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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Steht die katholische Belletristik auf der Höhe der Zeit?

Die zwei weitern Kapitel: "Moralische und künstlerische Kritik" und "Die
wahren Ursachen unsrer litterarischen Rückständigkeit" wenden sich wieder zum
größern Teil an die katholische Gruppe unsrer Reichsgenossen. Es ist in der
That seit dem Kulturkampf ein Hervortreten des seelsorgerischen Standpunktes in
der Anschauungsweise der Presse und der Litteratur der Katholiken offenkundig.
Und es sind überall Anzeichen vorhanden, daß man dort dessen bewußt wird.
Die genannte ausführliche Rezension der Kölnischen Volkszeitung und eine nicht
minder eingehende, aber viel frischer zustimmende der Zentrums-Korrespon¬
denz Pflichten gerade diesen Kapiteln unsrer Schrift rückhaltlos bei. Äußere
Teilnahmlosigkeit an den allgemeinen künstlerischen Bestrebungen der Nation,
Mangel an innerm Interesse, Engherzigkeit, Prüderie, mangelhafte Zustände
auf dem Gebiete der Kritik -- das sind die Hauptvorwürfe, die Veremundus
seinen Freunden zuruft. Alle diese Mißstände fließen aus der einen großen
Quelle: Abseitsstellung, Trennung von dem innern Leben und Weben der
andern Deutschen durch den Kulturkampf. Wir haben katholische Buchhand¬
lungen, katholische Dichter, katholische Erbauungs- und Unterhaltungsbücher,
katholische Bearbeitungen und Ausgaben von Werken aller Art -- kurz, das
Wort "Katholisch ist Trumpf" ist zu einer Art fixen Idee geworden, die bei
manchen vortrefflichen Menschen das ganze Weltbild verschiebt. Ein guter
Katholik läßt bei katholischen Schustern und Schneidern arbeiten, ruft nur
einen katholischen Arzt ans Krankenbett, kauft nur bei Katholiken, verkehrt nur
mit Katholiken, betrachtet die ganze Welt, vom Schuhnägel, den er verliert,
bis zu den Steuern, die er zahlt, nur unter dem Wahlspruch: "Katholisch ist
Trumpf." Das ist plastisch ausgedrückt, aber im Wesen nicht übertrieben.
Ist doch ein stetes und treues Festhalten an Kirche und Bekenntnis bis ins
kleinste hinein für solche verfolgten Geister gleichbedeutend mit einem Ringen
nach der ewigen Seligkeit. So sehr ist das Religiöse auf jener Seite mit dem
leidigen Kirchenbegriff und dem äußerlichen Namen "Katholisch" verwachsen;
so sehr ist das frische und unbefangne Handeln durch ein stetes Schielen nach
einem außerhalb stehenden Wegweiser unterbrochen, immer wieder unterbrochen.
Ich bin kein besondrer Freund des Evangelischen Bundes, so wenig wie des
Ultramontanismus: mögen sich diese kirchenpolitisch vielleicht in den Verhält¬
nissen begründeten Richtungen bekämpfen. Aber auf dem Gebiete künstlerischer
Arbeit ist Unbefangenheit die erste Bedingung. Und auch diese Schrift eiues
treuen Katholiken ist eine einzige, eindringliche Bitte, zurückzukehren zur Un¬
befangenheit und dann zu frischer Thatkraft, die alle Verbitterung und Eng¬
herzigkeit abgeworfen oder besser: innerlich überwunden hat.

Es ist hier nicht der Ort, den weitern Gedanken, die durch diese Schrift
angeregt wurden, nachzugehen. Wird auf dem hier und früher von Dr. Schelk
eingeschlagnen Wege auf jener Seite fortgeschritten, so ist zu hoffen, daß der
jetzt schlummernde Edelsinn in den Reihen unsrer katholischen Deutschen zu


Steht die katholische Belletristik auf der Höhe der Zeit?

Die zwei weitern Kapitel: „Moralische und künstlerische Kritik" und „Die
wahren Ursachen unsrer litterarischen Rückständigkeit" wenden sich wieder zum
größern Teil an die katholische Gruppe unsrer Reichsgenossen. Es ist in der
That seit dem Kulturkampf ein Hervortreten des seelsorgerischen Standpunktes in
der Anschauungsweise der Presse und der Litteratur der Katholiken offenkundig.
Und es sind überall Anzeichen vorhanden, daß man dort dessen bewußt wird.
Die genannte ausführliche Rezension der Kölnischen Volkszeitung und eine nicht
minder eingehende, aber viel frischer zustimmende der Zentrums-Korrespon¬
denz Pflichten gerade diesen Kapiteln unsrer Schrift rückhaltlos bei. Äußere
Teilnahmlosigkeit an den allgemeinen künstlerischen Bestrebungen der Nation,
Mangel an innerm Interesse, Engherzigkeit, Prüderie, mangelhafte Zustände
auf dem Gebiete der Kritik — das sind die Hauptvorwürfe, die Veremundus
seinen Freunden zuruft. Alle diese Mißstände fließen aus der einen großen
Quelle: Abseitsstellung, Trennung von dem innern Leben und Weben der
andern Deutschen durch den Kulturkampf. Wir haben katholische Buchhand¬
lungen, katholische Dichter, katholische Erbauungs- und Unterhaltungsbücher,
katholische Bearbeitungen und Ausgaben von Werken aller Art — kurz, das
Wort „Katholisch ist Trumpf" ist zu einer Art fixen Idee geworden, die bei
manchen vortrefflichen Menschen das ganze Weltbild verschiebt. Ein guter
Katholik läßt bei katholischen Schustern und Schneidern arbeiten, ruft nur
einen katholischen Arzt ans Krankenbett, kauft nur bei Katholiken, verkehrt nur
mit Katholiken, betrachtet die ganze Welt, vom Schuhnägel, den er verliert,
bis zu den Steuern, die er zahlt, nur unter dem Wahlspruch: „Katholisch ist
Trumpf." Das ist plastisch ausgedrückt, aber im Wesen nicht übertrieben.
Ist doch ein stetes und treues Festhalten an Kirche und Bekenntnis bis ins
kleinste hinein für solche verfolgten Geister gleichbedeutend mit einem Ringen
nach der ewigen Seligkeit. So sehr ist das Religiöse auf jener Seite mit dem
leidigen Kirchenbegriff und dem äußerlichen Namen „Katholisch" verwachsen;
so sehr ist das frische und unbefangne Handeln durch ein stetes Schielen nach
einem außerhalb stehenden Wegweiser unterbrochen, immer wieder unterbrochen.
Ich bin kein besondrer Freund des Evangelischen Bundes, so wenig wie des
Ultramontanismus: mögen sich diese kirchenpolitisch vielleicht in den Verhält¬
nissen begründeten Richtungen bekämpfen. Aber auf dem Gebiete künstlerischer
Arbeit ist Unbefangenheit die erste Bedingung. Und auch diese Schrift eiues
treuen Katholiken ist eine einzige, eindringliche Bitte, zurückzukehren zur Un¬
befangenheit und dann zu frischer Thatkraft, die alle Verbitterung und Eng¬
herzigkeit abgeworfen oder besser: innerlich überwunden hat.

