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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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seinen Folgen gefühlt hat. Auch auf dem Gebiete des Handels vollendet der
dreißigjährige Krieg nur, was das sechzehnte Jahrhundert an den Rand des
Abgrunds gebracht hat. Die Deutschen wurden aus dem reichsten Volk Europas
das ärmste und unglücklichste. . . . Der Handel folgt der politischen Macht¬
stellung der Völker!"

Das ist unser Niedergang gewesen, unserm Ausschwung muß ganz natürlich
die Wiederaufnahme unsrer alten Beziehungen zum Orient, die Belebung der
nächsten und besten Handelsstraßen von Europa uach Asien durch deutsche
Kraft und deutsches Kapital folgen. Schon der Altmeister der deutschen Ge¬
schichtschreibung, L. v. Nnnke, hat sich im neunten Bande seiner Weltgeschichte
darüber geäußert: "Einer der größten natürlichen Handelsplätze der Welt ist
Konstantinopel. Nach meinem Dafürhalten wird Deutschland niemals wieder
seine richtige Stellung erlangen, wenn nicht diese Gebiete seinem Fleiße wieder
eröffnet, Konstantinopel in die Gemeinschaft der europäischen Nationen herein¬
gezogen wird."

Eine lange Zeit konnte man von dem rettungslosen Hinsiechen und dem
bevorstehenden Abscheiden des kranken Mannes am Bosporus lesen; das war
ein Gemeinplatz der öffentlichen Meinung geworden und gehörte zum eisernen
Bestände jedes politischen Schriftstellers. Aber ganz richtig war die Sache
deshalb doch nicht. Das osmanische Reich war -- nicht unähnlich dem Franken-
reiche im Abendlande -- durch Eroberung entstanden; sein Bestand war wie der
sast aller staatlichen Organisationen in ihrem Mittelalter wesentlich auf das
Lehnswesen gegründet. Die Derebegs entsprachen ziemlich genau unsern deutscheu
Gaugrafen. Eine orientalische Eigentümlichkeit, in der zugleich eine Stärke
wie eine Schwäche liegt, war und ist das Zusammenfallen der weltlichen und
der geistlichen Gewalt in der Person des Sultans. Natürlich ist dieser Zustand,
ausgenommen bei wenigen ganz außerordentlichen Persönlichkeiten, eine Fiktion
und nur in der Theorie richtig. In der Praxis herrschten früher die Ulemas"°>
und die Janitscharen in Konstantinopel, die Gouverneure in den Provinzen.
Wie überall hatte auch im Orient das Lehnswesen zu der schlimmsten De¬
zentralisation und Entartung aller staatlichen Zustände geführt. Nahmen die
Dinge in Deutschland um die Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts die ent¬
scheidende Wendung zum Schlimmen, so erfolgte diese Wendung in der Türkei
etwa hundert Jahre später. Hier bezeichnet die Regierung Suleimcms des
Großen (1520 bis 1566) den Gipfel und gleichzeitig den Beginn des Ver¬
falles -- ähnlich wie die Regierung Ludwigs XIV. in Frankreich, wie die
Friedrichs des Großen in Preußen. Nach einer der besten türkischen Quellen
liegen die Gründe sür den Verfall in fünf Umständen:



Die Ulemas sind dem französischen Adel der Robe zu vergleichen, haben aber außer
juridischen auch die religiösen Geschäfte zu führen,
Grenzboten IV 1398 57
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seinen Folgen gefühlt hat. Auch auf dem Gebiete des Handels vollendet der
dreißigjährige Krieg nur, was das sechzehnte Jahrhundert an den Rand des
Abgrunds gebracht hat. Die Deutschen wurden aus dem reichsten Volk Europas
das ärmste und unglücklichste. . . . Der Handel folgt der politischen Macht¬
stellung der Völker!"

Das ist unser Niedergang gewesen, unserm Ausschwung muß ganz natürlich
die Wiederaufnahme unsrer alten Beziehungen zum Orient, die Belebung der
nächsten und besten Handelsstraßen von Europa uach Asien durch deutsche
Kraft und deutsches Kapital folgen. Schon der Altmeister der deutschen Ge¬
schichtschreibung, L. v. Nnnke, hat sich im neunten Bande seiner Weltgeschichte
darüber geäußert: „Einer der größten natürlichen Handelsplätze der Welt ist
Konstantinopel. Nach meinem Dafürhalten wird Deutschland niemals wieder
seine richtige Stellung erlangen, wenn nicht diese Gebiete seinem Fleiße wieder
eröffnet, Konstantinopel in die Gemeinschaft der europäischen Nationen herein¬
gezogen wird."

Eine lange Zeit konnte man von dem rettungslosen Hinsiechen und dem
bevorstehenden Abscheiden des kranken Mannes am Bosporus lesen; das war
ein Gemeinplatz der öffentlichen Meinung geworden und gehörte zum eisernen
Bestände jedes politischen Schriftstellers. Aber ganz richtig war die Sache
deshalb doch nicht. Das osmanische Reich war — nicht unähnlich dem Franken-
reiche im Abendlande — durch Eroberung entstanden; sein Bestand war wie der
sast aller staatlichen Organisationen in ihrem Mittelalter wesentlich auf das
Lehnswesen gegründet. Die Derebegs entsprachen ziemlich genau unsern deutscheu
Gaugrafen. Eine orientalische Eigentümlichkeit, in der zugleich eine Stärke
wie eine Schwäche liegt, war und ist das Zusammenfallen der weltlichen und
der geistlichen Gewalt in der Person des Sultans. Natürlich ist dieser Zustand,
ausgenommen bei wenigen ganz außerordentlichen Persönlichkeiten, eine Fiktion
und nur in der Theorie richtig. In der Praxis herrschten früher die Ulemas"°>
und die Janitscharen in Konstantinopel, die Gouverneure in den Provinzen.
Wie überall hatte auch im Orient das Lehnswesen zu der schlimmsten De¬
zentralisation und Entartung aller staatlichen Zustände geführt. Nahmen die
Dinge in Deutschland um die Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts die ent¬
scheidende Wendung zum Schlimmen, so erfolgte diese Wendung in der Türkei
etwa hundert Jahre später. Hier bezeichnet die Regierung Suleimcms des
Großen (1520 bis 1566) den Gipfel und gleichzeitig den Beginn des Ver¬
falles — ähnlich wie die Regierung Ludwigs XIV. in Frankreich, wie die
Friedrichs des Großen in Preußen. Nach einer der besten türkischen Quellen
liegen die Gründe sür den Verfall in fünf Umständen:



Die Ulemas sind dem französischen Adel der Robe zu vergleichen, haben aber außer
juridischen auch die religiösen Geschäfte zu führen,
Grenzboten IV 1398 57
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/460>, abgerufen am 12.12.2024.