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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Steht die katholische Belletristik auf der Höhe der Zeit?

offenbar auch Veremundns die betreffenden Ausführungen gefaßt sehen, wie,
das deutlich aus der Broschüre hervorgeht. Es ist also nicht sehr gründlich
gedacht, wenn Pater Gietmcmu folgendes schreibt: "Schönheit, wahre und echte
Schönheit schließt den Nutzen, den geistigen und sittlichen Nutzen, nicht aus" --
wir verbessern sofort: wahre Schönheit ist geistiger und sittlicher Nutzen.
Und ebenso wenig Einblick in des Künstlers Wesen verrät der Satz: "Der
Künstler erfüllt feine Aufgabe als Mensch sehr schlecht, wenn er an nichts
denken will, als an die durch eine schöne Darstellung -- Herr Gietmann
verwechselt "schön" offenbar mit dem oberflächlichen "hübsch" oder "ge¬
fällig!" -- zu erzielende Befriedigung des Publikums. Man wendet vielleicht
ein, der rechte Nutzen komme von selbst. Gut, dann hat das Verbot des
Zweckes sVeremundns "verbietet" nicht, sondern als richtiger Ästhetiker stellt
er nur festlj noch weniger Grund. Kann man denn zwei Zwecke nicht zugleich
anstreben und auch erreichen, wenn dieselben so innig wie hier miteinander
verbunden sind?"

Zwei Zwecke zugleich anstreben und auch erreichen -- das ist wieder eine
Phrase, die in eine reifere Ästhetik nicht hineinpaßt, die das Schaffen des
grübelnden Dilettanten und kleinen Talents vielleicht ausreichend bezeichnet,
dem seherischen Gestalten des wahren und großen Dichters jedoch nicht im ge¬
ringsten entspricht; denn dessen Schaffen und Schauen ist wie ein Natur¬
ereignis, hinter dessen kraftvoller Stimmung und Fülle der Empfindung Spie߬
bürgerworte wie "Zweck anstreben" in wesenlosen Scheine zurückbleiben. Hin¬
weise auf die gotischen Dome und Palestriuas Kirchenmusik ändern daran
nichts: nicht um einen religiösen "Zweck" zu erreichen schufen diese Männer,
sondern aus ihrer gesamten religiösen Empfindungswelt und dem Geist ihrer
Zeit heraus, also gerade umgekehrt. Es ist uns nach alledem nicht wunder¬
bar, wenn der priesterliche Ästhetiker seine moralisirende Austastung in den
stilistisch nicht eben glücklichen Worten zusammenfaßt: "Für uns Katholiken
gilt der Grundsatz, daß der Künstler seine Gottesgabe in den Dienst höherer
Zwecke stelle, daß er durch dieselbe, soweit er dies mit den Mitteln seiner
Kunst vermag, der menschlichen Gesellschaft wahrhaft nützlich und förderlich
werden und so dieselbe (!) auch zu einem Hebel der Tugend und der religiösen
Gesinnung machen solle." Das klingt bieder und erbaulich; und die elende
Halb- und Scheinkunst des Tendenzromans jeder Art ist glücklich wieder
gerettet.

Diese echt Gietmannsche Betrachtung, die den gegenwärtigen Tiefstand
der katholischen Ästhetik trefflich charakterisirt, ist immerhin in vornehmer Sach¬
lichkeit gehalten. Dafür ist ein Artikel der Augsburger Postzeitung (Ur. 214)
umso würdeloser und leider für den schlechtem Teil der katholischen Presse,
die augenblicklich dort so starke "Hetzpresse," nicht minder bezeichnend. Es ist
ein altes, durch und durch religiös und sittlich verwerfliches, aber freilich in


Steht die katholische Belletristik auf der Höhe der Zeit?

offenbar auch Veremundns die betreffenden Ausführungen gefaßt sehen, wie,
das deutlich aus der Broschüre hervorgeht. Es ist also nicht sehr gründlich
gedacht, wenn Pater Gietmcmu folgendes schreibt: „Schönheit, wahre und echte
Schönheit schließt den Nutzen, den geistigen und sittlichen Nutzen, nicht aus" —
wir verbessern sofort: wahre Schönheit ist geistiger und sittlicher Nutzen.
Und ebenso wenig Einblick in des Künstlers Wesen verrät der Satz: „Der
Künstler erfüllt feine Aufgabe als Mensch sehr schlecht, wenn er an nichts
denken will, als an die durch eine schöne Darstellung — Herr Gietmann
verwechselt »schön« offenbar mit dem oberflächlichen »hübsch« oder »ge¬
fällig!« — zu erzielende Befriedigung des Publikums. Man wendet vielleicht
ein, der rechte Nutzen komme von selbst. Gut, dann hat das Verbot des
Zweckes sVeremundns »verbietet« nicht, sondern als richtiger Ästhetiker stellt
er nur festlj noch weniger Grund. Kann man denn zwei Zwecke nicht zugleich
anstreben und auch erreichen, wenn dieselben so innig wie hier miteinander
verbunden sind?"

Zwei Zwecke zugleich anstreben und auch erreichen — das ist wieder eine
Phrase, die in eine reifere Ästhetik nicht hineinpaßt, die das Schaffen des
grübelnden Dilettanten und kleinen Talents vielleicht ausreichend bezeichnet,
dem seherischen Gestalten des wahren und großen Dichters jedoch nicht im ge¬
ringsten entspricht; denn dessen Schaffen und Schauen ist wie ein Natur¬
ereignis, hinter dessen kraftvoller Stimmung und Fülle der Empfindung Spie߬
bürgerworte wie „Zweck anstreben" in wesenlosen Scheine zurückbleiben. Hin¬
weise auf die gotischen Dome und Palestriuas Kirchenmusik ändern daran
nichts: nicht um einen religiösen „Zweck" zu erreichen schufen diese Männer,
sondern aus ihrer gesamten religiösen Empfindungswelt und dem Geist ihrer
Zeit heraus, also gerade umgekehrt. Es ist uns nach alledem nicht wunder¬
bar, wenn der priesterliche Ästhetiker seine moralisirende Austastung in den
stilistisch nicht eben glücklichen Worten zusammenfaßt: „Für uns Katholiken
gilt der Grundsatz, daß der Künstler seine Gottesgabe in den Dienst höherer
Zwecke stelle, daß er durch dieselbe, soweit er dies mit den Mitteln seiner
Kunst vermag, der menschlichen Gesellschaft wahrhaft nützlich und förderlich
werden und so dieselbe (!) auch zu einem Hebel der Tugend und der religiösen
Gesinnung machen solle." Das klingt bieder und erbaulich; und die elende
Halb- und Scheinkunst des Tendenzromans jeder Art ist glücklich wieder
gerettet.

Diese echt Gietmannsche Betrachtung, die den gegenwärtigen Tiefstand
der katholischen Ästhetik trefflich charakterisirt, ist immerhin in vornehmer Sach¬
lichkeit gehalten. Dafür ist ein Artikel der Augsburger Postzeitung (Ur. 214)
umso würdeloser und leider für den schlechtem Teil der katholischen Presse,
die augenblicklich dort so starke „Hetzpresse," nicht minder bezeichnend. Es ist
ein altes, durch und durch religiös und sittlich verwerfliches, aber freilich in


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/424>, abgerufen am 12.12.2024.