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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Die Vi-l regi-r des Weltverkehrs

zu überlassen habe. Man scheut sogar vor der unwürdigen Unterstellung
nicht zurück, daß die Reichstreue der Bundesfürsten durch Vorfälle wie der
lippische Ehrenrechtshandel erschüttert werdeu könne! Auch nur einen solchen
Gedanken zu äußern sollte schon der nationale Anstand verbieten; diese Reichs¬
treue steht uns felsenfest. Unsre Entwicklung hemmt nicht der fürstliche Parti¬
kularismus, sondern der Partikularismus im Volke, die Unfähigkeit, sich in
die großen Verhältnisse eines Nationalstaats einzuleben, während die Fürsten
uns mit gutem Beispiel darin vorangegangen sind. Die Möglichkeit aber, daß
das Deutsche Reich erschüttert werden könnte, darf gar nicht in Erwägung
gezogen werden, nicht einmal in Gedanken; die nationale Einheit ist ein moll
tiuiMi'iz für jeden Patrioten.

Die Grenzboten sind für Vismarck eingetreten zu einer Zeit, wo die ge¬
samte liberale Presse ihn nicht als den größten Staatsmann des Jahrhunderts
Pries, wie jetzt, sondern in ihm den leibhaftigen Gottseibeiuns sah und seine
Politik eine grundsatzlose Abenteurerpolitik schalt. Sie treten jetzt anch für
den Kaiser ein, trotz alles thörichten, boshaften und leichtfertigen Geschwätzes
ringsum, und trotz aller kleinlichen Schulmeisterei, die sich mit dem Mantel
des Freiheitsmutes drapirt, denn sie wissen, daß die Macht des Kaisers und
"° die Größe des Reichs von einander unzertrennlich sind.




9le ViÄ reAÄ des Weltverkehrs

le witzigen und unwitzigen Kritiken einer ganzen Anzahl unsrer
deutschen Blätter, die die öffentliche Meinung vertreten oder --
machen wollen, über die Orientreise des deutschen Kaisers zeugen
davon, daß der politische Instinkt in unserm lieben Vaterlande
noch immer in den Windeln liegt.


Wir sind gewohnt, das; die Menschen verhöhnen,
Wilh sie nicht verstehn!

^le weit voran darin sind uns immer noch unsre germanischen Vettern jenseits
des Kanals und jenseits des Atlantischen Ozeans! Dort hat man das feinste
Gefühl und das rascheste Verständnis für das eigne Interesse auch an den am
^Nisten liegenden Fragen, während sich bei uns die binnenländische Stammtisch¬
weisheit entweder für die Rechte unsrer Gegner erwärmt, oder doch wenigstens
an der Form, in der die vaterländischen Interessen geltend gemacht werden,


Die Vi-l regi-r des Weltverkehrs

zu überlassen habe. Man scheut sogar vor der unwürdigen Unterstellung
nicht zurück, daß die Reichstreue der Bundesfürsten durch Vorfälle wie der
lippische Ehrenrechtshandel erschüttert werdeu könne! Auch nur einen solchen
Gedanken zu äußern sollte schon der nationale Anstand verbieten; diese Reichs¬
treue steht uns felsenfest. Unsre Entwicklung hemmt nicht der fürstliche Parti¬
kularismus, sondern der Partikularismus im Volke, die Unfähigkeit, sich in
die großen Verhältnisse eines Nationalstaats einzuleben, während die Fürsten
uns mit gutem Beispiel darin vorangegangen sind. Die Möglichkeit aber, daß
das Deutsche Reich erschüttert werden könnte, darf gar nicht in Erwägung
gezogen werden, nicht einmal in Gedanken; die nationale Einheit ist ein moll
tiuiMi'iz für jeden Patrioten.

