Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.Skizzen aus unserm heutigen Volksleben nehmen. Als diese Entscheidung bekannt wurde, und als die Kriegervereine auch Man kann sich denken, welche Arbeit das Komitee hatte, welche Wege ge¬ Sogleich machte sich der Herr Stadtsekretär mit Feuereifer an seine Aufgabe. Inzwischen hatten sich die beiden Kriegervereine veruneint, nämlich wegen der So nahte Königs Geburtstag. Schon einige Tage zuvor ermahnte ein Liois Skizzen aus unserm heutigen Volksleben nehmen. Als diese Entscheidung bekannt wurde, und als die Kriegervereine auch Man kann sich denken, welche Arbeit das Komitee hatte, welche Wege ge¬ Sogleich machte sich der Herr Stadtsekretär mit Feuereifer an seine Aufgabe. Inzwischen hatten sich die beiden Kriegervereine veruneint, nämlich wegen der So nahte Königs Geburtstag. Schon einige Tage zuvor ermahnte ein Liois <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0385" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/229334"/> <fw type="header" place="top"> Skizzen aus unserm heutigen Volksleben</fw><lb/> <p xml:id="ID_1059" prev="#ID_1058"> nehmen. Als diese Entscheidung bekannt wurde, und als die Kriegervereine auch<lb/> noch besonders die Musik für sich beanspruchte», um ihre Fahnen militärisch holen<lb/> und abbringen zu können, erhob sich ein großer Tumult. Das werde ja immer<lb/> schöner. Ob deun die Kriegervereine den Patriotismus gepachtet hätten? Das sei<lb/> ein schöner Patriotismus, eine patriotische Feier durch persönliche Ansprüche zu stören.<lb/> Unter solchen Umständen danke man für Obst, und Königs Geburtstag könne feiern<lb/> wer wolle.</p><lb/> <p xml:id="ID_1060"> Man kann sich denken, welche Arbeit das Komitee hatte, welche Wege ge¬<lb/> laufen, welche Überredungskünste aufgeboten werden mußten. Endlich fand man<lb/> einen Ausweg. Freilich eine Anzahl von Vereinen war nicht zu versöhnen, aber<lb/> die andern waren es zufrieden, daß die Kriegervereine zwar vorausgingen, aber<lb/> die Musik müsse dann erst hinter den Kriegervereinen kommen. Dem widersprachen<lb/> aber die Kriegervereine. Der Festzug konnte doch auch nicht stumm beginnen. Ein<lb/> zweites Musikkorps war nicht zu haben, was nun machen? Da erhob sich der Herr<lb/> Stndtsetretär mit dem rettenden Gedanken, man könne ja die Jugend heranziehen.<lb/> Man könnte die Trommler der verschiednen Schule« und alle, die sonst Trommeln<lb/> hätten, zu eineni Korps von fünfzig bis hundert Trommlern vereinigen und diese dem<lb/> Zuge vorausgehen lassen. — Schön, sehr schön, wer aber würde die Einübung der<lb/> Trommler übernehmen? — Das werde er mit Vergnügen selber thun. — Aus¬<lb/> gezeichnet!</p><lb/> <p xml:id="ID_1061"> Sogleich machte sich der Herr Stadtsekretär mit Feuereifer an seine Aufgabe.<lb/> Wir wollen hier verraten, daß er in seinen Militärverhältnissen Tambourmajor ge¬<lb/> wesen ist, und daß er es sich schön dachte, nachdem er solange im Schatten seines<lb/> Bureaus gearbeitet hatte, einmal wieder mit der ihm eignen Würde und Schönheit<lb/> an die Sonne der Öffentlichkeit zu treten. In der That ist er in dieser Zeit<lb/> in schöner Haltung öfter vor dem Spiegel gesehen worden, als es seine Haar¬<lb/> verhältnisse forderten. Jeden Abend nach der Schule versammelten sich gegen siebzig<lb/> Trommler im Turnsaale der Volksschule, große Knaben, kleine Knaben, gute<lb/> Trommeln, schlechte Trommeln, es galt alles. Nach vierzehn Tagen hatte der Stadt¬<lb/> sekretär seine Jungens soweit, daß sie Reihe und Schritt hielten, daß sie uicht all¬<lb/> mählich in Sturmmarsch verfielen, und daß sie Reveille, Zapfenstreich und Armee-<lb/> marsch Ur. 4 schlagen konnten. Da nun die Knaben auf dem Hin- und Heimwege<lb/> fleißig auf ihren Trommeln klapperten, da um allen Ecken Trommlerhäufchen standen,<lb/> die vorübten oder nachübten, und da der Herr Stadtsekretär bei gutem Wetter mit<lb/> seiner ganzen Schar auf den Schulhof kam, um zu üben und sich an dem Sonnenschein<lb/> der Öffentlichkeit zu erlaben, so wurde das ganze Stadtviertel in der Umgebung<lb/> der Volksschule trommelnervös. Auch sonst in der Stadt hörte man Klagen. Das<lb/> Trommeln und Klappern auf Höfen, in Vorsälen, in Kellern und auf Böden wollte<lb/> kein Ende nehmen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1062"> Inzwischen hatten sich die beiden Kriegervereine veruneint, nämlich wegen der<lb/> Frage, wer von ihnen beiden den Vortritt haben sollte. Der eine Verein hieß<lb/> „Kriegervereiu mit Gewehr" und verlangte seiner Gewehre wegen den Vortritt.<lb/> Dies waren die jüngern Leute. Der andre hieß „Verein der Kriegskameraden."<lb/> Dies waren die alten Leute, die ihrer Zeit Pulver gerochen hatten. Die Zumutung,<lb/> in zweiter Stelle zu gehen, wiesen sie mit Verachtung zurück: I, wir werden doch<lb/> nicht hinter den Jungens herziehen! Es war nicht möglich, zu einer Einigung zu<lb/> kommen, und so blieb die Sache unentschieden.</p><lb/> <p xml:id="ID_1063" next="#ID_1064"> So nahte Königs Geburtstag. Schon einige Tage zuvor ermahnte ein Liois<lb/> die Bürgerschaft, den Festtag mit einer glänzenden Illumination zu beschließen.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0385]
Skizzen aus unserm heutigen Volksleben
nehmen. Als diese Entscheidung bekannt wurde, und als die Kriegervereine auch
noch besonders die Musik für sich beanspruchte», um ihre Fahnen militärisch holen
und abbringen zu können, erhob sich ein großer Tumult. Das werde ja immer
schöner. Ob deun die Kriegervereine den Patriotismus gepachtet hätten? Das sei
ein schöner Patriotismus, eine patriotische Feier durch persönliche Ansprüche zu stören.
