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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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hundert Jahre Landwirtschaft in Deutschland

hältuis weniger verschuldet als der Adel, in seinen Sitten weniger befangen
ist, spricht sich daher in der Regel bei feindlichen Invasionen kräftiger aus.
Seit dieser Zeit und diesen Erfahrungen habe ich daher auch ein immer zu-
nehmendes Mißtrauen sowohl gegen die landschaftlichen Kreditsysteme als die
ungemessene Ausdehnung des Hypothekeuwesens in meiner Brust getragen.
Das wohlverstandne Interesse des Staates verlangt ebenso in moralischer als
staatswirtschaftlicher Hinsicht, so viel als möglich nur unverschuldete Grund¬
eigentümer zu haben, und wenn er daher Kreditanstalten tolerirt oder Schuld¬
verhältnisse durch das Ansehen der Gerichte sanktioniren läßt, so kann er dies
nur, indem er zugleich eine jährliche Tilgung zur Pflicht macht, die eigentlich
mit der Größe der Schuld zunehmen sollte; wer verschuldet ist, muß sparen,,
nicht schwelgen." Das letzte läßt sich freilich nicht bestreikn, aber mit seiner
Auffassung der Hhpothekarverschuldung im allgemeinen begeht der wackere
Mann einen Irrtum, der als solcher allerdings erst in der Mitte unsers
Jahrhunderts, nachdem die Bevölkerung bedeutend gestiegen war, klar erkannt
werden konnte. Die hypothekarische Verschuldung entsteht nämlich im all¬
gemeinen nicht durch verschwenderische Lebensweise, sondern durch Erbteiluug
und durch Gutskauf mit einem den Wert nicht erreichenden Kapital. Die erste
Art der Verschuldung könnte bei steter Volksvermehrung in einem schon an¬
gefüllten Lande nur durch fideikommissarische Bindung des Grundbesitzes ver¬
mieden werden, die, weil der Grundbesitz immer und unter allen Umständen
der weit überwiegende Bestandteil des Volksvermögens bleibt, den ganzen über¬
zähligen Nachwuchs zu ewiger Armut verurteilen und das Nationalvermögen
in den Händen verhältnismäßig weniger festlegen würde. Dieser Zustand
bleibt auch dann unnatürlich und gefährlich, wenn, wie in England, ein Teil
der des Grundbesitzes Beraubten durch Industrie, Handel und Geldspckulativn
zu Wohlstand und sogar zu Reichtum gelangt. Bei uns, wo soviel tausend
Gewerbtreibcnde und Rentner durch Hypotheken am Grundbesitz teil haben, ist
das Nationalvermögen viel gleichmäßiger und gesünder verteilt und vor der
Entwertung besser geschützt. Wollte man aber die zweite Art der Verschuldung
verbieten, so würde man nicht allein sehr vielen tüchtigen Leuten den Weg
zum Wohlstande versperre", soudern auch deu Volkswohlstand schädige". Denn
gerade die Landwirte, die mit einem den Wert nicht ganz deckenden Kapital
ein Landgut taufen, pflegen die intelligentesten und rührigste" zu sein und
nicht allein sich selbst zu behaupten, sondern auch die Landwirtschaft ein Stück
vorwärts zu bringen. Überhaupt aber hieße es die Landwirtschaft zum Still¬
stand und sogar zum Rückschritt verurteilen, wenn mau die hypothekarische
Verschuldung verbieten wollte. Staatswirtschaftlich betrachtet sind die In¬
haber der Produktionsmittel unabsetzbare Beamte. Da nun die tüchtigsten
dieser Beamten ihren Besitz auch in schweren Zeiten zu behaupten vermögen,
die liederlichen, sanken und dummen aber ihn selbst in günstigen Zeiten dnrch