Die Grenzboten sind für Vismarck eingetreten zu einer Zeit, wo die ge¬
samte liberale Presse ihn nicht als den größten Staatsmann des Jahrhunderts
Pries, wie jetzt, sondern in ihm den leibhaftigen Gottseibeiuns sah und seine
Politik eine grundsatzlose Abenteurerpolitik schalt. Sie treten jetzt anch für
den Kaiser ein, trotz alles thörichten, boshaften und leichtfertigen Geschwätzes
ringsum, und trotz aller kleinlichen Schulmeisterei, die sich mit dem Mantel
des Freiheitsmutes drapirt, denn sie wissen, daß die Macht des Kaisers und
"° die Größe des Reichs von einander unzertrennlich sind.




9le ViÄ reAÄ des Weltverkehrs

le witzigen und unwitzigen Kritiken einer ganzen Anzahl unsrer
deutschen Blätter, die die öffentliche Meinung vertreten oder —
machen wollen, über die Orientreise des deutschen Kaisers zeugen
davon, daß der politische Instinkt in unserm lieben Vaterlande
noch immer in den Windeln liegt.


Wir sind gewohnt, das; die Menschen verhöhnen,
Wilh sie nicht verstehn!

^le weit voran darin sind uns immer noch unsre germanischen Vettern jenseits
des Kanals und jenseits des Atlantischen Ozeans! Dort hat man das feinste
Gefühl und das rascheste Verständnis für das eigne Interesse auch an den am
^Nisten liegenden Fragen, während sich bei uns die binnenländische Stammtisch¬
weisheit entweder für die Rechte unsrer Gegner erwärmt, oder doch wenigstens
an der Form, in der die vaterländischen Interessen geltend gemacht werden,


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[0456] Die Vi-l regi-r des Weltverkehrs zu überlassen habe. Man scheut sogar vor der unwürdigen Unterstellung nicht zurück, daß die Reichstreue der Bundesfürsten durch Vorfälle wie der lippische Ehrenrechtshandel erschüttert werdeu könne! Auch nur einen solchen Gedanken zu äußern sollte schon der nationale Anstand verbieten; diese Reichs¬ treue steht uns felsenfest. Unsre Entwicklung hemmt nicht der fürstliche Parti¬ kularismus, sondern der Partikularismus im Volke, die Unfähigkeit, sich in die großen Verhältnisse eines Nationalstaats einzuleben, während die Fürsten uns mit gutem Beispiel darin vorangegangen sind. Die Möglichkeit aber, daß das Deutsche Reich erschüttert werden könnte, darf gar nicht in Erwägung gezogen werden, nicht einmal in Gedanken; die nationale Einheit ist ein moll tiuiMi'iz für jeden Patrioten. Die Grenzboten sind für Vismarck eingetreten zu einer Zeit, wo die ge¬ samte liberale Presse ihn nicht als den größten Staatsmann des Jahrhunderts Pries, wie jetzt, sondern in ihm den leibhaftigen Gottseibeiuns sah und seine Politik eine grundsatzlose Abenteurerpolitik schalt. Sie treten jetzt anch für den Kaiser ein, trotz alles thörichten, boshaften und leichtfertigen Geschwätzes ringsum, und trotz aller kleinlichen Schulmeisterei, die sich mit dem Mantel des Freiheitsmutes drapirt, denn sie wissen, daß die Macht des Kaisers und "° die Größe des Reichs von einander unzertrennlich sind. 9le ViÄ reAÄ des Weltverkehrs le witzigen und unwitzigen Kritiken einer ganzen Anzahl unsrer deutschen Blätter, die die öffentliche Meinung vertreten oder — machen wollen, über die Orientreise des deutschen Kaisers zeugen davon, daß der politische Instinkt in unserm lieben Vaterlande noch immer in den Windeln liegt. Wir sind gewohnt, das; die Menschen verhöhnen, Wilh sie nicht verstehn! ^le weit voran darin sind uns immer noch unsre germanischen Vettern jenseits des Kanals und jenseits des Atlantischen Ozeans! Dort hat man das feinste Gefühl und das rascheste Verständnis für das eigne Interesse auch an den am ^Nisten liegenden Fragen, während sich bei uns die binnenländische Stammtisch¬ weisheit entweder für die Rechte unsrer Gegner erwärmt, oder doch wenigstens an der Form, in der die vaterländischen Interessen geltend gemacht werden,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/456>, abgerufen am 12.12.2024.