Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite

bruns der Napoleonischen Armee in Norddeutschland, die hochgestiegnen Preise
der Landgüter "zu kaum erhörter Tiefe" Hinabsanke" und "in ihrem Sturz
den Wohlstand vieler Familien begruben." Aber was dem einen sin Abt,
ist dem andern sin Nachtigall. "Das ist die Zeit, wo mancher wenig be¬
mittelte Mann sich Güter erwarb, dessen Söhne und Enkel, im Wohlstand
lebend, sich Verdienste um die Landwirtschaft erworben haben." In Ost¬
preußen hat Boden den Verlauf der Krisis beobachtet. Im Jahre 1790 war
er als neunzehnjähriger Leutnant in Königsberg, wo er unter anderm auch
Universitütsvorlesuugen bei Kant und vier andern Professoren besuchte. Um
die Fortschritte der verbündeten Österreicher und Russen in der Türkei zu
hemmen, machte Preußen mobil und zog seine Truppen teils in Schlesien,
teils in Ostpreußen zusammen. Königsberg sei daher, schreibt Boden I 18,
in jenem Winter sehr belebt gewesen; die Mobilmachung und ein lebhafter
Getreidehandel hätten Geld unter die Leute gebracht, früher unbekannte Ge¬
nüsse hätten das Leben erheitert, aber auch verteuert, und das kostspieligere
Leben habe zusammen mit andern Ursachen die Gutsbesitzer in Schulden ge¬
stürzt. Auch das nicht lange vorher (für Ostpreußen durch das Reglement
vom 16. Februar 1788) ins Leben getretne landschaftliche Kreditsystem habe
dazu beigetragen, "den bisherigen Zustand der Provinz, wenn auch im ersten
Augenblick noch nicht bemerkbar, zu untergraben." Die Maßregel sei nämlich
unglücklicherweise in eine Zeit gefallen, wo der Handel ins Ausland hohe
Getreidepreise brachte. Der dadurch ungewöhnlich gesteigerte Reinertrag der
Güter sei nun den Taxen zu Grunde gelegt worden, Gutsbesitzer, die ihren
Grundbesitz bisher 20000 Thaler wert gehalten hätten, hätten nun auf einmal
erfahren, daß er 40000 Thaler wert sei, und hätten sich dadurch verleiten
lassen, ihn weit über den wahren Wert mit Schulden zu belasten. Der Krieg
von 1806. erzählt er dann weiter auf Seite 285, habe die Täuschung zerstört;
das Getreide") und die Grundstücke hätten auf einmal an Wert verloren, und
so seien denn die Rittergutsbesitzer, die das Mehreiukommen der guten Jahre
auf städtisches Wohlleben statt auf Schuldenbezahlen verwandt hätten, plötzlich
zu hart bedrängten Pächtern ihrer Gläubiger hinabgesunken. Er bemerkt
noch: "Diesem ungünstigen Verhältnis schreibe ich es auch zu, daß sich
mehrere der Gutsbesitzer nicht so selbständig gegen die Franzosen benahmen,"
als man es sonst wohl von ihnen Hütte erwarten können; ein durch Schulden
niedergedrückter Mann ducke sich eben. Freilich habe auch die cmerzogne Ge¬
wohnheit konventioneller Höflichkeit und das Gouvernantenwesen die unwürdige
Haltung vieler Vornehmen mitverschuldet. "Der Bauernstand, der im Ver-



Die Getreidepreise blieben, in Sachsen wenigstens nach der erwähnten Tabelle, vor¬
läufig noch ziemlich hoch; aber das; in Preußen die französische Okkupation den Güterprcio
stürzen mußte, daß namentlich, solange sie dauerte, kein Mensch Lust haben konnte, ein Landgut
zu kaufen, das liegt auf der Hand,

bruns der Napoleonischen Armee in Norddeutschland, die hochgestiegnen Preise
der Landgüter „zu kaum erhörter Tiefe" Hinabsanke» und „in ihrem Sturz
