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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Steht die katholische Belletristik auf der Höhe der Zeit?

schon der Begriff "echt deutsch" und "national," obwohl ihm doch ein fester
landschaftlicher und historischer Wurzelbodeu zu Grunde liegt. Aber "katho¬
lischer Roman"? "Die Kunst, die Dichtung -- erklärt Veremundus -- will
nur das Menschlich-Bedeutungsvolle, reine Menschlichkeit darstellen" (S. 10).
Soweit vortrefflich und ganz unsre Ansicht! Sofort aber füllt unserm Ästhe¬
tiker wieder sein ethisch-religiöser Standpunkt ein, und er fährt in sehr schiefer
Linie fort: "Menschlich-bedeutungsvoll im höchsten Sinne des Wortes ist aber
das Verhältnis des Menschen zu Gott, zur Religion." Hier stutzen loir schon;
dieses "aber" und "im höchsten Sinne des Wortes" ist ästhetisch nicht gerecht¬
fertigt. "Menschlich-bedeutungsvoll" ist alles: die Falstasfstimmung so gut
wie das Ringen eines Faust; menschlich-bedeutungsvoll ist Sancho Pansa so
gut wie Don Quichote, der unreife Romeo Shakespeares ist es so gut wie das
reife Schöpfungsgemälde Michelangelos. Das Verhältnis zur Religion und
zu Gott ist in seelischer, ethischer und religiöser Hinsicht freilich außerordent¬
lich wichtig, ja die Klärung dieses Verhältnisses ist eine innere Notwendigkeit
für jeden von uns. Aber künstlerisch ist die Schilderung dieses Verhältnisses
an und für sich um kein Haar wichtiger als die Schilderung sämtlicher andrer
Lebensvorgünge und Seelenerlebnisse, die eben ein volles Weltbild ausmachen.
Und Nachschaffung des ganzen göttlichen Weltbildes ist die einzige Aufgabe
der Dichtkunst. Der Dichter hat sich, wenn ich mich dogmatisch ausdrücken darf,
lediglich an den ersten Artikel des sogenannten apostolischen Glaubensbekennt¬
nisses zu halten, der von Gott, dem Vater, handelt: als ein kleiner Gottvater
schaut anch er in die Welt und schafft dem großen nach. Daß ihm als
Christen und Menschen der zweite Artikel, Erlösung durch den Sohn, und
der dritte, Läuterung durch den heiligen Geist, vorher persönlich nötig waren
oder sein mochten, ist eine Sache für sich, ist ein persönlicher Entwicklungs¬
prozeß in der einzelnen Seele. Es ist daher schief, wenn Veremundus in
der augefangnen Gedankenverbindung fortfährt: "Ohne religiöses Empfinden,
Sinnen, Ahnen, Zweifeln, Kämpfen, Glauben, Hoffen, Lieben ist ein wahrer,
warmblütiger, harmonischer Mensch gar nicht zu denken; und wenn daher ein
christlicher Dichter einen solchen Menschen schildert, so wird er ihm ganz un¬
absichtlich und wie von selbst ein Stück seiner eignen Seele geben, wahres,
religiöses Leben, das sich spontan und immer in bedeutungsvoller, auch mensch¬
lich ergreifender Weise äußern muß. Ein solches Werk nenne ich einen katho¬
lischen Roman, und wenn anch nichts spezifisch Katholisches darin vorkommt"
(S. 10). Nein, ein solches Werk ist eben doch nur ein christlicher Erbauuugs-
roman, und dieser Erbauungs- oder Bekehrungsroman ist nur wieder eine
feinere Form des vom Verfasser selbst so scharf gegeißelten Tendenzromans.
In dem jetzt auf katholischer Seite üblichen Tendenzroman (etwa Konrad von
Bolandens) wird freilich wesentlich der kirchliche Grundton festgehalten; hier
nun hätte sich die Tendenz auf das Seelische, das Christliche gerichtet, also


