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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Steht die katholische Belletristik auf der Höhe der Zeit?

zuzuschieben: die tiefere Neigung ging, wenn man die Entwicklung psychologisch
betrachtet, vom Katholizismus aus, der sich nun, auf innere Gemütseroberuugen
verzichtend, nach außen hin trotzig, wie zur Abwehr, zusammenballte. Der
Kulturkampf war deun auch, obgleich er einen gewissen Eifer in der verfolgten
Kirche entsandte, doch nur ein äußerliches Gezänke, eine Miniaturausgabe der
religiösen Landcskümpfe der Reformationszeit, und hat auf beiden Seiten nicht
zu religiöser Vertiefung beigetragen; nur die Verbitterung ist durch diese lediglich
kirchenpolitischen Kämpfe auf beiden Seiten gefördert worden, indem der Kultur¬
kampf uns Protestanten vollends in einen gewissen flachen Liberalismus und
ein spekulationslustiges wissenschaftliches Profesforentum hineintrieb und die
katholischen Deutschen mit ihrer Seelsorgern fast wie in einem neuen Ghetto
abschloß.

Inzwischen haben wir beide immer unabweisbarer die Empfindung, daß
wir mit derlei GeHader nicht vom Fleck kommen, daß vielmehr die schranken¬
lose Erwerbsgier, der Haß der untern Klassen, die Verwirrung in religiösen
Dingen gerade durch unsern Zwiespalt gezeitigt werden und uns alle beide zu
überwuchern drohen. Und aus dieser erschreckenden Beobachtung heraus sind
Stimmen wie die oben genannten zu verstehen; sie sind deshalb auch von uns
freudig zu begrüße". Laßt uns nach Gemeinsamen suchen, das ist ihr Grundton;
laßt uns wieder mit voller Kraft mitarbeiten in diesem Reich und dieser Kultur,
denn wir vernachlässigen unsre Pflicht, wir haben das Ganze aus dem Auge
verloren, wir sind mit verantwortlich für den seelischen, sittlichen und mate¬
riellen Untergang so vieler Tausende! Darum: Unbefangenheit, ihr jüngern
Katholiken, und etwas Herzlichkeit, ihr jünger" Protestanten! Und damit ihr
euch z" beiden aufschwingen könnt: sittlichen Mut. das zu bleiben, was ihr
seid, und doch den andern verstehen! Ich hoffe nicht irre zu gehen, wenn ich
dies für die Voraussetzung halte, unter der auch die Äußerung unsers Vere-
mundus verstanden sein will. Er wendet die Klagen und Mahnungen Scheiks
und des Freiherrn von Hertling auf die katholische Litteratur an. Zwar läßt
er ein Hauptgebiet, das Theater, gänzlich beiseite; hier sind die Zustände so
gewerbsfreiheitlich heillos, daß zunächst weder Katholik noch Protestant in diesen
Augiasstall eingreifen kann. Zudem: was ist dem guten Katholiken das
Theater, und nicht bloß dem guten Katholiken, auch gewissen orthodoxen evan¬
gelischen Kreisen? Eine Lasterhöhle, eine unsittliche Anstalt -- so ungefähr;
und leider liegt diesem unbehaglichen Gefühle eine nicht ganz unrichtig beob¬
achtete Zeiterscheinung zu Grunde. Veremundus spricht also lediglich von der
Unterhaltungslitteratur, von der epischen Prosadichtung, vom Roman und von
der Novelle.

"Die bei weitem überwiegende Zahl der alljährlich erscheinenden Romane
und Novellen -- beginnt er allgemein -- hat mit der Kunst und im besondern
wie der Dichtung so gut wie gar nichts zu thun. Sie sind entweder Not-


Steht die katholische Belletristik auf der Höhe der Zeit?

zuzuschieben: die tiefere Neigung ging, wenn man die Entwicklung psychologisch
betrachtet, vom Katholizismus aus, der sich nun, auf innere Gemütseroberuugen
verzichtend, nach außen hin trotzig, wie zur Abwehr, zusammenballte. Der
Kulturkampf war deun auch, obgleich er einen gewissen Eifer in der verfolgten
Kirche entsandte, doch nur ein äußerliches Gezänke, eine Miniaturausgabe der
religiösen Landcskümpfe der Reformationszeit, und hat auf beiden Seiten nicht
zu religiöser Vertiefung beigetragen; nur die Verbitterung ist durch diese lediglich
kirchenpolitischen Kämpfe auf beiden Seiten gefördert worden, indem der Kultur¬
kampf uns Protestanten vollends in einen gewissen flachen Liberalismus und
ein spekulationslustiges wissenschaftliches Profesforentum hineintrieb und die
katholischen Deutschen mit ihrer Seelsorgern fast wie in einem neuen Ghetto
abschloß.

Inzwischen haben wir beide immer unabweisbarer die Empfindung, daß
wir mit derlei GeHader nicht vom Fleck kommen, daß vielmehr die schranken¬
lose Erwerbsgier, der Haß der untern Klassen, die Verwirrung in religiösen
Dingen gerade durch unsern Zwiespalt gezeitigt werden und uns alle beide zu
überwuchern drohen. Und aus dieser erschreckenden Beobachtung heraus sind
Stimmen wie die oben genannten zu verstehen; sie sind deshalb auch von uns
freudig zu begrüße». Laßt uns nach Gemeinsamen suchen, das ist ihr Grundton;
laßt uns wieder mit voller Kraft mitarbeiten in diesem Reich und dieser Kultur,
denn wir vernachlässigen unsre Pflicht, wir haben das Ganze aus dem Auge
verloren, wir sind mit verantwortlich für den seelischen, sittlichen und mate¬
riellen Untergang so vieler Tausende! Darum: Unbefangenheit, ihr jüngern
Katholiken, und etwas Herzlichkeit, ihr jünger» Protestanten! Und damit ihr
euch z» beiden aufschwingen könnt: sittlichen Mut. das zu bleiben, was ihr
seid, und doch den andern verstehen! Ich hoffe nicht irre zu gehen, wenn ich
dies für die Voraussetzung halte, unter der auch die Äußerung unsers Vere-
mundus verstanden sein will. Er wendet die Klagen und Mahnungen Scheiks
und des Freiherrn von Hertling auf die katholische Litteratur an. Zwar läßt
er ein Hauptgebiet, das Theater, gänzlich beiseite; hier sind die Zustände so
gewerbsfreiheitlich heillos, daß zunächst weder Katholik noch Protestant in diesen
Augiasstall eingreifen kann. Zudem: was ist dem guten Katholiken das
Theater, und nicht bloß dem guten Katholiken, auch gewissen orthodoxen evan¬
gelischen Kreisen? Eine Lasterhöhle, eine unsittliche Anstalt — so ungefähr;
und leider liegt diesem unbehaglichen Gefühle eine nicht ganz unrichtig beob¬
achtete Zeiterscheinung zu Grunde. Veremundus spricht also lediglich von der
Unterhaltungslitteratur, von der epischen Prosadichtung, vom Roman und von
der Novelle.

„Die bei weitem überwiegende Zahl der alljährlich erscheinenden Romane
und Novellen — beginnt er allgemein — hat mit der Kunst und im besondern
wie der Dichtung so gut wie gar nichts zu thun. Sie sind entweder Not-


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[0416] Steht die katholische Belletristik auf der Höhe der Zeit? zuzuschieben: die tiefere Neigung ging, wenn man die Entwicklung psychologisch betrachtet, vom Katholizismus aus, der sich nun, auf innere Gemütseroberuugen verzichtend, nach außen hin trotzig, wie zur Abwehr, zusammenballte. Der Kulturkampf war deun auch, obgleich er einen gewissen Eifer in der verfolgten Kirche entsandte, doch nur ein äußerliches Gezänke, eine Miniaturausgabe der religiösen Landcskümpfe der Reformationszeit, und hat auf beiden Seiten nicht zu religiöser Vertiefung beigetragen; nur die Verbitterung ist durch diese lediglich kirchenpolitischen Kämpfe auf beiden Seiten gefördert worden, indem der Kultur¬ kampf uns Protestanten vollends in einen gewissen flachen Liberalismus und ein spekulationslustiges wissenschaftliches Profesforentum hineintrieb und die katholischen Deutschen mit ihrer Seelsorgern fast wie in einem neuen Ghetto abschloß. Inzwischen haben wir beide immer unabweisbarer die Empfindung, daß wir mit derlei GeHader nicht vom Fleck kommen, daß vielmehr die schranken¬ lose Erwerbsgier, der Haß der untern Klassen, die Verwirrung in religiösen Dingen gerade durch unsern Zwiespalt gezeitigt werden und uns alle beide zu überwuchern drohen. Und aus dieser erschreckenden Beobachtung heraus sind Stimmen wie die oben genannten zu verstehen; sie sind deshalb auch von uns freudig zu begrüße». Laßt uns nach Gemeinsamen suchen, das ist ihr Grundton; laßt uns wieder mit voller Kraft mitarbeiten in diesem Reich und dieser Kultur, denn wir vernachlässigen unsre Pflicht, wir haben das Ganze aus dem Auge verloren, wir sind mit verantwortlich für den seelischen, sittlichen und mate¬ riellen Untergang so vieler Tausende! Darum: Unbefangenheit, ihr jüngern Katholiken, und etwas Herzlichkeit, ihr jünger» Protestanten! Und damit ihr euch z» beiden aufschwingen könnt: sittlichen Mut. das zu bleiben, was ihr seid, und doch den andern verstehen! Ich hoffe nicht irre zu gehen, wenn ich dies für die Voraussetzung halte, unter der auch die Äußerung unsers Vere- mundus verstanden sein will. Er wendet die Klagen und Mahnungen Scheiks und des Freiherrn von Hertling auf die katholische Litteratur an. Zwar läßt er ein Hauptgebiet, das Theater, gänzlich beiseite; hier sind die Zustände so gewerbsfreiheitlich heillos, daß zunächst weder Katholik noch Protestant in diesen Augiasstall eingreifen kann. Zudem: was ist dem guten Katholiken das Theater, und nicht bloß dem guten Katholiken, auch gewissen orthodoxen evan¬ gelischen Kreisen? Eine Lasterhöhle, eine unsittliche Anstalt — so ungefähr; und leider liegt diesem unbehaglichen Gefühle eine nicht ganz unrichtig beob¬ achtete Zeiterscheinung zu Grunde. Veremundus spricht also lediglich von der Unterhaltungslitteratur, von der epischen Prosadichtung, vom Roman und von der Novelle. „Die bei weitem überwiegende Zahl der alljährlich erscheinenden Romane und Novellen — beginnt er allgemein — hat mit der Kunst und im besondern wie der Dichtung so gut wie gar nichts zu thun. Sie sind entweder Not-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/416>, abgerufen am 24.07.2024.