Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.(österreichisches in Bukarest. Die gesamte politische Welt war über seine Berufung geradezu (österreichisches in Bukarest. Die gesamte politische Welt war über seine Berufung geradezu <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0402" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/229351"/> <fw type="header" place="top"> (österreichisches</fw><lb/> <p xml:id="ID_1113" prev="#ID_1112"> in Bukarest. Die gesamte politische Welt war über seine Berufung geradezu<lb/> verblüfft und fand keine andre Erklärung dafür, als seine polnische Nationa¬<lb/> lität und die besondre persönliche Gnade, um nicht zu sagen Zuneigung des<lb/> Kaisers. Goluchowski gab seiner Amtsführung sofort die neue Richtung auch<lb/> nach außen, indem er seinen persönlichen Verkehr mit Berlin und Rom aufs<lb/> unerläßlichste beschränkte, dagegen Paris und Petersburg alljährlich und unter<lb/> besonders auffälligen Förmlichkeiten besuchte. Daß er im Jahre 1897 in<lb/> Petersburg zu förmliche» Abmachungen mit Nußland gelangt ist, hat er dieser<lb/> Tage in einer Mitteilung der Politischen Korrespondenz mit deutlicher Absicht<lb/> betonen lassen, nachdem es schon vor einem halben Jahre dnrch die russische<lb/> Botschaft in Konstantinopel geflissentlich verraten worden war. Die jüngste<lb/> Anwesenheit des Grafen Mnrawjew in Wien vom 20. bis 25. Oktober dürfte,<lb/> wie in diplomatischen Kreisen nicht bezweifelt wird, eine Erweiterung der<lb/> Petersburger Abmachungen vom Jahre 1897 zum Zweck und zur Folge gehabt<lb/> haben, sodaß Goluchowski von seinem Ziele nicht mehr weit entfernt sein dürfte:<lb/> das Bündnis Österreich-Ungarns mit Deutschland gegenstandslos zu machen<lb/> durch Rückversicherung seiner orientalischen Interessen bei Rußland. Äußerlich<lb/> mag es noch lange Jahre, vielleicht während der ganzen Regierungszeit des<lb/> Kaisers Franz Joseph fortbestehen; eine Probe aber würde es nicht aushalten,<lb/> sofern von Österreich Opfer gefordert würden: nicht etwa deshalb, weil Kaiser<lb/> Franz Joseph seine Armee nicht würde marschieren lassen wollen, sondern weil<lb/> sich für keinen Krieg eine Mehrheit im österreichischen Reichsrat mehr finden<lb/> würde, als für einen solchen gegen Preußen und Deutschland. Soweit haben<lb/> es die Hohenwart, Badeni und Thun glücklich gebracht. In den Blättern der<lb/> heutigen österreichischen Regierungsmehrheit wird systematisch gegen „Preußen"<lb/> und das deutsche Bündnis gehetzt, als wenn mau gar nicht früh genug in<lb/> aller Form davon loskommen könnte, nachdem man es nicht mehr zu bedürfen<lb/> glaubt. Es ist jetzt fast zehn Jahre her, daß der Abgeordnete Türk im offnen<lb/> österreichischen Neichörat den Ausspruch that: „Gott beschütze Deutschland<lb/> davor, daß es jemals auf die Hilfe Österreichs angewiesen sei; sie würde ihm<lb/> nur ungern und lau gewährt werden." Türk meinte, wie er hinzufügte, nicht<lb/> die österreichische Armee, sondern die österreichische Politik. Damals stieß der<lb/> Abgeordnete bei seinen österreichischen Volksgenossen noch auf Widerspruch;<lb/> heute ist kein Zweifel mehr, daß die jetzige österreichische Politik die Not, in<lb/> die etwa das Deutsche Reich geriete, nur benützen würde, ihm in den Rücken<lb/> SU fallen. Man gehe doch die Liste der heutigen österreichischen Minister<lb/> durch; man wird inne werden, daß kein einziger darunter ist, dessen stiller<lb/> Herzenswunsch nicht die Zerstörung des jetzigen Deutschen Reiches wäre. Die<lb/> jetzige Neichsratsmehrheit bekennt sich offen dazu. Diese Thatsache muß man<lb/> sich vor Augen halten, wenn man verstehen will, warum die einsichtigen und<lb/> aufrichtigen Freunde des Bündnisses mit Deutschland der jetzigen österreichischen<lb/> Negierung Widerstand bis aufs äußerste leisten.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0402]