Steht die katholische Belletristik auf der Höhe der Zeit?

schon der Begriff „echt deutsch" und „national," obwohl ihm doch ein fester
landschaftlicher und historischer Wurzelbodeu zu Grunde liegt. Aber „katho¬
lischer Roman"? „Die Kunst, die Dichtung — erklärt Veremundus — will
nur das Menschlich-Bedeutungsvolle, reine Menschlichkeit darstellen" (S. 10).
Soweit vortrefflich und ganz unsre Ansicht! Sofort aber füllt unserm Ästhe¬
tiker wieder sein ethisch-religiöser Standpunkt ein, und er fährt in sehr schiefer
Linie fort: „Menschlich-bedeutungsvoll im höchsten Sinne des Wortes ist aber
das Verhältnis des Menschen zu Gott, zur Religion." Hier stutzen loir schon;
dieses „aber" und „im höchsten Sinne des Wortes" ist ästhetisch nicht gerecht¬
fertigt. „Menschlich-bedeutungsvoll" ist alles: die Falstasfstimmung so gut
wie das Ringen eines Faust; menschlich-bedeutungsvoll ist Sancho Pansa so
gut wie Don Quichote, der unreife Romeo Shakespeares ist es so gut wie das
reife Schöpfungsgemälde Michelangelos. Das Verhältnis zur Religion und
zu Gott ist in seelischer, ethischer und religiöser Hinsicht freilich außerordent¬
lich wichtig, ja die Klärung dieses Verhältnisses ist eine innere Notwendigkeit
für jeden von uns. Aber künstlerisch ist die Schilderung dieses Verhältnisses
an und für sich um kein Haar wichtiger als die Schilderung sämtlicher andrer
Lebensvorgünge und Seelenerlebnisse, die eben ein volles Weltbild ausmachen.
Und Nachschaffung des ganzen göttlichen Weltbildes ist die einzige Aufgabe
der Dichtkunst. Der Dichter hat sich, wenn ich mich dogmatisch ausdrücken darf,
lediglich an den ersten Artikel des sogenannten apostolischen Glaubensbekennt¬
nisses zu halten, der von Gott, dem Vater, handelt: als ein kleiner Gottvater
schaut anch er in die Welt und schafft dem großen nach. Daß ihm als
Christen und Menschen der zweite Artikel, Erlösung durch den Sohn, und
der dritte, Läuterung durch den heiligen Geist, vorher persönlich nötig waren
oder sein mochten, ist eine Sache für sich, ist ein persönlicher Entwicklungs¬
prozeß in der einzelnen Seele. Es ist daher schief, wenn Veremundus in
der augefangnen Gedankenverbindung fortfährt: „Ohne religiöses Empfinden,
Sinnen, Ahnen, Zweifeln, Kämpfen, Glauben, Hoffen, Lieben ist ein wahrer,
warmblütiger, harmonischer Mensch gar nicht zu denken; und wenn daher ein
christlicher Dichter einen solchen Menschen schildert, so wird er ihm ganz un¬
absichtlich und wie von selbst ein Stück seiner eignen Seele geben, wahres,
religiöses Leben, das sich spontan und immer in bedeutungsvoller, auch mensch¬
lich ergreifender Weise äußern muß. Ein solches Werk nenne ich einen katho¬
lischen Roman, und wenn anch nichts spezifisch Katholisches darin vorkommt"
(S. 10). Nein, ein solches Werk ist eben doch nur ein christlicher Erbauuugs-
roman, und dieser Erbauungs- oder Bekehrungsroman ist nur wieder eine
feinere Form des vom Verfasser selbst so scharf gegeißelten Tendenzromans.
In dem jetzt auf katholischer Seite üblichen Tendenzroman (etwa Konrad von
Bolandens) wird freilich wesentlich der kirchliche Grundton festgehalten; hier
nun hätte sich die Tendenz auf das Seelische, das Christliche gerichtet, also


