Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.Hundert Jahre Landwirtschaft in Deutschland Schuldenmachen und Versäumnis der Zinsenzahlung einbüßen, so ist bei einer Deshalb ist auch das Vorurteil des Feldmarschalls gegen die Kreditanstalten Hundert Jahre Landwirtschaft in Deutschland Schuldenmachen und Versäumnis der Zinsenzahlung einbüßen, so ist bei einer Deshalb ist auch das Vorurteil des Feldmarschalls gegen die Kreditanstalten <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0413" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/229362"/> <fw type="header" place="top"> Hundert Jahre Landwirtschaft in Deutschland</fw><lb/> <p xml:id="ID_1133" prev="#ID_1132"> Schuldenmachen und Versäumnis der Zinsenzahlung einbüßen, so ist bei einer<lb/> Volkswirtschaft mit Privateigentum an den Produktionsmitteln die Erlaubnis<lb/> zum Schuldenmachen das einzige Mittel, unfähige volkswirtschaftliche Beamte<lb/> durch fähige zu ersetzen und die Staatswirtschaft in gutem Gange zu erhalten.<lb/> Das gilt von der Landwirtschaft nicht weniger als von Handel und Gewerbe;<lb/> bei diesen beiden Zweigen der Volkswirtschaft ist es noch niemand eingefallen,<lb/> die Produktionsmittel, also die Werkstätten, Fabriken und Geldkapitalien, einer<lb/> beschränkten Anzahl von Familien fideikommissarisch zu sichern.</p><lb/> <p xml:id="ID_1134" next="#ID_1135"> Deshalb ist auch das Vorurteil des Feldmarschalls gegen die Kreditanstalten<lb/> unbegründet, deren Unentbehrlichkeit und Nützlichkeit heute allgemein anerkannt<lb/> wird. Haben die Landschaften seiner Zeit den Fehler begangen, die Güter zu<lb/> hoch zu schätzen, so dient ihnen ihre damals noch unzulängliche Erfahrung zur<lb/> Entschuldigung. Vielleicht sind ihre Taxen an sich auch gar nicht zu hoch<lb/> gewesen, denn daß die Okkupation und Aussaugung des Landes durch die<lb/> Franzosen den Preis der Landgüter weit unter den wirklichen Wert hinabdrücken<lb/> und den Besitzern das Zinsenzahlen unmöglich machen würde, konnten die<lb/> Verwaltungen doch nicht voraussehen. Voyen hatte von seinem kleinen väter¬<lb/> lichen Erbteil noch einen Tausendthaler-Pfandbrief übrig, den er 1809 versilbern<lb/> mußte, weil er, mit achthundert Thalern Gehalt, ein vermögensloses Mädchen<lb/> heiratete; er bekam 280 Thaler dafür; so etwas wird unsern heutigen Landschaften<lb/> nicht mehr begegnen. Beachtung verdient jedoch Boyens Ansicht (I 303), daß<lb/> es ein Fehler gewesen sei, den zahlungsunfähigen Gutsbesitzern einen Jndult<lb/> zu bewilligen, denn dadurch sei auf einmal aller Kredit gelähmt worden; „wer<lb/> noch Geld hatte, verschloß es in seinem Koffer oder suchte es im Ausland<lb/> unterzubringen." Die Regierung hatte diese Maßregel ergriffen, weil sie fürch¬<lb/> tete, stürmische Hypothekenkündigungen würden eine große Anzahl von Land¬<lb/> gütern in den Konkurs stürzen. Boyen hält jedoch diese Befürchtung für<lb/> unbegründet; hätten doch die Gläubiger selbst ein Interesse daran gehabt, die<lb/> Verschleuderung der Güter und den Ausfall ihrer Forderungen durch übereilte<lb/> Subhastation zu verhüten; die meisten von ihnen würden zur Rettung ihrer<lb/> Schuldner selbst die Hand geboten haben. Noch eine zweite Äußerung, die<lb/> nicht zu dem Krisenthema gehört, aber doch die Agrarpolitik im allgemeinen<lb/> angeht, wollen wir anführen, weil sie von einem preußischen Feldmarschall<lb/> stammt, der zwar weder Ar noch Halm besaß, aber immerhin als Mitarbeiter<lb/> und Mitstreiter von Stein und Scharnhorst, als ein Mann von genialen<lb/> Überblick über das Ganze und von scharfer Beobachtungsgabe für das Einzelne<lb/> auf Beachtung Anspruch hat. Das nach dem Negulirungsedikt vom 14. Sep¬<lb/> tember 1811 erlassene Gesetz zur Beförderung der Landeskultur, das die<lb/> Gemeinheitsteilung ankündigte und das Zerschlagen und Zusammenlegen der<lb/> Güter dem freien Verkehr anheimstellte, sei im allgemeinen zu billige» gewesen,<lb/> nur gegen den letzten Punkt, schreibt er II 97, „muß ich mich individuell nach</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0413]
Hundert Jahre Landwirtschaft in Deutschland
Schuldenmachen und Versäumnis der Zinsenzahlung einbüßen, so ist bei einer
Volkswirtschaft mit Privateigentum an den Produktionsmitteln die Erlaubnis
zum Schuldenmachen das einzige Mittel, unfähige volkswirtschaftliche Beamte
durch fähige zu ersetzen und die Staatswirtschaft in gutem Gange zu erhalten.
