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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Neue Runstlitteratur

und eine Anzahl Dürerscher Holzschnitte ruft uns den niemals alternden Wert und
Ruhm der Alten ins Gewissen,

Mit Vergnügen haben wir die meisten der hier mitgeteilten belehrenden Auf¬
sätze gelesen; sie sind wirklich lehrreich. Nur von einem kann man das nicht sagen,
von der "Abendröte der Kunst"; er ist konfus und gemeinschädlich, so etwas sollte
der Pein nicht aufnehmen! Paul Schultze spricht über Münchner Landschafter, die
ihre Motive aus dem Dachauer Moos nehmen, und giebt dazu einige Abbildungen
nach Ludwig Dill. Auch er ist der Ansicht, daß die Pleinairisten keine Leistungen
von Rang hervorgebracht, daß sie nur an Farbe und atmosphärische Wirkungen
gedacht, die Linie aber, die Struktur der Landschaft, die Aufgaben des Zeichners
vernachlässigt hätten. Ein Landschaftsbild sei kein zufälliger Naturausschnitt, es
setze eine künstlerische Verteilung der Massen voraus, es solle, abgesehen von dem,
was es darstelle, auch dekorativ, als Fläche wirken, wie man das an den Land¬
schaften der Alten sehe, und diese Wirkung müsse den Naturausschnitt bestimmen.
Mit starker Farbe und einfacher Zeichnung könne man dem Eindruck eines Teppichs
nahe kommen, ohne der Natur Zwang anzuthun; man entnehme ihr cinßer den
Einzelheiten noch die Anregungen zu einem größern architektonischen Rhythmus.
Diese zunächst an Dills Landschaften dargelegte Idee setzt also neben das unmittel¬
bare Nnturbild eine ganz neue Art der früher heroisch genannten Landschaft. Anders
sei dann, meint Schultze, das intimere und auch wohl meist kleinere landschaftliche
Stimmungsbild zu behandeln; es müsse durch einen freiern Farbenvvrtrng wirken.
Wir wollen uns dieses Zukunftsprogramm gern gefallen lassen. Es zeigt, daß man
das bloße Abklatschen satt hat.

Weizsäcker spricht über Frankfurter Maler: Anton Burger, den Meister der
heimatlich gestimmten Landschaft aus der nächsten Umgebung, den romautisireudeu
Aquarellisten und Zeichner Peter Becker und die Cromberger Landschafter. Ohne
Frage hat das kecke und patzige Auftreten der Modernen auch das Gute gebracht,
daß es unsre Blicke zurücklenkte auf ältere, zum Teil recht bescheidne Männer, die
tüchtiges geleistet und noch nicht die ihrem Wert entsprechende Anerkennung ge¬
sunden hatten. Manche unsrer Kunstforscher haben in ihrem engern Kreise solche
verkannten Talente entdeckt, denen man heute mit mehr Verständnis begegnen würde,
und der vorliegende Aufsatz will auf das Gesunde und Berechtigte einer guten
Lvkalknnst aufmerksam machen. -- Über die Verhältnisse um der Akademie zu Karls¬
ruhe, wo sich nach Bvschs und Bokelmmms Tode (1394) gegenüber der alten
Richtung unter Ferdinand von Keller ein neuer Künstlerbund nnter der Führung
Schönlebers und des Grafen Kalckreuth gebildet hat, unterrichtet uns W. von Seidlitz.
Nicht um die Absonderlichkeiten der Modernen, die man längst als geschmacklos
erkannt habe, sei es der dortigen Sezession zu thun, sondern um ihr ehrliches
Streben nach Wahrheit, wobei die Frage nach der Malweise etwas nebensächliches
>el. Der Verfasser verbreitet sich bei diesem Anlaß über die Dienste, die dem
"charakterlosen neunzehnten Jahrhundert" dadurch erwiesen worden seien, obwohl
sich ja keine der modernen Richtungen die Alleinherrschaft erstritten oder die alten
Kunstweisen vernichtet habe. Wir stimmen darin mit ihm überein bis auf deu Satz,
daß die Modernen nicht darauf ausgegangen wäre", "eine neue Kunst zu schaffen."
Gewölle haben sie es' allerdings, aber -- selber habend nicht gekonnt es, sagte
weiland König Ludwig, und hinterher spricht man begreiflicherweise davon nicht
>"ehr so laut. -- Über die Absichten der "Neo-Impressionisten" und als Unkundiger
einer in Berlin zu veranstaltenden Ausstellung vou Bildern dieser Richtung handelt
Paul Signac. Die Sache kommt natürlich, wie alle vollkommne Gabe, aus Paris,