Es ist hier nicht der Ort, den weitern Gedanken, die durch diese Schrift
angeregt wurden, nachzugehen. Wird auf dem hier und früher von Dr. Schelk
eingeschlagnen Wege auf jener Seite fortgeschritten, so ist zu hoffen, daß der
jetzt schlummernde Edelsinn in den Reihen unsrer katholischen Deutschen zu


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[0421] Steht die katholische Belletristik auf der Höhe der Zeit? Die zwei weitern Kapitel: „Moralische und künstlerische Kritik" und „Die wahren Ursachen unsrer litterarischen Rückständigkeit" wenden sich wieder zum größern Teil an die katholische Gruppe unsrer Reichsgenossen. Es ist in der That seit dem Kulturkampf ein Hervortreten des seelsorgerischen Standpunktes in der Anschauungsweise der Presse und der Litteratur der Katholiken offenkundig. Und es sind überall Anzeichen vorhanden, daß man dort dessen bewußt wird. Die genannte ausführliche Rezension der Kölnischen Volkszeitung und eine nicht minder eingehende, aber viel frischer zustimmende der Zentrums-Korrespon¬ denz Pflichten gerade diesen Kapiteln unsrer Schrift rückhaltlos bei. Äußere Teilnahmlosigkeit an den allgemeinen künstlerischen Bestrebungen der Nation, Mangel an innerm Interesse, Engherzigkeit, Prüderie, mangelhafte Zustände auf dem Gebiete der Kritik — das sind die Hauptvorwürfe, die Veremundus seinen Freunden zuruft. Alle diese Mißstände fließen aus der einen großen Quelle: Abseitsstellung, Trennung von dem innern Leben und Weben der andern Deutschen durch den Kulturkampf. Wir haben katholische Buchhand¬ lungen, katholische Dichter, katholische Erbauungs- und Unterhaltungsbücher, katholische Bearbeitungen und Ausgaben von Werken aller Art — kurz, das Wort „Katholisch ist Trumpf" ist zu einer Art fixen Idee geworden, die bei manchen vortrefflichen Menschen das ganze Weltbild verschiebt. Ein guter Katholik läßt bei katholischen Schustern und Schneidern arbeiten, ruft nur einen katholischen Arzt ans Krankenbett, kauft nur bei Katholiken, verkehrt nur mit Katholiken, betrachtet die ganze Welt, vom Schuhnägel, den er verliert, bis zu den Steuern, die er zahlt, nur unter dem Wahlspruch: „Katholisch ist Trumpf." Das ist plastisch ausgedrückt, aber im Wesen nicht übertrieben. Ist doch ein stetes und treues Festhalten an Kirche und Bekenntnis bis ins kleinste hinein für solche verfolgten Geister gleichbedeutend mit einem Ringen nach der ewigen Seligkeit. So sehr ist das Religiöse auf jener Seite mit dem leidigen Kirchenbegriff und dem äußerlichen Namen „Katholisch" verwachsen; so sehr ist das frische und unbefangne Handeln durch ein stetes Schielen nach einem außerhalb stehenden Wegweiser unterbrochen, immer wieder unterbrochen. Ich bin kein besondrer Freund des Evangelischen Bundes, so wenig wie des Ultramontanismus: mögen sich diese kirchenpolitisch vielleicht in den Verhält¬ nissen begründeten Richtungen bekämpfen. Aber auf dem Gebiete künstlerischer Arbeit ist Unbefangenheit die erste Bedingung. Und auch diese Schrift eiues treuen Katholiken ist eine einzige, eindringliche Bitte, zurückzukehren zur Un¬ befangenheit und dann zu frischer Thatkraft, die alle Verbitterung und Eng¬ herzigkeit abgeworfen oder besser: innerlich überwunden hat. Es ist hier nicht der Ort, den weitern Gedanken, die durch diese Schrift angeregt wurden, nachzugehen. Wird auf dem hier und früher von Dr. Schelk eingeschlagnen Wege auf jener Seite fortgeschritten, so ist zu hoffen, daß der jetzt schlummernde Edelsinn in den Reihen unsrer katholischen Deutschen zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/421>, abgerufen am 24.07.2024.