Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.Mythologie. -- Höchst belehrend spricht sich, wie immer, wenn er das Wort in solchen Mythologie. — Höchst belehrend spricht sich, wie immer, wenn er das Wort in solchen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0374" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/229323"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_1009" prev="#ID_1008" next="#ID_1010"> Mythologie. — Höchst belehrend spricht sich, wie immer, wenn er das Wort in solchen<lb/> Fragen nimmt, Alfred Lichtwark über Böcklins Kunst aus. Noch vor zehn Jahren<lb/> belächelte und verspottete man seine Bilder in weiten Kreisen, jetzt bei den Aus¬<lb/> stellungen in Berlin und Hamburg zeigte sich eine ebenso allgemeine Begeisterung,<lb/> ein nicht nur oberflächliches Besuchen und Besehen, sondern ein ehrliches Bewundern,<lb/> ein an Ehrfurcht grenzendes Versenken, und eine besonders große Anziehung übte<lb/> Böcklin auf die Jugend aus. Woher ist dieser Umschwung gekommen? Die Kunst¬<lb/> erkenntnis kann in so kurzer Zeit nicht so gewachsen sein, Modebegeisterung müßte,<lb/> wenn man sie annehmen wollte, selbst wieder erklärt werden, also kann Lichtwark<lb/> nur an eine Massensuggestion denken. Der Mensch hat den Wunsch, sich packen zu<lb/> lassen, und so kommt die Stimmung, die zur Aufnahme einer großen Erscheinung<lb/> nötig ist. Auffallend war sodann, daß die Farbigkeit, die früher den einzelnen<lb/> Böcklinschen Bildern gegenüber vom Publikum jedesmal als etwas fremdartiges<lb/> empfunden wurde, hier bei der Massenauhäufnng nicht mehr überraschte, sodaß man<lb/> zunächst wohl an ein nachdunkeln der Bilder hätte glauben mögen, was sich doch<lb/> bei näherer Prüfung als unrichtig erwies. Wir haben also im letzten Jahrzehnt<lb/> allesamt mehr Farbe ertragen und verlangen gelernt, und Böcklin ist nicht mehr,<lb/> wie in den siebziger Jahren, der einzige Farbenbringer. Das Gros der Jugend<lb/> ist weiter vorausgeschwärmt, teils, wie einige Münchner, in Regionen, wo die Farbe<lb/> hauptsächlich nur dekorativen Wert hat, teils, wie die Worpsweder, „mit der um<lb/> der Anschauung südlicher Farbenpracht entwickelten Intensität Böcklins die Eigenart<lb/> eines nordischen Landschaftsgebiets nachfühlend." Böcklins Anschauung von der<lb/> Farbe, die uus heute schon historisch berührt, wurde in den siebziger Jahren als<lb/> neu empfunden und abgelehnt von demselben Publikum, das sich wie die Masse der<lb/> Künstler und das ganze Kunstgewerbe Makart zuwandte. Makart hatte sein Talent<lb/> in den Dienst der Menge gestellt, die nach soviel Zeichnung, Antuschung, Karton<lb/> und blassem Fresko nun endlich nach Farbe verlangte. Makart bot sie ihr; sie<lb/> brauchte dabei nicht viel nachzudenken, und die riesigen Flächen imponirten, da man<lb/> uoch nicht durch die Pnnorammnalerei abgestumpft war. „Und die Masse war ihm<lb/> dankbar, huldigte ihm auf den Knieen, überschüttete ihn mit den Schätzen des<lb/> Abend- und Morgenlandes und stellte ihn äußerlich den Königen der Politik und<lb/> der Geldwirtschaft gleich. Die Herrschaft seiner Farbenanschmmng reichte bis in<lb/> jede Tapeziererwerkstatt und jeden Stickladen, wo sie immer noch nicht aufgehört<lb/> hat. Seine Bilder sind heute fast vergessen. Sie üben kaum noch eine lebendige<lb/> Wirkung aus. Sein Andenken aber ist noch nicht erloschen, weil in den dekora¬<lb/> tiven Künsten eine neue Anschauung ihr Haupt erhoben hat, das ihm in heftiger<lb/> Gegnerschaft zugewendet ist." Makart starb zur rechten Zeit, als er noch in voller<lb/> Gunst stand; seine Laufbahn war um 1880 wesentlich abgeschlossen. Er hatte<lb/> zwei Jahrzehnte lang Böcklin verdunkelt, denn um soviel war dieser mit seiner<lb/> Anschauung zu früh gekommen. — Der Gedanke liegt nahe, was ein Mann wie<lb/> Böcklin erst geleistet haben würde, wenn seine Zeit ihn gefördert hätte. Lichtwark<lb/> meint mit Recht, man werde später bei dem Rückblick ans das neunzehnte Jahr¬<lb/> hundert Begabung und Leistung für sich betrachten und den deutschen Künstlern<lb/> unsrer Zeit zu gute halten müssen, daß sie nnter den ungünstigsten Umständen ge¬<lb/> arbeitet hätten. Denn in der That seit 1830 gab es bei uns viel mehr Künstler,<lb/> als man brauchte, aber die alten Gönner Kirche, Fürsten und Adel fehlten; an<lb/> Stelle der Fürsten schaltete die unpersönliche Kunstpflege der staatlichen Kom¬<lb/> missionen, an Stelle der Mäeene ein künstlerisch ganz ungebildeter Bürgerstand<lb/> und das Unternehmertum der Kunsthändler. Und nun tum die Hetzpeitsche der sich</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0374]
