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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Die große Kunstausstellung in Berlin

gestellt werden, und die protestantischen Kirchenbauvereine und Kirchenvorstünde
sind, wenn sie Geld haben, meist so mißtrauisch, daß sie schon in dem un¬
schuldigsten Versuch eines Künstlers, irgendwo ein Madonnenbild anzubringen,
krhptokatholische Absichten wittern.

Wir sind uns wohl bewußt, daß wir damit ein Gebiet berühren, das
sehr vorsichtig betreten werden muß, wenn man nicht stark entwickelte -- be¬
rechtigte und unberechtigte -- Gefühle verletzen will. Wir wollen uns auch
nicht weiter hineinwagen, sondern nur auf die Thatsache hinweisen, daß es
trotz der Millionen, die der evangelische Kirchenbauverein zusammen gebracht
und in und bei Berlin verwandt hat. bis jetzt noch nicht gelungen ist, eine
der vielen neuen Kirchen im Innern so auszuschmücken, daß in dem Besucher
nicht bloß das Andachtsgcfühl während des Gottesdienstes rege erhalten wird,
sondern auch sein Kunstgefühl in der Rückerinnerung an den heiligen Ort
lebendig bleibt. Trotz des reichen Aufwands von Malereien, von Mosaiken,
von reichem Schnitzwerk an Altären und Kanzeln, von plastischen Kunstwerken,
farbigen Glasfenstern mit figurenreichen Darstellungen u. tgi. in. ist es bisher
nicht geglückt, eine dieser modernen Kirchen dem Volke so lieb zu machen,
daß sich die Volksstimme erheben und sprechen könnte: "Das ist unsre Kirche,
dahin gehen wir!" Wenn wir hier einer reichern, jedoch mehr auf menue,
herzliche Wirkungen ausgehenden Ausschmückung unsrer protestantischen Kirchen
das Wort reden, so bitten wir. uns nicht mißzuverstehen. Nichts liegt uns
ferner, als eine Erneuerung jener devoter Kunst zu wünschen, die zum Bilder¬
dienst geführt und dadurch die Gegenbewegung des Neformationswerks erzeugt
hat, vor allem nicht des gedankenlosen Madonncnkultus, der die Grundlehren
des Christentums verkehrt und dem germanischen Geist eine falsche Richtung
gegeben hat. die ohne das kräftige Dreinschlagen Luthers zur völligen geistigen
Erschlaffung, vielleicht gar zum Untergang des deutschen Volkstums geführt
Hütte. Ein andres Gesicht gewinnen aber diese Schöpfungen mittelalterlicher
Kunst, denen die neuere noch nichts Überlegneres hat gegenüber stellen können,
wenn man sie nicht mehr als Andachtsbilder, als Gegenstände der Verehrung,
sondern als Kunstwerke schlechtweg oder auch nur als Dekorationsstücke be¬
trachtet. Dem Altar und der Kanzel möge auch in Zukunft jedes Bildwerk
fern bleiben, das dem Wesen des protestantischen Kultus zuwider ist. Wir
sehen aber keinen triftigen Grund, der gegen die Ausschmückung der Wände der
Seitenschiffe und der Pfeiler oder Säulen des Mittelschiffs, des Chors, der
Vorhalle usw. mit Bildwerken und beweglichen Gemälden sprechen könnte,
unter der Voraussetzung natürlich, daß der Inhalt der Kunstwerke aus der
evangelischen Überlieferung geschöpft wird, die in den Büchern des Neuen
Testaments zusammengefaßt ist.

Zu diesen Betrachtungen haben uns besonders zwei große Bildwerke der
Berliner Kunstausstellung, daneben auch einige Malereien angeregt. Diese Bild-


Die große Kunstausstellung in Berlin

gestellt werden, und die protestantischen Kirchenbauvereine und Kirchenvorstünde
sind, wenn sie Geld haben, meist so mißtrauisch, daß sie schon in dem un¬
schuldigsten Versuch eines Künstlers, irgendwo ein Madonnenbild anzubringen,
krhptokatholische Absichten wittern.