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[0418] Steht die katholische Belletristik auf der Höhe der Zeit? schon der Begriff „echt deutsch" und „national," obwohl ihm doch ein fester landschaftlicher und historischer Wurzelbodeu zu Grunde liegt. Aber „katho¬ lischer Roman"? „Die Kunst, die Dichtung — erklärt Veremundus — will nur das Menschlich-Bedeutungsvolle, reine Menschlichkeit darstellen" (S. 10). Soweit vortrefflich und ganz unsre Ansicht! Sofort aber füllt unserm Ästhe¬ tiker wieder sein ethisch-religiöser Standpunkt ein, und er fährt in sehr schiefer Linie fort: „Menschlich-bedeutungsvoll im höchsten Sinne des Wortes ist aber das Verhältnis des Menschen zu Gott, zur Religion." Hier stutzen loir schon; dieses „aber" und „im höchsten Sinne des Wortes" ist ästhetisch nicht gerecht¬ fertigt. „Menschlich-bedeutungsvoll" ist alles: die Falstasfstimmung so gut wie das Ringen eines Faust; menschlich-bedeutungsvoll ist Sancho Pansa so gut wie Don Quichote, der unreife Romeo Shakespeares ist es so gut wie das reife Schöpfungsgemälde Michelangelos. Das Verhältnis zur Religion und zu Gott ist in seelischer, ethischer und religiöser Hinsicht freilich außerordent¬ lich wichtig, ja die Klärung dieses Verhältnisses ist eine innere Notwendigkeit für jeden von uns. Aber künstlerisch ist die Schilderung dieses Verhältnisses an und für sich um kein Haar wichtiger als die Schilderung sämtlicher andrer Lebensvorgünge und Seelenerlebnisse, die eben ein volles Weltbild ausmachen. Und Nachschaffung des ganzen göttlichen Weltbildes ist die einzige Aufgabe der Dichtkunst. Der Dichter hat sich, wenn ich mich dogmatisch ausdrücken darf, lediglich an den ersten Artikel des sogenannten apostolischen Glaubensbekennt¬ nisses zu halten, der von Gott, dem Vater, handelt: als ein kleiner Gottvater schaut anch er in die Welt und schafft dem großen nach. Daß ihm als Christen und Menschen der zweite Artikel, Erlösung durch den Sohn, und der dritte, Läuterung durch den heiligen Geist, vorher persönlich nötig waren oder sein mochten, ist eine Sache für sich, ist ein persönlicher Entwicklungs¬ prozeß in der einzelnen Seele. Es ist daher schief, wenn Veremundus in der augefangnen Gedankenverbindung fortfährt: „Ohne religiöses Empfinden, Sinnen, Ahnen, Zweifeln, Kämpfen, Glauben, Hoffen, Lieben ist ein wahrer, warmblütiger, harmonischer Mensch gar nicht zu denken; und wenn daher ein christlicher Dichter einen solchen Menschen schildert, so wird er ihm ganz un¬ absichtlich und wie von selbst ein Stück seiner eignen Seele geben, wahres, religiöses Leben, das sich spontan und immer in bedeutungsvoller, auch mensch¬ lich ergreifender Weise äußern muß. Ein solches Werk nenne ich einen katho¬ lischen Roman, und wenn anch nichts spezifisch Katholisches darin vorkommt" (S. 10). Nein, ein solches Werk ist eben doch nur ein christlicher Erbauuugs- roman, und dieser Erbauungs- oder Bekehrungsroman ist nur wieder eine feinere Form des vom Verfasser selbst so scharf gegeißelten Tendenzromans. In dem jetzt auf katholischer Seite üblichen Tendenzroman (etwa Konrad von Bolandens) wird freilich wesentlich der kirchliche Grundton festgehalten; hier nun hätte sich die Tendenz auf das Seelische, das Christliche gerichtet, also

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/418>, abgerufen am 12.12.2024.