denn zu vielen Subhastationen, und mancher verkaufte — zum Glück für
seine Nachfolger — voreilig aus freier Hand, der, wenn er ausgehalten hätte,
den Segen der auf die schlechte folgenden guten Zeit selbst hätte einheimsen
können. Avenarius schreibt 1827, viele Gläubiger hätten in der Hoffnung
auf bessere Zeiten ihren Schuldnern jahrelang Frist gegeben, aber das sei eben
doch nur ein Aufschub gewesen und habe den schließlichen Zusammenbruch nicht
aufhalten können. „Zwar hat auch hier die Gnade des Königs geholfen,
soweit dies mir möglich war, denn mehrere haben ansehnliche Summen zur
Unterstützung und Aushilfe erhalten; manche Familie ist dadurch gerettet worden,
aber allen konnte nicht geholfen werden; viele mußten dem Drange einer
schweren, unglücklichen Zeit unterliegen und ihre Güter verlassen." Nach Unke


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[0483] Hundert Jahre Landwirtschaft i» Deutschland hat mir oft erzählt, daß ihr Vater, der ein armer Mann war, seinen fünf leiblichen Kindern und den beiden angenommnen Waislein zu sagen gepflegt habe: Eßt, Kinder, eßt, das Brot ist wohlfeil! Aber den größern Gutsbesitzern wurde diese Wohlfeilheit, die bis in die dreißiger Jahre fortdauerte, verhängnisvoll. Der Doppelzentner Roggen hatte trotz der guten Ernte von 1817 in der Zeit von 1816 bis 1820 im Durch¬ schnitt noch 15,18 Mark gekostet, der Durchschnittspreis für 1821 bis 1830 war 12.68, der für 1831 bis 1840 nur noch 10 Mark. Diese Zahlen giebt das Handwörterbuch der Staatswissenschaften an; Eiuzelberichte enthalten weit niedrigere Zahlen. In den zwanziger Jahren, schreibt Elsner, galt der preußische Scheffel Weizen (85 bis 86 Pfund) 20 Silbergroschen (der Doppelzentner also 4,70 Mark), der Scheffel Roggen 15 Silbergroschen (der Doppelzentner also 3,53 Mary, Gerste 12, Hafer 9 Silbergroschen. „Wer nun ans seinem Gute 20000 Thaler mit 5 Prozent zu verzinsen hatte, der bedürfte dazu 1500 Scheffel Weizen oder 2000 Scheffel Roggen oder 2400 Scheffel Gerste. War dann der Kaufpreis eines solchen Gutes 40000 Thaler, so war an Verzinsung dieses Kapitals nicht zu denken; es mußten schon sehr gute Ernten gemacht werden, um nur die 20000 Thaler Hypotheken zu verzinsen." Die guten Ernten würden für sich allem den Preis noch nicht so tief gedrückt haben, wenn nicht die Ausfuhr aufgehört hätte. Die nach England wurde zuerst durch die Kontinentalsperre abgeschnitten und dann durch hohe Kornzölle erschwert und durch die Ausdehnung des Weizenbaues in England, wozu die hohen Preise verlockten, auf einige Zeit sogar überflüssig gemacht; die nach Frankreich hörte auf, da Frankreich in ruhigen Zeiten das für seine Bevölkerung notwendige Vrotlorn selbst zu erzeugen vermag; auch die spanische und die schwedische Kundschaft fiel aus. Reiche Ernten — die von 1823 wird überschwenglich genannt — befederten Überfluß, die Exporthäuser wurde» bei vollen Speicher» bankrott, der Landmann jammerte,, die Getreidespekulation habe aufgehört, und mit Hunderten von Scheffeln Korn auf dem Boden wisse er nicht, woher er dreißig Thaler für dringende Ausgaben nehmen solle. (Unke, S. 33.) So kam es denn zu vielen Subhastationen, und mancher verkaufte — zum Glück für seine Nachfolger — voreilig aus freier Hand, der, wenn er ausgehalten hätte, den Segen der auf die schlechte folgenden guten Zeit selbst hätte einheimsen können. Avenarius schreibt 1827, viele Gläubiger hätten in der Hoffnung auf bessere Zeiten ihren Schuldnern jahrelang Frist gegeben, aber das sei eben doch nur ein Aufschub gewesen und habe den schließlichen Zusammenbruch nicht aufhalten können. „Zwar hat auch hier die Gnade des Königs geholfen, soweit dies mir möglich war, denn mehrere haben ansehnliche Summen zur Unterstützung und Aushilfe erhalten; manche Familie ist dadurch gerettet worden, aber allen konnte nicht geholfen werden; viele mußten dem Drange einer schweren, unglücklichen Zeit unterliegen und ihre Güter verlassen." Nach Unke

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/483>, abgerufen am 12.12.2024.