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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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hundert Jahre Landiviitschaft in Deutschland

Würdigen Buches: Der Güterhandel und seine traurigen Folgen. Der Mann
ist, wie man aus einigen Stellen schließen muß, ein sächsischer Landwirt, in
seinem Fach zwar nur Empiriker, aber von guter allgemeiner, namentlich volks¬
wirtschaftlicher Bildung, und zwar erscheint er als nltrakonservativer Pessimist
malthusischer Richtung. Was von den Fortschritten der Landwirtschaft, von
der Erschließung überseeischer Länder, von den unermeßlichen Schätzen, die im
Boden schlummern und durch rationellen Anbau gehoben werden könnten, was
davon verkündigt wird, das hält er alles sür Fieberträume oder Schwindel.
Stark bevölkerte und auf den Erwerb in einer mit Maschinen betriebnen In¬
dustrie angewiesene Länder seien elend. Schlechter Boden könne nicht ver¬
bessert werden, oder wenn er verbessert werde, so verzehrten die Kosten den
Mehrertrag. Sich erinnernd, daß in der Nähe großer Städte in der That
Sand in gute Gartenerde verwandelt wird, meint er, das geschehe doch nur
sehr allmählich im Laufe langer Zeiträume dnrch die Ansammlung von Menschen
und Vieh, nicht gewaltsam und künstlich durch die Mittel, mit denen es die
rationellen Landwirte erzwingen wollten. Damit hat er wohl im allgemeinen
recht, er unterschätzt aber die Häufigkeit und Wichtigkeit dieser Art von Boden-
Verbesserung und die Macht des Menschen, sie künstlich zu beschleunigen. Auch
denkt er nur immer an die Verbesserung durch natürlichen Dünger, da seine
Zeit von dem Werte der anorganischen Bvdenbestandteile noch keine Kenntnis
hatte -- wenigstens keine theoretische; durch Erfahrung war man in England
schon früh aufs Mergeln verfallen -- und wußte nicht, daß die Pflanze ihre
organischen Bestandteile zum größten Teile aus der Luft beziehen kann. Daß
der Ertrag nicht allein durch Urbarmachung von Neulnud, sondern auch durch
bessere Kultur vermehrt worden sei, glaubt er nicht; er sucht die Unmöglichkeit
in einer langen Abhandlung zu beweisen, die übrigens der darin vorkommenden
landwirtschafts- und forsttechuischen Einzelheiten wegen sehr interessant ist:
Wäre wirklich, meint er dann, der Ertrag vermehrt worden, so müßte man
doch überall neue Scheuern zur Bergung des Mehrertrags entstehen sehen.
Zeitgenossen Hütten ihn durch Thatsachen belehren können, wie die oben aus
der Schrift des pommerschen Anonymus angeführte. Wir fügen noch eine aus
"angethal bei, die freilich erst einige Jahrzehnte später -- die genaue Zeit¬
angabe fehlt -- festgestellt worden ist. Die Flur Elfe im Koburgischen lieferte
^784 nur 135 Fuder Heu und 20 Fuder Klee, jetzt (wahrscheinlich um 1850)
liefert sie 450 Fuder Heu, 600 Fuder Klee und 360 Fuder Rüben. Vor
1784 ernährte sie 170 Rinder und 146 Schafe, jetzt 372 Rinder und 213
Schafe; 1784 erntete man 1813 Simri Getreide, jetzt erntet man 5175 Simri
und 5270 Sack Kartoffeln. Der Sachse will es nicht glauben, daß rationelle
Landwirte das sechste Korn ernteten, er ernte immer noch das vierte; mir teilt
ein Rittergutsbesitzer mit, daß er 1866 das achte, 1898 das zehnte Korn ge-
erntet habe. Daß aber diese Steigerung des Reinertrags nicht etwa durch


hundert Jahre Landiviitschaft in Deutschland

Würdigen Buches: Der Güterhandel und seine traurigen Folgen. Der Mann
ist, wie man aus einigen Stellen schließen muß, ein sächsischer Landwirt, in
seinem Fach zwar nur Empiriker, aber von guter allgemeiner, namentlich volks¬
wirtschaftlicher Bildung, und zwar erscheint er als nltrakonservativer Pessimist
malthusischer Richtung. Was von den Fortschritten der Landwirtschaft, von
der Erschließung überseeischer Länder, von den unermeßlichen Schätzen, die im
Boden schlummern und durch rationellen Anbau gehoben werden könnten, was
davon verkündigt wird, das hält er alles sür Fieberträume oder Schwindel.
Stark bevölkerte und auf den Erwerb in einer mit Maschinen betriebnen In¬
dustrie angewiesene Länder seien elend. Schlechter Boden könne nicht ver¬
bessert werden, oder wenn er verbessert werde, so verzehrten die Kosten den
Mehrertrag. Sich erinnernd, daß in der Nähe großer Städte in der That
Sand in gute Gartenerde verwandelt wird, meint er, das geschehe doch nur
sehr allmählich im Laufe langer Zeiträume dnrch die Ansammlung von Menschen
und Vieh, nicht gewaltsam und künstlich durch die Mittel, mit denen es die
rationellen Landwirte erzwingen wollten. Damit hat er wohl im allgemeinen
recht, er unterschätzt aber die Häufigkeit und Wichtigkeit dieser Art von Boden-
Verbesserung und die Macht des Menschen, sie künstlich zu beschleunigen. Auch
denkt er nur immer an die Verbesserung durch natürlichen Dünger, da seine
Zeit von dem Werte der anorganischen Bvdenbestandteile noch keine Kenntnis
hatte — wenigstens keine theoretische; durch Erfahrung war man in England
schon früh aufs Mergeln verfallen — und wußte nicht, daß die Pflanze ihre
organischen Bestandteile zum größten Teile aus der Luft beziehen kann. Daß
der Ertrag nicht allein durch Urbarmachung von Neulnud, sondern auch durch
bessere Kultur vermehrt worden sei, glaubt er nicht; er sucht die Unmöglichkeit
in einer langen Abhandlung zu beweisen, die übrigens der darin vorkommenden
landwirtschafts- und forsttechuischen Einzelheiten wegen sehr interessant ist:
Wäre wirklich, meint er dann, der Ertrag vermehrt worden, so müßte man
doch überall neue Scheuern zur Bergung des Mehrertrags entstehen sehen.
Zeitgenossen Hütten ihn durch Thatsachen belehren können, wie die oben aus
der Schrift des pommerschen Anonymus angeführte. Wir fügen noch eine aus
"angethal bei, die freilich erst einige Jahrzehnte später — die genaue Zeit¬
angabe fehlt — festgestellt worden ist. Die Flur Elfe im Koburgischen lieferte
^784 nur 135 Fuder Heu und 20 Fuder Klee, jetzt (wahrscheinlich um 1850)
liefert sie 450 Fuder Heu, 600 Fuder Klee und 360 Fuder Rüben. Vor
1784 ernährte sie 170 Rinder und 146 Schafe, jetzt 372 Rinder und 213
Schafe; 1784 erntete man 1813 Simri Getreide, jetzt erntet man 5175 Simri
und 5270 Sack Kartoffeln. Der Sachse will es nicht glauben, daß rationelle
Landwirte das sechste Korn ernteten, er ernte immer noch das vierte; mir teilt
ein Rittergutsbesitzer mit, daß er 1866 das achte, 1898 das zehnte Korn ge-
erntet habe. Daß aber diese Steigerung des Reinertrags nicht etwa durch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/478>, abgerufen am 24.07.2024.