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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Deutsches Nationalinteresse und deutsches Fürstenrecht

ist es notwendig, der vergeßlichen Zeit einige hcirte und
unbequeme Thatsachen ins Gedächtnis zuriichnrnfen.
Verfassung des Deutschen Reichs beruht ans einem Ausgleich
den nationalen Gesamtinteressen und der Krone Preußen,
sie vertrat, ans der einen Seite, den Svndcriuicressen der
Fürstenhäuser und der einzelstaatlichen Selbständigkeit auf der andern. Diese
Selbständigkeit war schließlich derart in den Vordergrund gestellt worden,
daß sie den dringendsten Lebensinteressen der Nation schnurstracks entgegenlief
und eingeschränkt werden mußte, um jene zu wahren. Dies geschah 1866
mit Waffengewalt, durch den Sieg der Krone Preußen und ihres Heeres,
nicht durch eine friedliche Vereinbarung, die trotz zahlreicher Versuche eben
mißlungen war, weil das Nationalgefühl zu schwach war, den Widerstand zu
überwinden; es geschah im Widerspruch mit dem "legitimen" Fürstcnrecht,
das übrigens nicht weiter zurückgeht als bis 1806, und es mußten sogar die
historischen Rechte von vier Herrscherhäusern ganz zerstört werden, damit auch
nur das notwendigste Maß der Einheit erreicht würde. Erst auf Grund dieser
gewaltsamen Entscheidung kamen die vertragsmäßige!, Vereinbarungen über die
Verfassung des Norddeutschen Bundes zustande, der sich dann in den Ver¬
trägen von 1870 auch die süddeutschen Staaten unter gewissen Vorbehalten
unterordneten; eine völlige staatsrechtliche Neugründnng war die Reichsver-
fassung nicht, die grundlegenden Verträge wurden auch nicht von allen deutscheu
Staaten als Einzelkontraher.ten abgeschlossen, sondern vom Norddeutschen Bunde
auf der einen, den süddeutschen Staaten auf der andern Seite.

Nun sollte man meinen, jedem nationalgesinnten Deutschen und jedem
nationalen Blatte sollte diese einfache Sachlage jederzeit gegenwärtig sein, und
sie sollten daraus zwei einfache Schlüsse ziehen, nämlich erstens den, daß die


Grenzvotcn IV 1898 A>


Deutsches Nationalinteresse und deutsches Fürstenrecht

ist es notwendig, der vergeßlichen Zeit einige hcirte und
unbequeme Thatsachen ins Gedächtnis zuriichnrnfen.
Verfassung des Deutschen Reichs beruht ans einem Ausgleich
den nationalen Gesamtinteressen und der Krone Preußen,
sie vertrat, ans der einen Seite, den Svndcriuicressen der
Fürstenhäuser und der einzelstaatlichen Selbständigkeit auf der andern. Diese
Selbständigkeit war schließlich derart in den Vordergrund gestellt worden,
daß sie den dringendsten Lebensinteressen der Nation schnurstracks entgegenlief
und eingeschränkt werden mußte, um jene zu wahren. Dies geschah 1866
mit Waffengewalt, durch den Sieg der Krone Preußen und ihres Heeres,
nicht durch eine friedliche Vereinbarung, die trotz zahlreicher Versuche eben
mißlungen war, weil das Nationalgefühl zu schwach war, den Widerstand zu
überwinden; es geschah im Widerspruch mit dem „legitimen" Fürstcnrecht,
das übrigens nicht weiter zurückgeht als bis 1806, und es mußten sogar die
historischen Rechte von vier Herrscherhäusern ganz zerstört werden, damit auch
nur das notwendigste Maß der Einheit erreicht würde. Erst auf Grund dieser
gewaltsamen Entscheidung kamen die vertragsmäßige!, Vereinbarungen über die
Verfassung des Norddeutschen Bundes zustande, der sich dann in den Ver¬
trägen von 1870 auch die süddeutschen Staaten unter gewissen Vorbehalten
unterordneten; eine völlige staatsrechtliche Neugründnng war die Reichsver-
fassung nicht, die grundlegenden Verträge wurden auch nicht von allen deutscheu
Staaten als Einzelkontraher.ten abgeschlossen, sondern vom Norddeutschen Bunde
auf der einen, den süddeutschen Staaten auf der andern Seite.

Nun sollte man meinen, jedem nationalgesinnten Deutschen und jedem
nationalen Blatte sollte diese einfache Sachlage jederzeit gegenwärtig sein, und
sie sollten daraus zwei einfache Schlüsse ziehen, nämlich erstens den, daß die


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[0452] [Abbildung] Deutsches Nationalinteresse und deutsches Fürstenrecht ist es notwendig, der vergeßlichen Zeit einige hcirte und unbequeme Thatsachen ins Gedächtnis zuriichnrnfen. Verfassung des Deutschen Reichs beruht ans einem Ausgleich den nationalen Gesamtinteressen und der Krone Preußen, sie vertrat, ans der einen Seite, den Svndcriuicressen der Fürstenhäuser und der einzelstaatlichen Selbständigkeit auf der andern. Diese Selbständigkeit war schließlich derart in den Vordergrund gestellt worden, daß sie den dringendsten Lebensinteressen der Nation schnurstracks entgegenlief und eingeschränkt werden mußte, um jene zu wahren. Dies geschah 1866 mit Waffengewalt, durch den Sieg der Krone Preußen und ihres Heeres, nicht durch eine friedliche Vereinbarung, die trotz zahlreicher Versuche eben mißlungen war, weil das Nationalgefühl zu schwach war, den Widerstand zu überwinden; es geschah im Widerspruch mit dem „legitimen" Fürstcnrecht, das übrigens nicht weiter zurückgeht als bis 1806, und es mußten sogar die historischen Rechte von vier Herrscherhäusern ganz zerstört werden, damit auch nur das notwendigste Maß der Einheit erreicht würde. Erst auf Grund dieser gewaltsamen Entscheidung kamen die vertragsmäßige!, Vereinbarungen über die Verfassung des Norddeutschen Bundes zustande, der sich dann in den Ver¬ trägen von 1870 auch die süddeutschen Staaten unter gewissen Vorbehalten unterordneten; eine völlige staatsrechtliche Neugründnng war die Reichsver- fassung nicht, die grundlegenden Verträge wurden auch nicht von allen deutscheu Staaten als Einzelkontraher.ten abgeschlossen, sondern vom Norddeutschen Bunde auf der einen, den süddeutschen Staaten auf der andern Seite. Nun sollte man meinen, jedem nationalgesinnten Deutschen und jedem nationalen Blatte sollte diese einfache Sachlage jederzeit gegenwärtig sein, und sie sollten daraus zwei einfache Schlüsse ziehen, nämlich erstens den, daß die Grenzvotcn IV 1898 A>

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/452>, abgerufen am 12.12.2024.