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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Die große Kunstausstellung in Berlin

niemals tragisches, sondern höchstens nur weinerliches Pathos verfällt, wenn
er aus der intimen Bildnerei zu monumentaler Wirkung emporzusteigen sucht.
Darum geht der Deutsche kalt und unempfindlich an den zahllosen Denkmälern
vorüber, die seit 1870 in Frankreich und Italien entstanden sind. Die nationale
Empfindung und Empfindlichkeit spielen dabei gar keine Rolle. Italien ist
uns sogar sehr sympathisch. Das darf uns aber nicht hindern, zu bemerken,
daß die modernen Bildhauer Italiens nichts von dem monumentalen Gefühl
geerbt haben, das ihre Vorfahren Doncitello und Vcrrochio bei den beiden be¬
rühmten Reiterdenkmälern in Padua und Venedig beseelt hat. Während man
aber von den Denkmälern für Viktor Emanuel, Cavour, Garibcildi und andre
Heilige des politischen Himmels Italiens nur sagen kann, daß sie vergrößerte
Genregruppcn sind, haftet den meisten französischen Denkmälern neben dem
theatralischen auch ein grotesker Zug an. Das beste Beispiel dafür ist das
Gambettadenkmal in Paris, und daß diese Neigung zum Grotesken nicht bloß
der Ausfluß eines bis zum Wahnsinn erhitzten Patriotismus ist, beweisen
die monumentalen Bildwerke Nodins, das Denkmal sür Victor Hugo im
Pantheon und die Statue Balzaes, die allerdings selbst für die Nerven der
Pariser zu stark gewesen und deshalb von den Auftraggebern abgelehnt worden ist.

Es ist darum keine Überhebung, wenn wir sagen, daß der monumentale
Stil in der Plastik nur noch in Deutschland innerhalb der Überlieferungen
der antiken und der Renaissancekunst mit Verständnis gepflegt und weiter
entwickelt wird. Daß die Berliner Ausstellung gerade keine besonders glän¬
zenden Beläge für diesen Satz auszuweisen hat, ist mir ein Zufall. Sonst
kann man in jeder großen und jeder kleinen Stadt auf Plätzen und Brücken, in
Park- und Gartenanlagen, an Fassaden und in Vorhallen öffentlicher Gebäude
genug Beispiele auch dafür finden, daß geiht- und schwungvolle Erfindung sich
sehr wohl mit peinlicher Gewissenhaftigkeit der Ausführung verträgt. Zwei
typische Beispiele enthält aber auch die Berliner Ausstellung: das Bismarck-
denkmal für Wiesbaden von Ernst Herder und das Denkmal von Gauß und
Weber für Göttingen von Ferdinand Hartzer. Beide Künstler sind keine
eigentlich genialen Naturen, obwohl es ihnen in ihrer Jugend auch nicht an
poetischer Erfindungskraft gefehlt hat. Sie sind dafür aber völlig klar über die
Vorbedingungen monumentaler Wirkung, und ihre Auftraggeber haben immer
die Gewißheit, daß sie eine vollkommen einwandfreie Arbeit abliefern werden.
Das haben sie auch in diesem Falle gethan. Wer sich Bismarck nicht anders
vorstellen kann, als in den kritischen Momenten seiner politischen Laufbahn,
wo ihn nervöse und leidenschaftliche Erregung übermannte, der würde in der
Herterschen Figur sein Ideal nicht erreicht sehen. Der Künstler hat vielmehr
von jeder augenblicklichen Erregung, von jeder für einen bestimmten Zeit¬
abschnitt zurecht gemachten Individualisirung abgesehen und dafür alle Einzel-
züge zu einem Gesamtbilde voll Ruhe und sichern Beharrens zusammengefaßt.


Die große Kunstausstellung in Berlin

niemals tragisches, sondern höchstens nur weinerliches Pathos verfällt, wenn
er aus der intimen Bildnerei zu monumentaler Wirkung emporzusteigen sucht.
Darum geht der Deutsche kalt und unempfindlich an den zahllosen Denkmälern
vorüber, die seit 1870 in Frankreich und Italien entstanden sind. Die nationale
Empfindung und Empfindlichkeit spielen dabei gar keine Rolle. Italien ist
uns sogar sehr sympathisch. Das darf uns aber nicht hindern, zu bemerken,
daß die modernen Bildhauer Italiens nichts von dem monumentalen Gefühl
geerbt haben, das ihre Vorfahren Doncitello und Vcrrochio bei den beiden be¬
rühmten Reiterdenkmälern in Padua und Venedig beseelt hat. Während man
aber von den Denkmälern für Viktor Emanuel, Cavour, Garibcildi und andre
Heilige des politischen Himmels Italiens nur sagen kann, daß sie vergrößerte
Genregruppcn sind, haftet den meisten französischen Denkmälern neben dem
theatralischen auch ein grotesker Zug an. Das beste Beispiel dafür ist das
Gambettadenkmal in Paris, und daß diese Neigung zum Grotesken nicht bloß
der Ausfluß eines bis zum Wahnsinn erhitzten Patriotismus ist, beweisen
die monumentalen Bildwerke Nodins, das Denkmal sür Victor Hugo im
Pantheon und die Statue Balzaes, die allerdings selbst für die Nerven der
Pariser zu stark gewesen und deshalb von den Auftraggebern abgelehnt worden ist.