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und eine Anzahl Dürerscher Holzschnitte ruft uns den niemals alternden Wert und
Ruhm der Alten ins Gewissen,

Mit Vergnügen haben wir die meisten der hier mitgeteilten belehrenden Auf¬
sätze gelesen; sie sind wirklich lehrreich. Nur von einem kann man das nicht sagen,
von der „Abendröte der Kunst"; er ist konfus und gemeinschädlich, so etwas sollte
der Pein nicht aufnehmen! Paul Schultze spricht über Münchner Landschafter, die
ihre Motive aus dem Dachauer Moos nehmen, und giebt dazu einige Abbildungen
nach Ludwig Dill. Auch er ist der Ansicht, daß die Pleinairisten keine Leistungen
von Rang hervorgebracht, daß sie nur an Farbe und atmosphärische Wirkungen
gedacht, die Linie aber, die Struktur der Landschaft, die Aufgaben des Zeichners
vernachlässigt hätten. Ein Landschaftsbild sei kein zufälliger Naturausschnitt, es
setze eine künstlerische Verteilung der Massen voraus, es solle, abgesehen von dem,
was es darstelle, auch dekorativ, als Fläche wirken, wie man das an den Land¬
schaften der Alten sehe, und diese Wirkung müsse den Naturausschnitt bestimmen.
Mit starker Farbe und einfacher Zeichnung könne man dem Eindruck eines Teppichs
nahe kommen, ohne der Natur Zwang anzuthun; man entnehme ihr cinßer den
Einzelheiten noch die Anregungen zu einem größern architektonischen Rhythmus.
Diese zunächst an Dills Landschaften dargelegte Idee setzt also neben das unmittel¬
bare Nnturbild eine ganz neue Art der früher heroisch genannten Landschaft. Anders
sei dann, meint Schultze, das intimere und auch wohl meist kleinere landschaftliche
Stimmungsbild zu behandeln; es müsse durch einen freiern Farbenvvrtrng wirken.
Wir wollen uns dieses Zukunftsprogramm gern gefallen lassen. Es zeigt, daß man
das bloße Abklatschen satt hat.

Weizsäcker spricht über Frankfurter Maler: Anton Burger, den Meister der
heimatlich gestimmten Landschaft aus der nächsten Umgebung, den romautisireudeu
Aquarellisten und Zeichner Peter Becker und die Cromberger Landschafter. Ohne
Frage hat das kecke und patzige Auftreten der Modernen auch das Gute gebracht,
daß es unsre Blicke zurücklenkte auf ältere, zum Teil recht bescheidne Männer, die
tüchtiges geleistet und noch nicht die ihrem Wert entsprechende Anerkennung ge¬
sunden hatten. Manche unsrer Kunstforscher haben in ihrem engern Kreise solche
verkannten Talente entdeckt, denen man heute mit mehr Verständnis begegnen würde,
und der vorliegende Aufsatz will auf das Gesunde und Berechtigte einer guten
Lvkalknnst aufmerksam machen. — Über die Verhältnisse um der Akademie zu Karls¬
ruhe, wo sich nach Bvschs und Bokelmmms Tode (1394) gegenüber der alten
Richtung unter Ferdinand von Keller ein neuer Künstlerbund nnter der Führung
Schönlebers und des Grafen Kalckreuth gebildet hat, unterrichtet uns W. von Seidlitz.
Nicht um die Absonderlichkeiten der Modernen, die man längst als geschmacklos
erkannt habe, sei es der dortigen Sezession zu thun, sondern um ihr ehrliches
Streben nach Wahrheit, wobei die Frage nach der Malweise etwas nebensächliches
>el. Der Verfasser verbreitet sich bei diesem Anlaß über die Dienste, die dem
"charakterlosen neunzehnten Jahrhundert" dadurch erwiesen worden seien, obwohl
sich ja keine der modernen Richtungen die Alleinherrschaft erstritten oder die alten
Kunstweisen vernichtet habe. Wir stimmen darin mit ihm überein bis auf deu Satz,
daß die Modernen nicht darauf ausgegangen wäre», „eine neue Kunst zu schaffen."
Gewölle haben sie es' allerdings, aber — selber habend nicht gekonnt es, sagte
weiland König Ludwig, und hinterher spricht man begreiflicherweise davon nicht
>"ehr so laut. — Über die Absichten der „Neo-Impressionisten" und als Unkundiger
einer in Berlin zu veranstaltenden Ausstellung vou Bildern dieser Richtung handelt
Paul Signac. Die Sache kommt natürlich, wie alle vollkommne Gabe, aus Paris,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/370>, abgerufen am 12.12.2024.