Das gilt von der Landwirtschaft nicht weniger als von Handel und Gewerbe;
bei diesen beiden Zweigen der Volkswirtschaft ist es noch niemand eingefallen,
die Produktionsmittel, also die Werkstätten, Fabriken und Geldkapitalien, einer
beschränkten Anzahl von Familien fideikommissarisch zu sichern.
Deshalb ist auch das Vorurteil des Feldmarschalls gegen die Kreditanstalten
unbegründet, deren Unentbehrlichkeit und Nützlichkeit heute allgemein anerkannt
wird. Haben die Landschaften seiner Zeit den Fehler begangen, die Güter zu
hoch zu schätzen, so dient ihnen ihre damals noch unzulängliche Erfahrung zur
Entschuldigung. Vielleicht sind ihre Taxen an sich auch gar nicht zu hoch
gewesen, denn daß die Okkupation und Aussaugung des Landes durch die
Franzosen den Preis der Landgüter weit unter den wirklichen Wert hinabdrücken
und den Besitzern das Zinsenzahlen unmöglich machen würde, konnten die
Verwaltungen doch nicht voraussehen. Voyen hatte von seinem kleinen väter¬
lichen Erbteil noch einen Tausendthaler-Pfandbrief übrig, den er 1809 versilbern
mußte, weil er, mit achthundert Thalern Gehalt, ein vermögensloses Mädchen
heiratete; er bekam 280 Thaler dafür; so etwas wird unsern heutigen Landschaften
nicht mehr begegnen. Beachtung verdient jedoch Boyens Ansicht (I 303), daß
es ein Fehler gewesen sei, den zahlungsunfähigen Gutsbesitzern einen Jndult
zu bewilligen, denn dadurch sei auf einmal aller Kredit gelähmt worden; „wer
noch Geld hatte, verschloß es in seinem Koffer oder suchte es im Ausland
unterzubringen." Die Regierung hatte diese Maßregel ergriffen, weil sie fürch¬
tete, stürmische Hypothekenkündigungen würden eine große Anzahl von Land¬
gütern in den Konkurs stürzen. Boyen hält jedoch diese Befürchtung für
unbegründet; hätten doch die Gläubiger selbst ein Interesse daran gehabt, die
Verschleuderung der Güter und den Ausfall ihrer Forderungen durch übereilte
Subhastation zu verhüten; die meisten von ihnen würden zur Rettung ihrer
Schuldner selbst die Hand geboten haben. Noch eine zweite Äußerung, die
nicht zu dem Krisenthema gehört, aber doch die Agrarpolitik im allgemeinen
angeht, wollen wir anführen, weil sie von einem preußischen Feldmarschall
stammt, der zwar weder Ar noch Halm besaß, aber immerhin als Mitarbeiter
und Mitstreiter von Stein und Scharnhorst, als ein Mann von genialen
Überblick über das Ganze und von scharfer Beobachtungsgabe für das Einzelne
auf Beachtung Anspruch hat. Das nach dem Negulirungsedikt vom 14. Sep¬
tember 1811 erlassene Gesetz zur Beförderung der Landeskultur, das die
Gemeinheitsteilung ankündigte und das Zerschlagen und Zusammenlegen der
Güter dem freien Verkehr anheimstellte, sei im allgemeinen zu billige» gewesen,
nur gegen den letzten Punkt, schreibt er II 97, „muß ich mich individuell nach
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