Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.Steht die katholische Belletristik auf der Höhe der Zeit? Alles in allem aber ist sein hartnäckiges Dringen auf reine, strenge, tief durch¬ Man muß dieses Kapitel reiflich mitgedacht haben, wenn man sich über den Und der Kölnischen Volkszeitung entfuhr ja selbst vor einiger Zeit Es ist das Anregende an dieser Schrift, daß ihre Mahnungen und Unter¬ Grenzboten IV 1M8 5,2
Steht die katholische Belletristik auf der Höhe der Zeit? Alles in allem aber ist sein hartnäckiges Dringen auf reine, strenge, tief durch¬ Man muß dieses Kapitel reiflich mitgedacht haben, wenn man sich über den Und der Kölnischen Volkszeitung entfuhr ja selbst vor einiger Zeit Es ist das Anregende an dieser Schrift, daß ihre Mahnungen und Unter¬ Grenzboten IV 1M8 5,2
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0420" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/229369"/> <fw type="header" place="top"> Steht die katholische Belletristik auf der Höhe der Zeit?</fw><lb/> <p xml:id="ID_1150" prev="#ID_1149"> Alles in allem aber ist sein hartnäckiges Dringen auf reine, strenge, tief durch¬<lb/> dachte Kunst, auch im Roman, gegenüber dem lässigen Erzählerton der her¬<lb/> kömmlichen Liebes- und Problemgeschichten wahrhaft wohlthuend.</p><lb/> <p xml:id="ID_1151"> Man muß dieses Kapitel reiflich mitgedacht haben, wenn man sich über den<lb/> strengen Maßstab, den Veremundus im folgenden Kapitel („Unsre Autoren")<lb/> an die bestehende katholische Belletristik anlegt, nicht wundern will. Eigentlich<lb/> weiß er nur zwei männliche Erzähler zu nennen (Hansjaeob läßt er absichtlich<lb/> weg): Anton Schott und Ad. Jos. Cüppers. Diesen beiden stellt er zwölf<lb/> Frauen gegenüber: Brackel, Herbert, Jüngst, Neidegg, Goldegg, Ludolf, Haupt,<lb/> Lilien, Jakoby, Putz, Lingen, Veldenz- Da kommen also ans einen Mann<lb/> sechs Frauen! Man hat ihm zwar, wie ich sehe, in einem etwas widerspruchs¬<lb/> vollen und diplomatischen Leitartikel der Kölnischen Volkszeitung vorgeworfen,<lb/> daß dieses Verzeichnis lückenhaft sei; aber die drei Männer, die der betreffende<lb/> Rezensent weiß, machen den Kohl auch nicht fett und verdienen, soweit ich ihre<lb/> Werke kenne, keineswegs eine besondre Hervorhebung, wenn sie auch in ihrer<lb/> Art ganz achtbare Schriftsteller sind. Es bleibt also auch bei der katholischen<lb/> Gruppe unsrer deutschen Brüder das grimmige Wort Webers in Geltung:</p><lb/> <lg xml:id="POEMID_7" type="poem"> <l/> </lg><lb/> <p xml:id="ID_1152"> Und der Kölnischen Volkszeitung entfuhr ja selbst vor einiger Zeit<lb/> Mr. 213, 1895) das bezeichnende Wort: „Seitdem die Freiin von Brackel<lb/> schweigt, fehlt der führende deutsche-katholische Romancier." Nun, wie hoch<lb/> oder tief der Kunstwert selbst einer Freiin von Brackel einzuschätzen ist, ersehen<lb/> wir an der Hand einiger scharfer, aber gerechter Analysen unsers Veremundus<lb/> mit einer Deutlichkeit, die nichts zu wünschen übrig läßt. Gegenüber dem<lb/> Ideal, das er im vorhergehenden Kapitel aufgerichtet hat, ist da das Ge¬<lb/> ständnis und Ergebnis gar nicht überraschend: „Wir haben nichts, rein gar<lb/> nichts."</p><lb/> <p xml:id="ID_1153"> Es ist das Anregende an dieser Schrift, daß ihre Mahnungen und Unter¬<lb/> suchungen viel weiter reichen, als der Titel und der Text an sich besagen. Dieses<lb/> »Wir haben nichts, rein gar nichts" könnte man mit einiger Strenge auf den<lb/> ganzen Roman der Gegenwart anwenden, der, von dem sorgsamen C. F. Meyer<lb/> abgesehen, von jeher teils zu einem unkünstlerischen Überwuchern der Betrach¬<lb/> tung, teils zu einer unplastischen, lässigen, alltäglichen Prosa neigte. Hierin<lb/> sind uns, wenigstens was den Stil und die künstlerische Knappheit der Stoff-<lb/> gruppirung betrifft, die Franzosen der Gegenwart überlegen. Es ist zu viel<lb/> „Zeitstimmung" in unsern Romanen und zu wenig Entsagung zu Gunsten ab¬<lb/> soluter künstlerischer Reinheit der Form und des Inhalts.</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten IV 1M8 5,2</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0420]
Steht die katholische Belletristik auf der Höhe der Zeit?