Wir sind uns wohl bewußt, daß wir damit ein Gebiet berühren, das
sehr vorsichtig betreten werden muß, wenn man nicht stark entwickelte — be¬
rechtigte und unberechtigte — Gefühle verletzen will. Wir wollen uns auch
nicht weiter hineinwagen, sondern nur auf die Thatsache hinweisen, daß es
trotz der Millionen, die der evangelische Kirchenbauverein zusammen gebracht
und in und bei Berlin verwandt hat. bis jetzt noch nicht gelungen ist, eine
der vielen neuen Kirchen im Innern so auszuschmücken, daß in dem Besucher
nicht bloß das Andachtsgcfühl während des Gottesdienstes rege erhalten wird,
sondern auch sein Kunstgefühl in der Rückerinnerung an den heiligen Ort
lebendig bleibt. Trotz des reichen Aufwands von Malereien, von Mosaiken,
von reichem Schnitzwerk an Altären und Kanzeln, von plastischen Kunstwerken,
farbigen Glasfenstern mit figurenreichen Darstellungen u. tgi. in. ist es bisher
nicht geglückt, eine dieser modernen Kirchen dem Volke so lieb zu machen,
daß sich die Volksstimme erheben und sprechen könnte: „Das ist unsre Kirche,
dahin gehen wir!" Wenn wir hier einer reichern, jedoch mehr auf menue,
herzliche Wirkungen ausgehenden Ausschmückung unsrer protestantischen Kirchen
das Wort reden, so bitten wir. uns nicht mißzuverstehen. Nichts liegt uns
ferner, als eine Erneuerung jener devoter Kunst zu wünschen, die zum Bilder¬
dienst geführt und dadurch die Gegenbewegung des Neformationswerks erzeugt
hat, vor allem nicht des gedankenlosen Madonncnkultus, der die Grundlehren
des Christentums verkehrt und dem germanischen Geist eine falsche Richtung
gegeben hat. die ohne das kräftige Dreinschlagen Luthers zur völligen geistigen
Erschlaffung, vielleicht gar zum Untergang des deutschen Volkstums geführt
Hütte. Ein andres Gesicht gewinnen aber diese Schöpfungen mittelalterlicher
Kunst, denen die neuere noch nichts Überlegneres hat gegenüber stellen können,
wenn man sie nicht mehr als Andachtsbilder, als Gegenstände der Verehrung,
sondern als Kunstwerke schlechtweg oder auch nur als Dekorationsstücke be¬
trachtet. Dem Altar und der Kanzel möge auch in Zukunft jedes Bildwerk
fern bleiben, das dem Wesen des protestantischen Kultus zuwider ist. Wir
sehen aber keinen triftigen Grund, der gegen die Ausschmückung der Wände der
Seitenschiffe und der Pfeiler oder Säulen des Mittelschiffs, des Chors, der
Vorhalle usw. mit Bildwerken und beweglichen Gemälden sprechen könnte,
unter der Voraussetzung natürlich, daß der Inhalt der Kunstwerke aus der
evangelischen Überlieferung geschöpft wird, die in den Büchern des Neuen
Testaments zusammengefaßt ist.

Zu diesen Betrachtungen haben uns besonders zwei große Bildwerke der
Berliner Kunstausstellung, daneben auch einige Malereien angeregt. Diese Bild-


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[0047] Die große Kunstausstellung in Berlin gestellt werden, und die protestantischen Kirchenbauvereine und Kirchenvorstünde sind, wenn sie Geld haben, meist so mißtrauisch, daß sie schon in dem un¬ schuldigsten Versuch eines Künstlers, irgendwo ein Madonnenbild anzubringen, krhptokatholische Absichten wittern. Wir sind uns wohl bewußt, daß wir damit ein Gebiet berühren, das sehr vorsichtig betreten werden muß, wenn man nicht stark entwickelte — be¬ rechtigte und unberechtigte — Gefühle verletzen will. Wir wollen uns auch nicht weiter hineinwagen, sondern nur auf die Thatsache hinweisen, daß es trotz der Millionen, die der evangelische Kirchenbauverein zusammen gebracht und in und bei Berlin verwandt hat. bis jetzt noch nicht gelungen ist, eine der vielen neuen Kirchen im Innern so auszuschmücken, daß in dem Besucher nicht bloß das Andachtsgcfühl während des Gottesdienstes rege erhalten wird, sondern auch sein Kunstgefühl in der Rückerinnerung an den heiligen Ort lebendig bleibt. Trotz des reichen Aufwands von Malereien, von Mosaiken, von reichem Schnitzwerk an Altären und Kanzeln, von plastischen Kunstwerken, farbigen Glasfenstern mit figurenreichen Darstellungen u. tgi. in. ist es bisher nicht geglückt, eine dieser modernen Kirchen dem Volke so lieb zu machen, daß sich die Volksstimme erheben und sprechen könnte: „Das ist unsre Kirche, dahin gehen wir!" Wenn wir hier einer reichern, jedoch mehr auf menue, herzliche Wirkungen ausgehenden Ausschmückung unsrer protestantischen Kirchen das Wort reden, so bitten wir. uns nicht mißzuverstehen. Nichts liegt uns ferner, als eine Erneuerung jener devoter Kunst zu wünschen, die zum Bilder¬ dienst geführt und dadurch die Gegenbewegung des Neformationswerks erzeugt hat, vor allem nicht des gedankenlosen Madonncnkultus, der die Grundlehren des Christentums verkehrt und dem germanischen Geist eine falsche Richtung gegeben hat. die ohne das kräftige Dreinschlagen Luthers zur völligen geistigen Erschlaffung, vielleicht gar zum Untergang des deutschen Volkstums geführt Hütte. Ein andres Gesicht gewinnen aber diese Schöpfungen mittelalterlicher Kunst, denen die neuere noch nichts Überlegneres hat gegenüber stellen können, wenn man sie nicht mehr als Andachtsbilder, als Gegenstände der Verehrung, sondern als Kunstwerke schlechtweg oder auch nur als Dekorationsstücke be¬ trachtet. Dem Altar und der Kanzel möge auch in Zukunft jedes Bildwerk fern bleiben, das dem Wesen des protestantischen Kultus zuwider ist. Wir sehen aber keinen triftigen Grund, der gegen die Ausschmückung der Wände der Seitenschiffe und der Pfeiler oder Säulen des Mittelschiffs, des Chors, der Vorhalle usw. mit Bildwerken und beweglichen Gemälden sprechen könnte, unter der Voraussetzung natürlich, daß der Inhalt der Kunstwerke aus der evangelischen Überlieferung geschöpft wird, die in den Büchern des Neuen Testaments zusammengefaßt ist. Zu diesen Betrachtungen haben uns besonders zwei große Bildwerke der Berliner Kunstausstellung, daneben auch einige Malereien angeregt. Diese Bild-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/47>, abgerufen am 12.12.2024.