den Wohlstand vieler Familien begruben." Aber was dem einen sin Abt,
ist dem andern sin Nachtigall. „Das ist die Zeit, wo mancher wenig be¬
mittelte Mann sich Güter erwarb, dessen Söhne und Enkel, im Wohlstand
lebend, sich Verdienste um die Landwirtschaft erworben haben." In Ost¬
preußen hat Boden den Verlauf der Krisis beobachtet. Im Jahre 1790 war
er als neunzehnjähriger Leutnant in Königsberg, wo er unter anderm auch
Universitütsvorlesuugen bei Kant und vier andern Professoren besuchte. Um
die Fortschritte der verbündeten Österreicher und Russen in der Türkei zu
hemmen, machte Preußen mobil und zog seine Truppen teils in Schlesien,
teils in Ostpreußen zusammen. Königsberg sei daher, schreibt Boden I 18,
in jenem Winter sehr belebt gewesen; die Mobilmachung und ein lebhafter
Getreidehandel hätten Geld unter die Leute gebracht, früher unbekannte Ge¬
nüsse hätten das Leben erheitert, aber auch verteuert, und das kostspieligere
Leben habe zusammen mit andern Ursachen die Gutsbesitzer in Schulden ge¬
stürzt. Auch das nicht lange vorher (für Ostpreußen durch das Reglement
vom 16. Februar 1788) ins Leben getretne landschaftliche Kreditsystem habe
dazu beigetragen, „den bisherigen Zustand der Provinz, wenn auch im ersten
Augenblick noch nicht bemerkbar, zu untergraben." Die Maßregel sei nämlich
unglücklicherweise in eine Zeit gefallen, wo der Handel ins Ausland hohe
Getreidepreise brachte. Der dadurch ungewöhnlich gesteigerte Reinertrag der
Güter sei nun den Taxen zu Grunde gelegt worden, Gutsbesitzer, die ihren
Grundbesitz bisher 20000 Thaler wert gehalten hätten, hätten nun auf einmal
erfahren, daß er 40000 Thaler wert sei, und hätten sich dadurch verleiten
lassen, ihn weit über den wahren Wert mit Schulden zu belasten. Der Krieg
von 1806. erzählt er dann weiter auf Seite 285, habe die Täuschung zerstört;
das Getreide") und die Grundstücke hätten auf einmal an Wert verloren, und
so seien denn die Rittergutsbesitzer, die das Mehreiukommen der guten Jahre
auf städtisches Wohlleben statt auf Schuldenbezahlen verwandt hätten, plötzlich
zu hart bedrängten Pächtern ihrer Gläubiger hinabgesunken. Er bemerkt
noch: „Diesem ungünstigen Verhältnis schreibe ich es auch zu, daß sich
mehrere der Gutsbesitzer nicht so selbständig gegen die Franzosen benahmen,"
als man es sonst wohl von ihnen Hütte erwarten können; ein durch Schulden
niedergedrückter Mann ducke sich eben. Freilich habe auch die cmerzogne Ge¬
wohnheit konventioneller Höflichkeit und das Gouvernantenwesen die unwürdige
Haltung vieler Vornehmen mitverschuldet. „Der Bauernstand, der im Ver-



Die Getreidepreise blieben, in Sachsen wenigstens nach der erwähnten Tabelle, vor¬
läufig noch ziemlich hoch; aber das; in Preußen die französische Okkupation den Güterprcio
stürzen mußte, daß namentlich, solange sie dauerte, kein Mensch Lust haben konnte, ein Landgut
zu kaufen, das liegt auf der Hand,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0411" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/229360"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_1131" prev="#ID_1130" next="#ID_1132"> bruns der Napoleonischen Armee in Norddeutschland, die hochgestiegnen Preise<lb/>