Alles in allem aber ist sein hartnäckiges Dringen auf reine, strenge, tief durch¬
dachte Kunst, auch im Roman, gegenüber dem lässigen Erzählerton der her¬
kömmlichen Liebes- und Problemgeschichten wahrhaft wohlthuend.
Man muß dieses Kapitel reiflich mitgedacht haben, wenn man sich über den
strengen Maßstab, den Veremundus im folgenden Kapitel („Unsre Autoren")
an die bestehende katholische Belletristik anlegt, nicht wundern will. Eigentlich
weiß er nur zwei männliche Erzähler zu nennen (Hansjaeob läßt er absichtlich
weg): Anton Schott und Ad. Jos. Cüppers. Diesen beiden stellt er zwölf
Frauen gegenüber: Brackel, Herbert, Jüngst, Neidegg, Goldegg, Ludolf, Haupt,
Lilien, Jakoby, Putz, Lingen, Veldenz- Da kommen also ans einen Mann
sechs Frauen! Man hat ihm zwar, wie ich sehe, in einem etwas widerspruchs¬
vollen und diplomatischen Leitartikel der Kölnischen Volkszeitung vorgeworfen,
daß dieses Verzeichnis lückenhaft sei; aber die drei Männer, die der betreffende
Rezensent weiß, machen den Kohl auch nicht fett und verdienen, soweit ich ihre
Werke kenne, keineswegs eine besondre Hervorhebung, wenn sie auch in ihrer
Art ganz achtbare Schriftsteller sind. Es bleibt also auch bei der katholischen
Gruppe unsrer deutschen Brüder das grimmige Wort Webers in Geltung:
Und der Kölnischen Volkszeitung entfuhr ja selbst vor einiger Zeit
Mr. 213, 1895) das bezeichnende Wort: „Seitdem die Freiin von Brackel
schweigt, fehlt der führende deutsche-katholische Romancier." Nun, wie hoch
oder tief der Kunstwert selbst einer Freiin von Brackel einzuschätzen ist, ersehen
wir an der Hand einiger scharfer, aber gerechter Analysen unsers Veremundus
mit einer Deutlichkeit, die nichts zu wünschen übrig läßt. Gegenüber dem
Ideal, das er im vorhergehenden Kapitel aufgerichtet hat, ist da das Ge¬
ständnis und Ergebnis gar nicht überraschend: „Wir haben nichts, rein gar
nichts."
Es ist das Anregende an dieser Schrift, daß ihre Mahnungen und Unter¬
suchungen viel weiter reichen, als der Titel und der Text an sich besagen. Dieses
»Wir haben nichts, rein gar nichts" könnte man mit einiger Strenge auf den
ganzen Roman der Gegenwart anwenden, der, von dem sorgsamen C. F. Meyer
abgesehen, von jeher teils zu einem unkünstlerischen Überwuchern der Betrach¬
tung, teils zu einer unplastischen, lässigen, alltäglichen Prosa neigte. Hierin
sind uns, wenigstens was den Stil und die künstlerische Knappheit der Stoff-
gruppirung betrifft, die Franzosen der Gegenwart überlegen. Es ist zu viel
„Zeitstimmung" in unsern Romanen und zu wenig Entsagung zu Gunsten ab¬
soluter künstlerischer Reinheit der Form und des Inhalts.
Grenzboten IV 1M8 5,2
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