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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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verbesserter Smithianismus

einzige Störenfried der entwickelten Tauschwirtschaft, das einzige Hindernis
der Gesellschaft der sozialen Gerechtigkeit." Wenn man die Erzeugung von
Vermögensunterschieden und die Macht des Unternehmers, "aus seinen Lohn¬
arbeitern Mehrwert herauszuschlagen," Friedens- und Harmoniestörnng nennt,
so ist das Großgrundeigentum allerdings ein Friedensstörer, aber nicht der
einzige. Übervölkerung begründet in Ländern, die, wie Belgien, vorherrschenden
Kleinbesitz und wenig Großgrundbesitz haben, dieselbe Abhängigkeit der Industrie¬
arbeiter von den Unternehmern, wie sie in England das Großgrundeigentum
begründet hat, und in Toskana sind die Industriearbeiter schon im vierzehnten
Jahrhundert von denselben städtischen Kapitalisten bedrückt worden, die vorher
die Magnaten besiegt und beraubt und die Bauern aus der Leibeigenschaft
befreit hatten. Da aber ein gewisser Grad von Differenzirung eine Bedingung
der Kultur ist, kann der Großgrundbesitz so wenig wie irgend eine andre Form
des Reichtums Störenfried und Fremdkörper im Gesellschaftsorganismus ge¬
nannt werden. Das wird er nur, wenn er, wie in Ostelbien und in England,
überwiegt, oder wenn er, wie in Italien und Ungarn, durch eine schlechte
Agrarverfassung mit dem Gesamtorganismus falsch verbunden ist. An sich ist
er so wenig ein Fremdkörper, daß er vielmehr eines der wichtigsten Organe
der Volkswirtschaft darstellt, indem, von der Römerzeit anzufangen bis heute,
alle Fortschritte der Landwirtschaft vom Großgut ausgegangen sind, und ein
vollkommen rationeller Betrieb auf dem nur von einer Familie bewirtschafteten
Kleingut gar nicht möglich ist. Insbesondre würde bei einer Zersplitterung
in kleine Parzellen die Pferde- und Rindviehzucht aufhören; wir würden zu
chinesischen Zuständen gelangen, die allerdings gewisse soziale Übel, zugleich
aber auch gewisse soziale Vollkommenheiten und jedenfalls die höchste Voll¬
kommenheit des Ackerbaus und die ganze Viehzucht mit Ausnahme der Schweine¬
zucht ausschließen. Auch die nicht bloß volkswirtschaftlich so ungeheuer wichtige
Erhaltung des deutschen Waldes ist den Großgrundherrschaften zu danken. Es
kann sich also für eine verständige Politik niemals um die Vernichtung des
Großgrundbesitzes handeln, sondern nur um seine Einschränkung in Gegenden,
wo er überwuchert.

Endlich glauben wir nicht an die Möglichkeit einer vollkommnen sozialen
Harmonie und an die Verwirklichung der sozialen Gerechtigkeit. Den Glauben
daran halten wir für utopisch. Die irdische Lebensaufgabe der Völker besteht
in dem immerwährenden Streben nach dieser Harmonie und dieser Gerechtigkeit,
einem Streben, das sein Ziel hienieden so wenig erreicht wie irgend ein andres
Menschliches Streben.




verbesserter Smithianismus

einzige Störenfried der entwickelten Tauschwirtschaft, das einzige Hindernis
der Gesellschaft der sozialen Gerechtigkeit." Wenn man die Erzeugung von
Vermögensunterschieden und die Macht des Unternehmers, „aus seinen Lohn¬
arbeitern Mehrwert herauszuschlagen," Friedens- und Harmoniestörnng nennt,
so ist das Großgrundeigentum allerdings ein Friedensstörer, aber nicht der
einzige. Übervölkerung begründet in Ländern, die, wie Belgien, vorherrschenden
Kleinbesitz und wenig Großgrundbesitz haben, dieselbe Abhängigkeit der Industrie¬
arbeiter von den Unternehmern, wie sie in England das Großgrundeigentum
begründet hat, und in Toskana sind die Industriearbeiter schon im vierzehnten
Jahrhundert von denselben städtischen Kapitalisten bedrückt worden, die vorher
die Magnaten besiegt und beraubt und die Bauern aus der Leibeigenschaft
befreit hatten. Da aber ein gewisser Grad von Differenzirung eine Bedingung
der Kultur ist, kann der Großgrundbesitz so wenig wie irgend eine andre Form
des Reichtums Störenfried und Fremdkörper im Gesellschaftsorganismus ge¬
nannt werden. Das wird er nur, wenn er, wie in Ostelbien und in England,
überwiegt, oder wenn er, wie in Italien und Ungarn, durch eine schlechte
Agrarverfassung mit dem Gesamtorganismus falsch verbunden ist. An sich ist
er so wenig ein Fremdkörper, daß er vielmehr eines der wichtigsten Organe
der Volkswirtschaft darstellt, indem, von der Römerzeit anzufangen bis heute,
alle Fortschritte der Landwirtschaft vom Großgut ausgegangen sind, und ein
vollkommen rationeller Betrieb auf dem nur von einer Familie bewirtschafteten
Kleingut gar nicht möglich ist. Insbesondre würde bei einer Zersplitterung
in kleine Parzellen die Pferde- und Rindviehzucht aufhören; wir würden zu
chinesischen Zuständen gelangen, die allerdings gewisse soziale Übel, zugleich
aber auch gewisse soziale Vollkommenheiten und jedenfalls die höchste Voll¬
kommenheit des Ackerbaus und die ganze Viehzucht mit Ausnahme der Schweine¬
zucht ausschließen. Auch die nicht bloß volkswirtschaftlich so ungeheuer wichtige
Erhaltung des deutschen Waldes ist den Großgrundherrschaften zu danken. Es
kann sich also für eine verständige Politik niemals um die Vernichtung des
Großgrundbesitzes handeln, sondern nur um seine Einschränkung in Gegenden,
wo er überwuchert.

