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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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als "kaiserlich-königliche" durch ein eingeschobnes "und" geändert, und die that¬
sächlich längst bestehende Zerreißung der Armee auch äußerlich erkennbar ge¬
macht. Der offne Angriff gegen die Verfassung und die geschichtliche und
rechtliche Stellung der Deutschen begann, wie das natürlich war, im böh¬
mischen Landtage und führte im Herbst 1889 zu solchen Ausschreitungen, das;
der Austritt der Deutschen nicht nur aus dem böhmischen Landtage, sondern
auch aus dem Neichsrate grundsätzlich beschlossen wurde. Wesentlich Rücksichten
^anf die auswärtige Stellung des Reichs waren es, wodurch der Kaiser Franz
Joseph bewogen wurde, persönlich für deu Ausgleich der beiden Nationalitäten
in Böhmen einzutreten. Im Dezember 1889 begannen in Wien die Ausgleichs-
kvnferenzen der beiderseitigen Vertrauensmänner, und im Januar 1890 ging
ein Jubelrauschen durch den deutschen Papierblätterwald in Österreich: der
Ausgleich war fertig. Es schien, als habe Hohenwart das Spiel verloren,
als sollte der Nationalitätenkampf in Österreich sein Ende erreichen, ohne zu
einer Unterdrückung der Deutschen und zur Errichtung der slawischen Vorherr¬
schaft geführt zu haben. Da traten, von den Polen im geheimen, von den
Südslawen öffentlich unterstützt, die Jungtschechen gegen den böhmischen Aus¬
gleich auf, führten im Reichsrate die Obstruktion gegen das Ministerium Win-
dischgrätz, das schwach genug war, auf Einflüsterungen Hohenwarts den Win¬
dischen ein administratives Zugeständnis nach dem andern zu machen und
schließlich durch Einstellung der Ausgaben für ein windisches Gymnasium in
Cilli in den Staatshaushalt die Mehrzahl der deutscheu Abgeordneten von
sich abzustoßen und damit sich selber ein ruhmloses Ende zu bereiten.

Während sich Fürst Windischgrntz mit Eifer und Ehrlichkeit bemühte, den
beschlossenen Ausgleich in Böhmen zur Wirklichkeit zu machen, gaben die, die
ihn beschlossen und beschworen hatten, die Alttschechen und die feudalen Gro߬
grundbesitzer, ihn auf, traten -- wie sie sich ausdrückte" -- freiwillig von der
übernvmmncn Verpflichtung zurück und verhandelten mit den Polen über die
Möglichkeit, den nationalen Frieden nicht mit dem Deutschtum, sondern auf dem
Grab des Deutschtums zu erzwingen. Es mußte zu diesem Zwecke der Januar¬
ausgleich von 1890 um jeden Preis in Böhmen hintertrieben, sodann mußten
alle nichtdeutschen Nationalitäten zu einer Mehrheit zusammengefügt werden,
wobei man auf die föderalistischen und klerikalen dentschen wie italienischen
Elemente anrechnete. Sehr viel kam darauf an, daß die galizischen Abgeord¬
neten einig und geschlossen auftraten. Darum wurde anfangs Dezember 1890
im Lemberger Landtag die Komödie der Versöhnung der Polen mit den Russen
(Nntheuen) aufgeführt, das ureigenste Werk des damaligen galizischen Statt¬
halters Grafen Kasimir Bcideni. des schon damals in Aussicht genommnen
künftigen Ministerpräsidenten nach dem Herzen Hohenwarts. Die Polen be¬
eilten sich, der Welt, wie üblich auf dem Wege der französischen Presse, die
neue Ära in Österreich zu verkünden. Der Pariser Isinps enthielt über den
Schluß des galizischen Landtages vom 4. Dezember 1890 eine ausführliche


als „kaiserlich-königliche" durch ein eingeschobnes „und" geändert, und die that¬
sächlich längst bestehende Zerreißung der Armee auch äußerlich erkennbar ge¬
macht. Der offne Angriff gegen die Verfassung und die geschichtliche und
rechtliche Stellung der Deutschen begann, wie das natürlich war, im böh¬
mischen Landtage und führte im Herbst 1889 zu solchen Ausschreitungen, das;
der Austritt der Deutschen nicht nur aus dem böhmischen Landtage, sondern
auch aus dem Neichsrate grundsätzlich beschlossen wurde. Wesentlich Rücksichten
^anf die auswärtige Stellung des Reichs waren es, wodurch der Kaiser Franz
Joseph bewogen wurde, persönlich für deu Ausgleich der beiden Nationalitäten
in Böhmen einzutreten. Im Dezember 1889 begannen in Wien die Ausgleichs-
kvnferenzen der beiderseitigen Vertrauensmänner, und im Januar 1890 ging
ein Jubelrauschen durch den deutschen Papierblätterwald in Österreich: der
Ausgleich war fertig. Es schien, als habe Hohenwart das Spiel verloren,
als sollte der Nationalitätenkampf in Österreich sein Ende erreichen, ohne zu
einer Unterdrückung der Deutschen und zur Errichtung der slawischen Vorherr¬
schaft geführt zu haben. Da traten, von den Polen im geheimen, von den
Südslawen öffentlich unterstützt, die Jungtschechen gegen den böhmischen Aus¬
gleich auf, führten im Reichsrate die Obstruktion gegen das Ministerium Win-
dischgrätz, das schwach genug war, auf Einflüsterungen Hohenwarts den Win¬
dischen ein administratives Zugeständnis nach dem andern zu machen und
schließlich durch Einstellung der Ausgaben für ein windisches Gymnasium in
Cilli in den Staatshaushalt die Mehrzahl der deutscheu Abgeordneten von
sich abzustoßen und damit sich selber ein ruhmloses Ende zu bereiten.

Während sich Fürst Windischgrntz mit Eifer und Ehrlichkeit bemühte, den
beschlossenen Ausgleich in Böhmen zur Wirklichkeit zu machen, gaben die, die
ihn beschlossen und beschworen hatten, die Alttschechen und die feudalen Gro߬
grundbesitzer, ihn auf, traten — wie sie sich ausdrückte» — freiwillig von der
übernvmmncn Verpflichtung zurück und verhandelten mit den Polen über die
Möglichkeit, den nationalen Frieden nicht mit dem Deutschtum, sondern auf dem
Grab des Deutschtums zu erzwingen. Es mußte zu diesem Zwecke der Januar¬
ausgleich von 1890 um jeden Preis in Böhmen hintertrieben, sodann mußten
alle nichtdeutschen Nationalitäten zu einer Mehrheit zusammengefügt werden,
wobei man auf die föderalistischen und klerikalen dentschen wie italienischen
Elemente anrechnete. Sehr viel kam darauf an, daß die galizischen Abgeord¬
neten einig und geschlossen auftraten. Darum wurde anfangs Dezember 1890
im Lemberger Landtag die Komödie der Versöhnung der Polen mit den Russen
(Nntheuen) aufgeführt, das ureigenste Werk des damaligen galizischen Statt¬
halters Grafen Kasimir Bcideni. des schon damals in Aussicht genommnen
künftigen Ministerpräsidenten nach dem Herzen Hohenwarts. Die Polen be¬
eilten sich, der Welt, wie üblich auf dem Wege der französischen Presse, die
neue Ära in Österreich zu verkünden. Der Pariser Isinps enthielt über den
Schluß des galizischen Landtages vom 4. Dezember 1890 eine ausführliche


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/400>, abgerufen am 12.12.2024.