der Landgüter &#x201E;zu kaum erhörter Tiefe" Hinabsanke» und &#x201E;in ihrem Sturz<lb/>
den Wohlstand vieler Familien begruben." Aber was dem einen sin Abt,<lb/>
ist dem andern sin Nachtigall. &#x201E;Das ist die Zeit, wo mancher wenig be¬<lb/>
mittelte Mann sich Güter erwarb, dessen Söhne und Enkel, im Wohlstand<lb/>
lebend, sich Verdienste um die Landwirtschaft erworben haben." In Ost¬<lb/>
preußen hat Boden den Verlauf der Krisis beobachtet. Im Jahre 1790 war<lb/>
er als neunzehnjähriger Leutnant in Königsberg, wo er unter anderm auch<lb/>
Universitütsvorlesuugen bei Kant und vier andern Professoren besuchte. Um<lb/>
die Fortschritte der verbündeten Österreicher und Russen in der Türkei zu<lb/>
hemmen, machte Preußen mobil und zog seine Truppen teils in Schlesien,<lb/>
teils in Ostpreußen zusammen. Königsberg sei daher, schreibt Boden I 18,<lb/>
in jenem Winter sehr belebt gewesen; die Mobilmachung und ein lebhafter<lb/>
Getreidehandel hätten Geld unter die Leute gebracht, früher unbekannte Ge¬<lb/>
nüsse hätten das Leben erheitert, aber auch verteuert, und das kostspieligere<lb/>
Leben habe zusammen mit andern Ursachen die Gutsbesitzer in Schulden ge¬<lb/>
stürzt. Auch das nicht lange vorher (für Ostpreußen durch das Reglement<lb/>
vom 16. Februar 1788) ins Leben getretne landschaftliche Kreditsystem habe<lb/>
dazu beigetragen, &#x201E;den bisherigen Zustand der Provinz, wenn auch im ersten<lb/>
Augenblick noch nicht bemerkbar, zu untergraben." Die Maßregel sei nämlich<lb/>
unglücklicherweise in eine Zeit gefallen, wo der Handel ins Ausland hohe<lb/>
Getreidepreise brachte. Der dadurch ungewöhnlich gesteigerte Reinertrag der<lb/>
Güter sei nun den Taxen zu Grunde gelegt worden, Gutsbesitzer, die ihren<lb/>
Grundbesitz bisher 20000 Thaler wert gehalten hätten, hätten nun auf einmal<lb/>
erfahren, daß er 40000 Thaler wert sei, und hätten sich dadurch verleiten<lb/>
lassen, ihn weit über den wahren Wert mit Schulden zu belasten. Der Krieg<lb/>
von 1806. erzählt er dann weiter auf Seite 285, habe die Täuschung zerstört;<lb/>
das Getreide") und die Grundstücke hätten auf einmal an Wert verloren, und<lb/>
so seien denn die Rittergutsbesitzer, die das Mehreiukommen der guten Jahre<lb/>
auf städtisches Wohlleben statt auf Schuldenbezahlen verwandt hätten, plötzlich<lb/>
zu hart bedrängten Pächtern ihrer Gläubiger hinabgesunken. Er bemerkt<lb/>
noch: &#x201E;Diesem ungünstigen Verhältnis schreibe ich es auch zu, daß sich<lb/>
mehrere der Gutsbesitzer nicht so selbständig gegen die Franzosen benahmen,"<lb/>
als man es sonst wohl von ihnen Hütte erwarten können; ein durch Schulden<lb/>
niedergedrückter Mann ducke sich eben. Freilich habe auch die cmerzogne Ge¬<lb/>
wohnheit konventioneller Höflichkeit und das Gouvernantenwesen die unwürdige<lb/>
Haltung vieler Vornehmen mitverschuldet.  &#x201E;Der Bauernstand, der im Ver-</p><lb/>
          <note xml:id="FID_40" place="foot"> Die Getreidepreise blieben, in Sachsen wenigstens nach der erwähnten Tabelle, vor¬<lb/>
läufig noch ziemlich hoch; aber das; in Preußen die französische Okkupation den Güterprcio<lb/>
stürzen mußte, daß namentlich, solange sie dauerte, kein Mensch Lust haben konnte, ein Landgut<lb/>
