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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Steht die katholische Belletristik auf der Höhe der Zeit?

sichrer Beherrschung der stilistischen Mittel. Seinen Namen hat er nicht genannt;
"Veremundus" nennt er sich auf dem Titelblatt. Die Schrift hatte in drei
Wochen schon die zweite Auflage (drittes und viertes Tausend) erlebt, obwohl
sich meines Wissens die angesehnern katholischen Zeitschriften noch nicht dazu
geäußert hatten. Seitdem der Würzburger Rektor, Professor Dr. Schelk, seine
zwei aufrüttelnden Broschüren ins Publikum geworfen hat, ist im "katholischen
Lager," wie man ja leider sagen muß, eine gewisse Bewegung bemerkbar.
Schelk verlangte, alles in allem, eine größere Frische und Unbefangenheit in
der Bethätigung seiner Konfessionsgenossen, wobei er nach der evangelischen
Seite hin gewisse Grenzberichtigungeu vornahm; Schelk zog die Umfassnngs-
linien seiner Konfession und Kirche weiter, er idealisirte die Aufgaben der katho¬
lischen Kirche, er verlangte lebendige Thatkraft in und mit der Kultur der
Gegenwart. "Man darf -- so rief er seinen seclsorgerisch befangnen Freunden
zu -- nicht überall gleich den Satan und den Satmiismus wittern: gewiß
neigt man umso lieber dazu, weil der gesinnungstüchtige Wille damit dem
Verstände die härteste Arbeit abnimmt und zudem im Verdienste frommer Denk¬
weise prunkt. Es ist nicht gut, im Protestantismus nnr das allmähliche Aus¬
reifen des sündlichen Abfalls und des hochmütige" Trotzes zu sehen, d. h. eine
Entwicklung, an welcher der Katholik das Schicksal des Unkrautes beobachten
kann, wenn er nur in gemessener Entfernung davon bleibt wie Jonas von
Ninive!"

Hiermit hat der Würzburger Professor unsrer Empfindung nach den Kern¬
punkt der Frage getroffen- Die Kirche, einst ein Sauerteig der Kultur, ja
die geistige Herrscherin auf allen Gebieten, hat seit der Renaissance und der
deutscheu Reformation ihre überragende Stelle und führende Rolle bei Mil¬
lionen europäischer Menschen, die trotzdem Christen geblieben sind, verloren.
Man hat nun, insbesondre in Deutschland und unter dem Einfluß der jesuiti-
sirenden Richtung, vielfach inbrünstig oder mit Mitteln der Klugheit daran
gearbeitet und darauf gewartet, daß die "abgefallneu" Christen in den Schoß
der Kirche zurückkehren würden. Man hat von Rom aus und in allen Kirchen
und manch einer auch persönlich um diese Heimkehr der verirrten Schafe eifrig
gebetet. Es haben auch in gefühlsweichen Zeiten, wie etwa in der Romantik,
manche Übertritte oder vielmehr Rücktritte stattgefunden. Aber der Bestand
blieb im wesentlichen durch dreihundert Jahre fast uuvernndert. Und als sich
nun gar aus diesem abtrünnigen Deutschland das Kaisertum von 1870, und
zwar gerade aus dem protestantischen Preußen, entwickelte, während Österreich,
das gut katholische, ebenso aufs Haupt geschlagen wurde wie das katholische
Frankreich: da raffte sich der verzweifelnde Katholizismus zu einer gewaltigen
Anstrengung auf. Der Vatikan verkündete sein Unfehlbarkeitsdogma, und zu¬
gleich formten die deutschen Katholiken das Zentrum. Ich weiß nicht, ob man
recht daran thut, Vismarck und seiner Politik den Kulturkampf so überwiegend


Steht die katholische Belletristik auf der Höhe der Zeit?

sichrer Beherrschung der stilistischen Mittel. Seinen Namen hat er nicht genannt;
„Veremundus" nennt er sich auf dem Titelblatt. Die Schrift hatte in drei
Wochen schon die zweite Auflage (drittes und viertes Tausend) erlebt, obwohl
sich meines Wissens die angesehnern katholischen Zeitschriften noch nicht dazu
geäußert hatten. Seitdem der Würzburger Rektor, Professor Dr. Schelk, seine
zwei aufrüttelnden Broschüren ins Publikum geworfen hat, ist im „katholischen
Lager," wie man ja leider sagen muß, eine gewisse Bewegung bemerkbar.
Schelk verlangte, alles in allem, eine größere Frische und Unbefangenheit in
der Bethätigung seiner Konfessionsgenossen, wobei er nach der evangelischen
Seite hin gewisse Grenzberichtigungeu vornahm; Schelk zog die Umfassnngs-
linien seiner Konfession und Kirche weiter, er idealisirte die Aufgaben der katho¬
lischen Kirche, er verlangte lebendige Thatkraft in und mit der Kultur der
Gegenwart. „Man darf — so rief er seinen seclsorgerisch befangnen Freunden
zu — nicht überall gleich den Satan und den Satmiismus wittern: gewiß
neigt man umso lieber dazu, weil der gesinnungstüchtige Wille damit dem
Verstände die härteste Arbeit abnimmt und zudem im Verdienste frommer Denk¬
weise prunkt. Es ist nicht gut, im Protestantismus nnr das allmähliche Aus¬
reifen des sündlichen Abfalls und des hochmütige« Trotzes zu sehen, d. h. eine
Entwicklung, an welcher der Katholik das Schicksal des Unkrautes beobachten
kann, wenn er nur in gemessener Entfernung davon bleibt wie Jonas von
Ninive!"

Hiermit hat der Würzburger Professor unsrer Empfindung nach den Kern¬
punkt der Frage getroffen- Die Kirche, einst ein Sauerteig der Kultur, ja
die geistige Herrscherin auf allen Gebieten, hat seit der Renaissance und der
deutscheu Reformation ihre überragende Stelle und führende Rolle bei Mil¬
lionen europäischer Menschen, die trotzdem Christen geblieben sind, verloren.
Man hat nun, insbesondre in Deutschland und unter dem Einfluß der jesuiti-
sirenden Richtung, vielfach inbrünstig oder mit Mitteln der Klugheit daran
gearbeitet und darauf gewartet, daß die „abgefallneu" Christen in den Schoß
der Kirche zurückkehren würden. Man hat von Rom aus und in allen Kirchen
und manch einer auch persönlich um diese Heimkehr der verirrten Schafe eifrig
gebetet. Es haben auch in gefühlsweichen Zeiten, wie etwa in der Romantik,
manche Übertritte oder vielmehr Rücktritte stattgefunden. Aber der Bestand
blieb im wesentlichen durch dreihundert Jahre fast uuvernndert. Und als sich
nun gar aus diesem abtrünnigen Deutschland das Kaisertum von 1870, und
zwar gerade aus dem protestantischen Preußen, entwickelte, während Österreich,
das gut katholische, ebenso aufs Haupt geschlagen wurde wie das katholische
Frankreich: da raffte sich der verzweifelnde Katholizismus zu einer gewaltigen
Anstrengung auf. Der Vatikan verkündete sein Unfehlbarkeitsdogma, und zu¬
gleich formten die deutschen Katholiken das Zentrum. Ich weiß nicht, ob man
recht daran thut, Vismarck und seiner Politik den Kulturkampf so überwiegend


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/415>, abgerufen am 12.12.2024.