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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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"Österreichisches

Depesche, worin die Aussöhnung der Nuthenen mit den Polen verkündet und
gefeiert wurde. Es wird mit großem Nachdruck betont, daß der Vorsitzende
der Versammlung, Fürst Sanguszko, die Liebenswürdigkeit so weit getrieben
habe, sogar eine Ansprache in ruthenischer Sprache zu halten. Das franzö¬
sische Blatt I/^urovs enthüllte damals die polnischen Träume bei diesem Ver¬
söhnungsfeste noch deutlicher, indem es bemerkte, "dieses höchst bedeutsame Er¬
eignis (die Aussöhnung der Nutheneu mit den Polen) kann einen großen
Einfluß auf die internationale Politik ausüben. Alle Freunde der Slawen
werden sich über diese Wendung, zu der die Polen den Anstoß gegeben haben,
freuen und wünschen, daß sie entscheidend (ävoisivs) sein werde."

Wie alle äußern Ereignisse, auch die unerwartetsten, die deutschfeindlichen
Anschläge begünstigten, so fügte es das Schicksal, daß im Frühjahr 1890 der
größte Staatsmann des Jahrhunderts dem nllerschwüchstcn hatte Platz machen
müssen. Nicht einmal das preußische Polentum, geschweige das österreichische
hatte vom Grafen Caprivi Schwierigkeiten zu erwarten. Und doch war die
endliche Richtung der slawisch-klerikalen Verbrüderung in Osterreich gegen den
Bestand und die Machtstellung des jetzigen Deutschen Reichs nicht etwa erst
im Laufe des Kampfes gegen die deutsche Opposition entstanden, sondern war
von allem Anfang an gewollt, von allem Anfang an die Hauptsache. Solange
Graf Kcilnvky an der Spitze der österreichisch-ungarischen politischen Geschäfte
stand, legte man sich in der Herabwürdigung Deutschlands und des Bündnisses
mit ihm einige Zurückhaltung auf; nachdem aber durch ein ungemein geschickt
angelegtes Nänkespiel Kalnvky gestürzt war, und er einem Vollblutpolcn den Platz
überlassen hatte, nahm die "Reichswehr," das Blatt, das den österreichischen
Steuerzahlern und dem Grafen Badeni in zwei Jahren eine viertel Million
Gulden gekostet hat und vertragsmäßig die Politik Badenis und seiner Mehr¬
heit zu verfechten hatte, jeden Anlaß wahr, Preußen und das deutsch-öster¬
reichische Bündnis zu verunglimpfen und herabzuwürdigen. Als der Jung¬
tscheche Eim mit den Vertrauensmännern der verschiednen Nationalitäten¬
gruppen über das Vorgehen gegen die Deutschen verhandelte, äußerte er den
Rumänen (aus der Bukowina) gegenüber, daß sie bei den übrigen deutschfeind¬
lichen Parteien stark verdächtig seien, an der Politik des Dreibunds zu Hunger;
daß die übrigen Mehrheitsparteien aber den Dreibund bekämpften, einstweilen
im stillen, zu gegebner Zeit aber ihn auch offen bekämpfen würden, und daß
dieser Kampf dann möglicherweise die Rumänen doch von den Polen, Tschechen
und Windischen trennen werde. Es scheint, daß die Rumänen beruhigende
Versicherungen gegeben haben, wenigstens halte" sie bei der Rechten und der
Negierung trotz aller Demütigungen -- so bei den letzten Landtagswahlen in
der Bukowina -- mit einer Zähigkeit und Selbstverleugnung aus, die in dem
bloßen Mangel an Selbstgefühl keine ausreichende Erklärung findet.

Der Nachfolger Kalnokys, Graf Gvluchowski. kam auf seinen hohen Posten
ans verhältnismäßig bescheidner diplomatischer Stellung, vom Gesandtenposten


«Österreichisches

Depesche, worin die Aussöhnung der Nuthenen mit den Polen verkündet und
gefeiert wurde. Es wird mit großem Nachdruck betont, daß der Vorsitzende
der Versammlung, Fürst Sanguszko, die Liebenswürdigkeit so weit getrieben
habe, sogar eine Ansprache in ruthenischer Sprache zu halten. Das franzö¬
sische Blatt I/^urovs enthüllte damals die polnischen Träume bei diesem Ver¬
söhnungsfeste noch deutlicher, indem es bemerkte, „dieses höchst bedeutsame Er¬
eignis (die Aussöhnung der Nutheneu mit den Polen) kann einen großen
Einfluß auf die internationale Politik ausüben. Alle Freunde der Slawen
werden sich über diese Wendung, zu der die Polen den Anstoß gegeben haben,
freuen und wünschen, daß sie entscheidend (ävoisivs) sein werde."

Wie alle äußern Ereignisse, auch die unerwartetsten, die deutschfeindlichen
Anschläge begünstigten, so fügte es das Schicksal, daß im Frühjahr 1890 der
größte Staatsmann des Jahrhunderts dem nllerschwüchstcn hatte Platz machen
müssen. Nicht einmal das preußische Polentum, geschweige das österreichische
hatte vom Grafen Caprivi Schwierigkeiten zu erwarten. Und doch war die
endliche Richtung der slawisch-klerikalen Verbrüderung in Osterreich gegen den
Bestand und die Machtstellung des jetzigen Deutschen Reichs nicht etwa erst
im Laufe des Kampfes gegen die deutsche Opposition entstanden, sondern war
von allem Anfang an gewollt, von allem Anfang an die Hauptsache. Solange
Graf Kcilnvky an der Spitze der österreichisch-ungarischen politischen Geschäfte
stand, legte man sich in der Herabwürdigung Deutschlands und des Bündnisses
mit ihm einige Zurückhaltung auf; nachdem aber durch ein ungemein geschickt
angelegtes Nänkespiel Kalnvky gestürzt war, und er einem Vollblutpolcn den Platz
überlassen hatte, nahm die „Reichswehr," das Blatt, das den österreichischen
Steuerzahlern und dem Grafen Badeni in zwei Jahren eine viertel Million
Gulden gekostet hat und vertragsmäßig die Politik Badenis und seiner Mehr¬
heit zu verfechten hatte, jeden Anlaß wahr, Preußen und das deutsch-öster¬
reichische Bündnis zu verunglimpfen und herabzuwürdigen. Als der Jung¬
tscheche Eim mit den Vertrauensmännern der verschiednen Nationalitäten¬
gruppen über das Vorgehen gegen die Deutschen verhandelte, äußerte er den
Rumänen (aus der Bukowina) gegenüber, daß sie bei den übrigen deutschfeind¬
lichen Parteien stark verdächtig seien, an der Politik des Dreibunds zu Hunger;
daß die übrigen Mehrheitsparteien aber den Dreibund bekämpften, einstweilen
im stillen, zu gegebner Zeit aber ihn auch offen bekämpfen würden, und daß
dieser Kampf dann möglicherweise die Rumänen doch von den Polen, Tschechen
und Windischen trennen werde. Es scheint, daß die Rumänen beruhigende
Versicherungen gegeben haben, wenigstens halte» sie bei der Rechten und der
Negierung trotz aller Demütigungen — so bei den letzten Landtagswahlen in
der Bukowina — mit einer Zähigkeit und Selbstverleugnung aus, die in dem
bloßen Mangel an Selbstgefühl keine ausreichende Erklärung findet.

Der Nachfolger Kalnokys, Graf Gvluchowski. kam auf seinen hohen Posten
ans verhältnismäßig bescheidner diplomatischer Stellung, vom Gesandtenposten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/401>, abgerufen am 04.07.2024.