Unter solchen Umständen danke man für Obst, und Königs Geburtstag könne feiern
wer wolle.
Man kann sich denken, welche Arbeit das Komitee hatte, welche Wege ge¬
laufen, welche Überredungskünste aufgeboten werden mußten. Endlich fand man
einen Ausweg. Freilich eine Anzahl von Vereinen war nicht zu versöhnen, aber
die andern waren es zufrieden, daß die Kriegervereine zwar vorausgingen, aber
die Musik müsse dann erst hinter den Kriegervereinen kommen. Dem widersprachen
aber die Kriegervereine. Der Festzug konnte doch auch nicht stumm beginnen. Ein
zweites Musikkorps war nicht zu haben, was nun machen? Da erhob sich der Herr
Stndtsetretär mit dem rettenden Gedanken, man könne ja die Jugend heranziehen.
Man könnte die Trommler der verschiednen Schule« und alle, die sonst Trommeln
hätten, zu eineni Korps von fünfzig bis hundert Trommlern vereinigen und diese dem
Zuge vorausgehen lassen. — Schön, sehr schön, wer aber würde die Einübung der
Trommler übernehmen? — Das werde er mit Vergnügen selber thun. — Aus¬
gezeichnet!
Sogleich machte sich der Herr Stadtsekretär mit Feuereifer an seine Aufgabe.
Wir wollen hier verraten, daß er in seinen Militärverhältnissen Tambourmajor ge¬
wesen ist, und daß er es sich schön dachte, nachdem er solange im Schatten seines
Bureaus gearbeitet hatte, einmal wieder mit der ihm eignen Würde und Schönheit
an die Sonne der Öffentlichkeit zu treten. In der That ist er in dieser Zeit
in schöner Haltung öfter vor dem Spiegel gesehen worden, als es seine Haar¬
verhältnisse forderten. Jeden Abend nach der Schule versammelten sich gegen siebzig
Trommler im Turnsaale der Volksschule, große Knaben, kleine Knaben, gute
Trommeln, schlechte Trommeln, es galt alles. Nach vierzehn Tagen hatte der Stadt¬
sekretär seine Jungens soweit, daß sie Reihe und Schritt hielten, daß sie uicht all¬
mählich in Sturmmarsch verfielen, und daß sie Reveille, Zapfenstreich und Armee-
marsch Ur. 4 schlagen konnten. Da nun die Knaben auf dem Hin- und Heimwege
fleißig auf ihren Trommeln klapperten, da um allen Ecken Trommlerhäufchen standen,
die vorübten oder nachübten, und da der Herr Stadtsekretär bei gutem Wetter mit
seiner ganzen Schar auf den Schulhof kam, um zu üben und sich an dem Sonnenschein
der Öffentlichkeit zu erlaben, so wurde das ganze Stadtviertel in der Umgebung
der Volksschule trommelnervös. Auch sonst in der Stadt hörte man Klagen. Das
Trommeln und Klappern auf Höfen, in Vorsälen, in Kellern und auf Böden wollte
kein Ende nehmen.
Inzwischen hatten sich die beiden Kriegervereine veruneint, nämlich wegen der
Frage, wer von ihnen beiden den Vortritt haben sollte. Der eine Verein hieß
„Kriegervereiu mit Gewehr" und verlangte seiner Gewehre wegen den Vortritt.
Dies waren die jüngern Leute. Der andre hieß „Verein der Kriegskameraden."
Dies waren die alten Leute, die ihrer Zeit Pulver gerochen hatten. Die Zumutung,
in zweiter Stelle zu gehen, wiesen sie mit Verachtung zurück: I, wir werden doch
nicht hinter den Jungens herziehen! Es war nicht möglich, zu einer Einigung zu
kommen, und so blieb die Sache unentschieden.
So nahte Königs Geburtstag. Schon einige Tage zuvor ermahnte ein Liois
die Bürgerschaft, den Festtag mit einer glänzenden Illumination zu beschließen.
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