Grenzboten IV 1808 51
hundert Jahre Landwirtschaft in Deutschland

hältuis weniger verschuldet als der Adel, in seinen Sitten weniger befangen
ist, spricht sich daher in der Regel bei feindlichen Invasionen kräftiger aus.
Seit dieser Zeit und diesen Erfahrungen habe ich daher auch ein immer zu-
nehmendes Mißtrauen sowohl gegen die landschaftlichen Kreditsysteme als die
ungemessene Ausdehnung des Hypothekeuwesens in meiner Brust getragen.
Das wohlverstandne Interesse des Staates verlangt ebenso in moralischer als
staatswirtschaftlicher Hinsicht, so viel als möglich nur unverschuldete Grund¬
eigentümer zu haben, und wenn er daher Kreditanstalten tolerirt oder Schuld¬
verhältnisse durch das Ansehen der Gerichte sanktioniren läßt, so kann er dies
nur, indem er zugleich eine jährliche Tilgung zur Pflicht macht, die eigentlich
mit der Größe der Schuld zunehmen sollte; wer verschuldet ist, muß sparen,,
nicht schwelgen." Das letzte läßt sich freilich nicht bestreikn, aber mit seiner
Auffassung der Hhpothekarverschuldung im allgemeinen begeht der wackere
Mann einen Irrtum, der als solcher allerdings erst in der Mitte unsers
Jahrhunderts, nachdem die Bevölkerung bedeutend gestiegen war, klar erkannt
werden konnte. Die hypothekarische Verschuldung entsteht nämlich im all¬
gemeinen nicht durch verschwenderische Lebensweise, sondern durch Erbteiluug
und durch Gutskauf mit einem den Wert nicht erreichenden Kapital. Die erste
Art der Verschuldung könnte bei steter Volksvermehrung in einem schon an¬
gefüllten Lande nur durch fideikommissarische Bindung des Grundbesitzes ver¬
mieden werden, die, weil der Grundbesitz immer und unter allen Umständen
der weit überwiegende Bestandteil des Volksvermögens bleibt, den ganzen über¬
zähligen Nachwuchs zu ewiger Armut verurteilen und das Nationalvermögen
in den Händen verhältnismäßig weniger festlegen würde. Dieser Zustand
bleibt auch dann unnatürlich und gefährlich, wenn, wie in England, ein Teil
der des Grundbesitzes Beraubten durch Industrie, Handel und Geldspckulativn
zu Wohlstand und sogar zu Reichtum gelangt. Bei uns, wo soviel tausend
Gewerbtreibcnde und Rentner durch Hypotheken am Grundbesitz teil haben, ist
das Nationalvermögen viel gleichmäßiger und gesünder verteilt und vor der
Entwertung besser geschützt. Wollte man aber die zweite Art der Verschuldung
verbieten, so würde man nicht allein sehr vielen tüchtigen Leuten den Weg
zum Wohlstande versperre», soudern auch deu Volkswohlstand schädige». Denn
gerade die Landwirte, die mit einem den Wert nicht ganz deckenden Kapital
ein Landgut taufen, pflegen die intelligentesten und rührigste» zu sein und
nicht allein sich selbst zu behaupten, sondern auch die Landwirtschaft ein Stück
vorwärts zu bringen. Überhaupt aber hieße es die Landwirtschaft zum Still¬
stand und sogar zum Rückschritt verurteilen, wenn mau die hypothekarische
Verschuldung verbieten wollte. Staatswirtschaftlich betrachtet sind die In¬
haber der Produktionsmittel unabsetzbare Beamte. Da nun die tüchtigsten
dieser Beamten ihren Besitz auch in schweren Zeiten zu behaupten vermögen,
die liederlichen, sanken und dummen aber ihn selbst in günstigen Zeiten dnrch


Grenzboten IV 1808 51
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[0412] hundert Jahre Landwirtschaft in Deutschland hältuis weniger verschuldet als der Adel, in seinen Sitten weniger befangen ist, spricht sich daher in der Regel bei feindlichen Invasionen kräftiger aus. Seit dieser Zeit und diesen Erfahrungen habe ich daher auch ein immer zu- nehmendes Mißtrauen sowohl gegen die landschaftlichen Kreditsysteme als die ungemessene Ausdehnung des Hypothekeuwesens in meiner Brust getragen. Das wohlverstandne Interesse des Staates verlangt ebenso in moralischer als staatswirtschaftlicher Hinsicht, so viel als möglich nur unverschuldete Grund¬ eigentümer zu haben, und wenn er daher Kreditanstalten tolerirt oder Schuld¬ verhältnisse durch das Ansehen der Gerichte sanktioniren läßt, so kann er dies nur, indem er zugleich eine jährliche Tilgung zur Pflicht macht, die eigentlich mit der Größe der Schuld zunehmen sollte; wer verschuldet ist, muß sparen,, nicht schwelgen." Das letzte läßt sich freilich nicht bestreikn, aber mit seiner Auffassung der Hhpothekarverschuldung im allgemeinen begeht der wackere Mann einen Irrtum, der als solcher allerdings erst in der Mitte unsers Jahrhunderts, nachdem die Bevölkerung bedeutend gestiegen war, klar erkannt werden konnte. Die hypothekarische Verschuldung entsteht nämlich im all¬ gemeinen nicht durch verschwenderische Lebensweise, sondern durch Erbteiluug und durch Gutskauf mit einem den Wert nicht erreichenden Kapital. Die erste Art der Verschuldung könnte bei steter Volksvermehrung in einem schon an¬ gefüllten Lande nur durch fideikommissarische Bindung des Grundbesitzes ver¬ mieden werden, die, weil der Grundbesitz immer und unter allen Umständen der weit überwiegende Bestandteil des Volksvermögens bleibt, den ganzen über¬ zähligen Nachwuchs zu ewiger Armut verurteilen und das Nationalvermögen in den Händen verhältnismäßig weniger festlegen würde. Dieser Zustand bleibt auch dann unnatürlich und gefährlich, wenn, wie in England, ein Teil der des Grundbesitzes Beraubten durch Industrie, Handel und Geldspckulativn zu Wohlstand und sogar zu Reichtum gelangt. Bei uns, wo soviel tausend Gewerbtreibcnde und Rentner durch Hypotheken am Grundbesitz teil haben, ist das Nationalvermögen viel gleichmäßiger und gesünder verteilt und vor der Entwertung besser geschützt. Wollte man aber die zweite Art der Verschuldung verbieten, so würde man nicht allein sehr vielen tüchtigen Leuten den Weg zum Wohlstande versperre», soudern auch deu Volkswohlstand schädige». Denn gerade die Landwirte, die mit einem den Wert nicht ganz deckenden Kapital ein Landgut taufen, pflegen die intelligentesten und rührigste» zu sein und nicht allein sich selbst zu behaupten, sondern auch die Landwirtschaft ein Stück vorwärts zu bringen. Überhaupt aber hieße es die Landwirtschaft zum Still¬ stand und sogar zum Rückschritt verurteilen, wenn mau die hypothekarische Verschuldung verbieten wollte. Staatswirtschaftlich betrachtet sind die In¬ haber der Produktionsmittel unabsetzbare Beamte. Da nun die tüchtigsten dieser Beamten ihren Besitz auch in schweren Zeiten zu behaupten vermögen, die liederlichen, sanken und dummen aber ihn selbst in günstigen Zeiten dnrch Grenzboten IV 1808 51

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/412>, abgerufen am 24.07.2024.