(österreichisches
in Bukarest. Die gesamte politische Welt war über seine Berufung geradezu
verblüfft und fand keine andre Erklärung dafür, als seine polnische Nationa¬
lität und die besondre persönliche Gnade, um nicht zu sagen Zuneigung des
Kaisers. Goluchowski gab seiner Amtsführung sofort die neue Richtung auch
nach außen, indem er seinen persönlichen Verkehr mit Berlin und Rom aufs
unerläßlichste beschränkte, dagegen Paris und Petersburg alljährlich und unter
besonders auffälligen Förmlichkeiten besuchte. Daß er im Jahre 1897 in
Petersburg zu förmliche» Abmachungen mit Nußland gelangt ist, hat er dieser
Tage in einer Mitteilung der Politischen Korrespondenz mit deutlicher Absicht
betonen lassen, nachdem es schon vor einem halben Jahre dnrch die russische
Botschaft in Konstantinopel geflissentlich verraten worden war. Die jüngste
Anwesenheit des Grafen Mnrawjew in Wien vom 20. bis 25. Oktober dürfte,
wie in diplomatischen Kreisen nicht bezweifelt wird, eine Erweiterung der
Petersburger Abmachungen vom Jahre 1897 zum Zweck und zur Folge gehabt
haben, sodaß Goluchowski von seinem Ziele nicht mehr weit entfernt sein dürfte:
das Bündnis Österreich-Ungarns mit Deutschland gegenstandslos zu machen
durch Rückversicherung seiner orientalischen Interessen bei Rußland. Äußerlich
mag es noch lange Jahre, vielleicht während der ganzen Regierungszeit des
Kaisers Franz Joseph fortbestehen; eine Probe aber würde es nicht aushalten,
sofern von Österreich Opfer gefordert würden: nicht etwa deshalb, weil Kaiser
Franz Joseph seine Armee nicht würde marschieren lassen wollen, sondern weil
sich für keinen Krieg eine Mehrheit im österreichischen Reichsrat mehr finden
würde, als für einen solchen gegen Preußen und Deutschland. Soweit haben
es die Hohenwart, Badeni und Thun glücklich gebracht. In den Blättern der
heutigen österreichischen Regierungsmehrheit wird systematisch gegen „Preußen"
und das deutsche Bündnis gehetzt, als wenn mau gar nicht früh genug in
aller Form davon loskommen könnte, nachdem man es nicht mehr zu bedürfen
glaubt. Es ist jetzt fast zehn Jahre her, daß der Abgeordnete Türk im offnen
österreichischen Neichörat den Ausspruch that: „Gott beschütze Deutschland
davor, daß es jemals auf die Hilfe Österreichs angewiesen sei; sie würde ihm
nur ungern und lau gewährt werden." Türk meinte, wie er hinzufügte, nicht
die österreichische Armee, sondern die österreichische Politik. Damals stieß der
Abgeordnete bei seinen österreichischen Volksgenossen noch auf Widerspruch;
heute ist kein Zweifel mehr, daß die jetzige österreichische Politik die Not, in
die etwa das Deutsche Reich geriete, nur benützen würde, ihm in den Rücken
SU fallen. Man gehe doch die Liste der heutigen österreichischen Minister
durch; man wird inne werden, daß kein einziger darunter ist, dessen stiller
Herzenswunsch nicht die Zerstörung des jetzigen Deutschen Reiches wäre. Die
jetzige Neichsratsmehrheit bekennt sich offen dazu. Diese Thatsache muß man
sich vor Augen halten, wenn man verstehen will, warum die einsichtigen und
aufrichtigen Freunde des Bündnisses mit Deutschland der jetzigen österreichischen
Negierung Widerstand bis aufs äußerste leisten.
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