zu kaufen, das liegt auf der Hand,</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0411] bruns der Napoleonischen Armee in Norddeutschland, die hochgestiegnen Preise der Landgüter „zu kaum erhörter Tiefe" Hinabsanke» und „in ihrem Sturz den Wohlstand vieler Familien begruben." Aber was dem einen sin Abt, ist dem andern sin Nachtigall. „Das ist die Zeit, wo mancher wenig be¬ mittelte Mann sich Güter erwarb, dessen Söhne und Enkel, im Wohlstand lebend, sich Verdienste um die Landwirtschaft erworben haben." In Ost¬ preußen hat Boden den Verlauf der Krisis beobachtet. Im Jahre 1790 war er als neunzehnjähriger Leutnant in Königsberg, wo er unter anderm auch Universitütsvorlesuugen bei Kant und vier andern Professoren besuchte. Um die Fortschritte der verbündeten Österreicher und Russen in der Türkei zu hemmen, machte Preußen mobil und zog seine Truppen teils in Schlesien, teils in Ostpreußen zusammen. Königsberg sei daher, schreibt Boden I 18, in jenem Winter sehr belebt gewesen; die Mobilmachung und ein lebhafter Getreidehandel hätten Geld unter die Leute gebracht, früher unbekannte Ge¬ nüsse hätten das Leben erheitert, aber auch verteuert, und das kostspieligere Leben habe zusammen mit andern Ursachen die Gutsbesitzer in Schulden ge¬ stürzt. Auch das nicht lange vorher (für Ostpreußen durch das Reglement vom 16. Februar 1788) ins Leben getretne landschaftliche Kreditsystem habe dazu beigetragen, „den bisherigen Zustand der Provinz, wenn auch im ersten Augenblick noch nicht bemerkbar, zu untergraben." Die Maßregel sei nämlich unglücklicherweise in eine Zeit gefallen, wo der Handel ins Ausland hohe Getreidepreise brachte. Der dadurch ungewöhnlich gesteigerte Reinertrag der Güter sei nun den Taxen zu Grunde gelegt worden, Gutsbesitzer, die ihren Grundbesitz bisher 20000 Thaler wert gehalten hätten, hätten nun auf einmal erfahren, daß er 40000 Thaler wert sei, und hätten sich dadurch verleiten lassen, ihn weit über den wahren Wert mit Schulden zu belasten. Der Krieg von 1806. erzählt er dann weiter auf Seite 285, habe die Täuschung zerstört; das Getreide") und die Grundstücke hätten auf einmal an Wert verloren, und so seien denn die Rittergutsbesitzer, die das Mehreiukommen der guten Jahre auf städtisches Wohlleben statt auf Schuldenbezahlen verwandt hätten, plötzlich zu hart bedrängten Pächtern ihrer Gläubiger hinabgesunken. Er bemerkt noch: „Diesem ungünstigen Verhältnis schreibe ich es auch zu, daß sich mehrere der Gutsbesitzer nicht so selbständig gegen die Franzosen benahmen," als man es sonst wohl von ihnen Hütte erwarten können; ein durch Schulden niedergedrückter Mann ducke sich eben. Freilich habe auch die cmerzogne Ge¬ wohnheit konventioneller Höflichkeit und das Gouvernantenwesen die unwürdige Haltung vieler Vornehmen mitverschuldet. „Der Bauernstand, der im Ver- Die Getreidepreise blieben, in Sachsen wenigstens nach der erwähnten Tabelle, vor¬ läufig noch ziemlich hoch; aber das; in Preußen die französische Okkupation den Güterprcio stürzen mußte, daß namentlich, solange sie dauerte, kein Mensch Lust haben konnte, ein Landgut zu kaufen, das liegt auf der Hand,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/411
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/411>, abgerufen am 24.07.2024.