Es ist darum keine Überhebung, wenn wir sagen, daß der monumentale
Stil in der Plastik nur noch in Deutschland innerhalb der Überlieferungen
der antiken und der Renaissancekunst mit Verständnis gepflegt und weiter
entwickelt wird. Daß die Berliner Ausstellung gerade keine besonders glän¬
zenden Beläge für diesen Satz auszuweisen hat, ist mir ein Zufall. Sonst
kann man in jeder großen und jeder kleinen Stadt auf Plätzen und Brücken, in
Park- und Gartenanlagen, an Fassaden und in Vorhallen öffentlicher Gebäude
genug Beispiele auch dafür finden, daß geiht- und schwungvolle Erfindung sich
sehr wohl mit peinlicher Gewissenhaftigkeit der Ausführung verträgt. Zwei
typische Beispiele enthält aber auch die Berliner Ausstellung: das Bismarck-
denkmal für Wiesbaden von Ernst Herder und das Denkmal von Gauß und
Weber für Göttingen von Ferdinand Hartzer. Beide Künstler sind keine
eigentlich genialen Naturen, obwohl es ihnen in ihrer Jugend auch nicht an
poetischer Erfindungskraft gefehlt hat. Sie sind dafür aber völlig klar über die
Vorbedingungen monumentaler Wirkung, und ihre Auftraggeber haben immer
die Gewißheit, daß sie eine vollkommen einwandfreie Arbeit abliefern werden.
Das haben sie auch in diesem Falle gethan. Wer sich Bismarck nicht anders
vorstellen kann, als in den kritischen Momenten seiner politischen Laufbahn,
wo ihn nervöse und leidenschaftliche Erregung übermannte, der würde in der
Herterschen Figur sein Ideal nicht erreicht sehen. Der Künstler hat vielmehr
von jeder augenblicklichen Erregung, von jeder für einen bestimmten Zeit¬
abschnitt zurecht gemachten Individualisirung abgesehen und dafür alle Einzel-
züge zu einem Gesamtbilde voll Ruhe und sichern Beharrens zusammengefaßt.


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[0044] Die große Kunstausstellung in Berlin niemals tragisches, sondern höchstens nur weinerliches Pathos verfällt, wenn er aus der intimen Bildnerei zu monumentaler Wirkung emporzusteigen sucht. Darum geht der Deutsche kalt und unempfindlich an den zahllosen Denkmälern vorüber, die seit 1870 in Frankreich und Italien entstanden sind. Die nationale Empfindung und Empfindlichkeit spielen dabei gar keine Rolle. Italien ist uns sogar sehr sympathisch. Das darf uns aber nicht hindern, zu bemerken, daß die modernen Bildhauer Italiens nichts von dem monumentalen Gefühl geerbt haben, das ihre Vorfahren Doncitello und Vcrrochio bei den beiden be¬ rühmten Reiterdenkmälern in Padua und Venedig beseelt hat. Während man aber von den Denkmälern für Viktor Emanuel, Cavour, Garibcildi und andre Heilige des politischen Himmels Italiens nur sagen kann, daß sie vergrößerte Genregruppcn sind, haftet den meisten französischen Denkmälern neben dem theatralischen auch ein grotesker Zug an. Das beste Beispiel dafür ist das Gambettadenkmal in Paris, und daß diese Neigung zum Grotesken nicht bloß der Ausfluß eines bis zum Wahnsinn erhitzten Patriotismus ist, beweisen die monumentalen Bildwerke Nodins, das Denkmal sür Victor Hugo im Pantheon und die Statue Balzaes, die allerdings selbst für die Nerven der Pariser zu stark gewesen und deshalb von den Auftraggebern abgelehnt worden ist. Es ist darum keine Überhebung, wenn wir sagen, daß der monumentale Stil in der Plastik nur noch in Deutschland innerhalb der Überlieferungen der antiken und der Renaissancekunst mit Verständnis gepflegt und weiter entwickelt wird. Daß die Berliner Ausstellung gerade keine besonders glän¬ zenden Beläge für diesen Satz auszuweisen hat, ist mir ein Zufall. Sonst kann man in jeder großen und jeder kleinen Stadt auf Plätzen und Brücken, in Park- und Gartenanlagen, an Fassaden und in Vorhallen öffentlicher Gebäude genug Beispiele auch dafür finden, daß geiht- und schwungvolle Erfindung sich sehr wohl mit peinlicher Gewissenhaftigkeit der Ausführung verträgt. Zwei typische Beispiele enthält aber auch die Berliner Ausstellung: das Bismarck- denkmal für Wiesbaden von Ernst Herder und das Denkmal von Gauß und Weber für Göttingen von Ferdinand Hartzer. Beide Künstler sind keine eigentlich genialen Naturen, obwohl es ihnen in ihrer Jugend auch nicht an poetischer Erfindungskraft gefehlt hat. Sie sind dafür aber völlig klar über die Vorbedingungen monumentaler Wirkung, und ihre Auftraggeber haben immer die Gewißheit, daß sie eine vollkommen einwandfreie Arbeit abliefern werden. Das haben sie auch in diesem Falle gethan. Wer sich Bismarck nicht anders vorstellen kann, als in den kritischen Momenten seiner politischen Laufbahn, wo ihn nervöse und leidenschaftliche Erregung übermannte, der würde in der Herterschen Figur sein Ideal nicht erreicht sehen. Der Künstler hat vielmehr von jeder augenblicklichen Erregung, von jeder für einen bestimmten Zeit¬ abschnitt zurecht gemachten Individualisirung abgesehen und dafür alle Einzel- züge zu einem Gesamtbilde voll Ruhe und sichern Beharrens zusammengefaßt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/44>, abgerufen am 24.07.2024.