Endlich glauben wir nicht an die Möglichkeit einer vollkommnen sozialen
Harmonie und an die Verwirklichung der sozialen Gerechtigkeit. Den Glauben
daran halten wir für utopisch. Die irdische Lebensaufgabe der Völker besteht
in dem immerwährenden Streben nach dieser Harmonie und dieser Gerechtigkeit,
einem Streben, das sein Ziel hienieden so wenig erreicht wie irgend ein andres
Menschliches Streben.




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[0362] verbesserter Smithianismus einzige Störenfried der entwickelten Tauschwirtschaft, das einzige Hindernis der Gesellschaft der sozialen Gerechtigkeit." Wenn man die Erzeugung von Vermögensunterschieden und die Macht des Unternehmers, „aus seinen Lohn¬ arbeitern Mehrwert herauszuschlagen," Friedens- und Harmoniestörnng nennt, so ist das Großgrundeigentum allerdings ein Friedensstörer, aber nicht der einzige. Übervölkerung begründet in Ländern, die, wie Belgien, vorherrschenden Kleinbesitz und wenig Großgrundbesitz haben, dieselbe Abhängigkeit der Industrie¬ arbeiter von den Unternehmern, wie sie in England das Großgrundeigentum begründet hat, und in Toskana sind die Industriearbeiter schon im vierzehnten Jahrhundert von denselben städtischen Kapitalisten bedrückt worden, die vorher die Magnaten besiegt und beraubt und die Bauern aus der Leibeigenschaft befreit hatten. Da aber ein gewisser Grad von Differenzirung eine Bedingung der Kultur ist, kann der Großgrundbesitz so wenig wie irgend eine andre Form des Reichtums Störenfried und Fremdkörper im Gesellschaftsorganismus ge¬ nannt werden. Das wird er nur, wenn er, wie in Ostelbien und in England, überwiegt, oder wenn er, wie in Italien und Ungarn, durch eine schlechte Agrarverfassung mit dem Gesamtorganismus falsch verbunden ist. An sich ist er so wenig ein Fremdkörper, daß er vielmehr eines der wichtigsten Organe der Volkswirtschaft darstellt, indem, von der Römerzeit anzufangen bis heute, alle Fortschritte der Landwirtschaft vom Großgut ausgegangen sind, und ein vollkommen rationeller Betrieb auf dem nur von einer Familie bewirtschafteten Kleingut gar nicht möglich ist. Insbesondre würde bei einer Zersplitterung in kleine Parzellen die Pferde- und Rindviehzucht aufhören; wir würden zu chinesischen Zuständen gelangen, die allerdings gewisse soziale Übel, zugleich aber auch gewisse soziale Vollkommenheiten und jedenfalls die höchste Voll¬ kommenheit des Ackerbaus und die ganze Viehzucht mit Ausnahme der Schweine¬ zucht ausschließen. Auch die nicht bloß volkswirtschaftlich so ungeheuer wichtige Erhaltung des deutschen Waldes ist den Großgrundherrschaften zu danken. Es kann sich also für eine verständige Politik niemals um die Vernichtung des Großgrundbesitzes handeln, sondern nur um seine Einschränkung in Gegenden, wo er überwuchert. Endlich glauben wir nicht an die Möglichkeit einer vollkommnen sozialen Harmonie und an die Verwirklichung der sozialen Gerechtigkeit. Den Glauben daran halten wir für utopisch. Die irdische Lebensaufgabe der Völker besteht in dem immerwährenden Streben nach dieser Harmonie und dieser Gerechtigkeit, einem Streben, das sein Ziel hienieden so wenig erreicht wie irgend ein andres Menschliches Streben.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/362>, abgerufen am 24.07.2024.