Mythologie. — Höchst belehrend spricht sich, wie immer, wenn er das Wort in solchen
Fragen nimmt, Alfred Lichtwark über Böcklins Kunst aus. Noch vor zehn Jahren
belächelte und verspottete man seine Bilder in weiten Kreisen, jetzt bei den Aus¬
stellungen in Berlin und Hamburg zeigte sich eine ebenso allgemeine Begeisterung,
ein nicht nur oberflächliches Besuchen und Besehen, sondern ein ehrliches Bewundern,
ein an Ehrfurcht grenzendes Versenken, und eine besonders große Anziehung übte
Böcklin auf die Jugend aus. Woher ist dieser Umschwung gekommen? Die Kunst¬
erkenntnis kann in so kurzer Zeit nicht so gewachsen sein, Modebegeisterung müßte,
wenn man sie annehmen wollte, selbst wieder erklärt werden, also kann Lichtwark
nur an eine Massensuggestion denken. Der Mensch hat den Wunsch, sich packen zu
lassen, und so kommt die Stimmung, die zur Aufnahme einer großen Erscheinung
nötig ist. Auffallend war sodann, daß die Farbigkeit, die früher den einzelnen
Böcklinschen Bildern gegenüber vom Publikum jedesmal als etwas fremdartiges
empfunden wurde, hier bei der Massenauhäufnng nicht mehr überraschte, sodaß man
zunächst wohl an ein nachdunkeln der Bilder hätte glauben mögen, was sich doch
bei näherer Prüfung als unrichtig erwies. Wir haben also im letzten Jahrzehnt
allesamt mehr Farbe ertragen und verlangen gelernt, und Böcklin ist nicht mehr,
wie in den siebziger Jahren, der einzige Farbenbringer. Das Gros der Jugend
ist weiter vorausgeschwärmt, teils, wie einige Münchner, in Regionen, wo die Farbe
hauptsächlich nur dekorativen Wert hat, teils, wie die Worpsweder, „mit der um
der Anschauung südlicher Farbenpracht entwickelten Intensität Böcklins die Eigenart
eines nordischen Landschaftsgebiets nachfühlend." Böcklins Anschauung von der
Farbe, die uus heute schon historisch berührt, wurde in den siebziger Jahren als
neu empfunden und abgelehnt von demselben Publikum, das sich wie die Masse der
Künstler und das ganze Kunstgewerbe Makart zuwandte. Makart hatte sein Talent
in den Dienst der Menge gestellt, die nach soviel Zeichnung, Antuschung, Karton
und blassem Fresko nun endlich nach Farbe verlangte. Makart bot sie ihr; sie
brauchte dabei nicht viel nachzudenken, und die riesigen Flächen imponirten, da man
uoch nicht durch die Pnnorammnalerei abgestumpft war. „Und die Masse war ihm
dankbar, huldigte ihm auf den Knieen, überschüttete ihn mit den Schätzen des
Abend- und Morgenlandes und stellte ihn äußerlich den Königen der Politik und
der Geldwirtschaft gleich. Die Herrschaft seiner Farbenanschmmng reichte bis in
jede Tapeziererwerkstatt und jeden Stickladen, wo sie immer noch nicht aufgehört
hat. Seine Bilder sind heute fast vergessen. Sie üben kaum noch eine lebendige
Wirkung aus. Sein Andenken aber ist noch nicht erloschen, weil in den dekora¬
tiven Künsten eine neue Anschauung ihr Haupt erhoben hat, das ihm in heftiger
Gegnerschaft zugewendet ist." Makart starb zur rechten Zeit, als er noch in voller
Gunst stand; seine Laufbahn war um 1880 wesentlich abgeschlossen. Er hatte
zwei Jahrzehnte lang Böcklin verdunkelt, denn um soviel war dieser mit seiner
Anschauung zu früh gekommen. — Der Gedanke liegt nahe, was ein Mann wie
Böcklin erst geleistet haben würde, wenn seine Zeit ihn gefördert hätte. Lichtwark
meint mit Recht, man werde später bei dem Rückblick ans das neunzehnte Jahr¬
hundert Begabung und Leistung für sich betrachten und den deutschen Künstlern
unsrer Zeit zu gute halten müssen, daß sie nnter den ungünstigsten Umständen ge¬
arbeitet hätten. Denn in der That seit 1830 gab es bei uns viel mehr Künstler,
als man brauchte, aber die alten Gönner Kirche, Fürsten und Adel fehlten; an
Stelle der Fürsten schaltete die unpersönliche Kunstpflege der staatlichen Kom¬
missionen, an Stelle der Mäeene ein künstlerisch ganz ungebildeter Bürgerstand
und das Unternehmertum der Kunsthändler. Und nun tum die Hetzpeitsche der sich
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |