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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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verbesserter Smithiamsmus

Kolonisationsgebiet? Die Entstehung des modernen Großgrundeigentums.
Woraus entsteht das Großgrundeigentum? Aus den Ritterhufen. Was macht
den Ritter zum Rittergutsbesitzer? Der Getreidehandel. Wohin? Nach den
westlichen Industriebezirken." Es wird dann noch gezeigt, wie einerseits das
Vorhandensein einer slawischen Bevölkerung im Osten und andrerseits die
Stellung der Markgrafen, die sich vor der der westlichen Territorialfürsten
durch eine größere Machtfülle auszeichnete, den Prozeß gefördert hat. Die
politische und soziale Struktur der Marken wird sehr gut beschrieben.

Im ganzen genommen sind die Pathologie und die historische Darstellung,
so viel Angriffspunkte sie der Kritik auch im einzelnen bieten mögen, doch
weniger anfechtbar als die Konstruktion der reinen und vermeintlich gesunden
Tauschgesellschaft. Insbesondre erkennen wir als richtig an, daß Absperrung
großer Volksmassen vom Boden den abhängigen Arbeiterstand und die unge¬
heuern Vermögensunterschiede unsrer Zeit erzeugt hat, daß die Schaffung des
Großgrundbesitzes eine Hauptursache dieser Absperrung gewesen ist, daß das
Großgrundeigentum die Gegenden entvölkert, in denen es überwiegt, daß die
Anhäufung großer Vermögen die Luxusindustrien einseitig fördert und zur
Wohlfahrt der Masse wenig beiträgt, daß die heutige Form der Konkurrenz
abgesehen von ihren moralischen Schattenseiten uns fortwährend mit Krisen
bedroht, und daß ein Zustand anzustreben ist, wo möglichst wenig Personen
mit ihrer ganzen Existenz am Verkauf einer einzigen Art von Waren hängen.
Aber gewichtige grundsätzliche Einwendungen haben wir doch auch hier zu er¬
heben. Nach Oppenheüner gehört es zur Gesundheit eines Volkskörpers, daß
in ihm gar keine oder nur unbedeutende Unterschiede des Einkommens bestehen.
Das ist ja nun insofern wahr, als ein solcher Volkskörper von vielen sozialen
Übeln, die als Krankheiten bezeichnet werden können, frei bleibt. Aber es ist
zugleich auch gewiß, daß ohne Vermögensunterschiede noch nie und nirgends
höhere Kultur entstanden ist, und wenn wir auf diese nicht verzichten wollen,
so bleibt nichts übrig, als die sozialen Übel als Entwicklungskrankheiten mit
in den Kauf zu nehmen. Selbstverständlich müssen sie so gut bekämpft werden,
wie die Entwicklungskrankheiten des Einzelorganismus einem Heilverfahren
unterworfen werden, und es ist daher Aufgabe der Politik, übermäßigen Un¬
gleichheiten in der Verteilung des Volkseinkommens entgegen zu wirken und
darauf zu achten, daß weder die Reichtumsanhüufung zur Übermacht weniger
Personen, noch die Armut zur Verkümmerung der Meissen führe; dagegen ist es
nicht die Ausgabe des Staates, Einkommengleichheit anzustreben, denn damit
würde in einem hochzivilisirten Großstaat Unmögliches, eine Utopie angestrebt.

Schon aus diesem Grunde, und dann auch noch aus andern Gründen,
können wir nicht mit Oppenheimer das Großgrundeigentum als einen Krankheit
erzeugenden Fremdkörper im Gesellschaftsorganismus bezeichnen und müssen
seine Behauptung bestreikn: "Das agrarische Großgrundeigentum ist der


verbesserter Smithiamsmus

Kolonisationsgebiet? Die Entstehung des modernen Großgrundeigentums.
Woraus entsteht das Großgrundeigentum? Aus den Ritterhufen. Was macht
den Ritter zum Rittergutsbesitzer? Der Getreidehandel. Wohin? Nach den
westlichen Industriebezirken." Es wird dann noch gezeigt, wie einerseits das
Vorhandensein einer slawischen Bevölkerung im Osten und andrerseits die
Stellung der Markgrafen, die sich vor der der westlichen Territorialfürsten
durch eine größere Machtfülle auszeichnete, den Prozeß gefördert hat. Die
politische und soziale Struktur der Marken wird sehr gut beschrieben.

Im ganzen genommen sind die Pathologie und die historische Darstellung,
so viel Angriffspunkte sie der Kritik auch im einzelnen bieten mögen, doch
weniger anfechtbar als die Konstruktion der reinen und vermeintlich gesunden
Tauschgesellschaft. Insbesondre erkennen wir als richtig an, daß Absperrung
großer Volksmassen vom Boden den abhängigen Arbeiterstand und die unge¬
heuern Vermögensunterschiede unsrer Zeit erzeugt hat, daß die Schaffung des
Großgrundbesitzes eine Hauptursache dieser Absperrung gewesen ist, daß das
Großgrundeigentum die Gegenden entvölkert, in denen es überwiegt, daß die
Anhäufung großer Vermögen die Luxusindustrien einseitig fördert und zur
Wohlfahrt der Masse wenig beiträgt, daß die heutige Form der Konkurrenz
abgesehen von ihren moralischen Schattenseiten uns fortwährend mit Krisen
bedroht, und daß ein Zustand anzustreben ist, wo möglichst wenig Personen
mit ihrer ganzen Existenz am Verkauf einer einzigen Art von Waren hängen.
Aber gewichtige grundsätzliche Einwendungen haben wir doch auch hier zu er¬
heben. Nach Oppenheüner gehört es zur Gesundheit eines Volkskörpers, daß
in ihm gar keine oder nur unbedeutende Unterschiede des Einkommens bestehen.
Das ist ja nun insofern wahr, als ein solcher Volkskörper von vielen sozialen
Übeln, die als Krankheiten bezeichnet werden können, frei bleibt. Aber es ist
zugleich auch gewiß, daß ohne Vermögensunterschiede noch nie und nirgends
höhere Kultur entstanden ist, und wenn wir auf diese nicht verzichten wollen,
so bleibt nichts übrig, als die sozialen Übel als Entwicklungskrankheiten mit
in den Kauf zu nehmen. Selbstverständlich müssen sie so gut bekämpft werden,
wie die Entwicklungskrankheiten des Einzelorganismus einem Heilverfahren
unterworfen werden, und es ist daher Aufgabe der Politik, übermäßigen Un¬
gleichheiten in der Verteilung des Volkseinkommens entgegen zu wirken und
darauf zu achten, daß weder die Reichtumsanhüufung zur Übermacht weniger
Personen, noch die Armut zur Verkümmerung der Meissen führe; dagegen ist es
nicht die Ausgabe des Staates, Einkommengleichheit anzustreben, denn damit
würde in einem hochzivilisirten Großstaat Unmögliches, eine Utopie angestrebt.

Schon aus diesem Grunde, und dann auch noch aus andern Gründen,
können wir nicht mit Oppenheimer das Großgrundeigentum als einen Krankheit
erzeugenden Fremdkörper im Gesellschaftsorganismus bezeichnen und müssen
seine Behauptung bestreikn: „Das agrarische Großgrundeigentum ist der


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[0361] verbesserter Smithiamsmus Kolonisationsgebiet? Die Entstehung des modernen Großgrundeigentums. Woraus entsteht das Großgrundeigentum? Aus den Ritterhufen. Was macht den Ritter zum Rittergutsbesitzer? Der Getreidehandel. Wohin? Nach den westlichen Industriebezirken." Es wird dann noch gezeigt, wie einerseits das Vorhandensein einer slawischen Bevölkerung im Osten und andrerseits die Stellung der Markgrafen, die sich vor der der westlichen Territorialfürsten durch eine größere Machtfülle auszeichnete, den Prozeß gefördert hat. Die politische und soziale Struktur der Marken wird sehr gut beschrieben. Im ganzen genommen sind die Pathologie und die historische Darstellung, so viel Angriffspunkte sie der Kritik auch im einzelnen bieten mögen, doch weniger anfechtbar als die Konstruktion der reinen und vermeintlich gesunden Tauschgesellschaft. Insbesondre erkennen wir als richtig an, daß Absperrung großer Volksmassen vom Boden den abhängigen Arbeiterstand und die unge¬ heuern Vermögensunterschiede unsrer Zeit erzeugt hat, daß die Schaffung des Großgrundbesitzes eine Hauptursache dieser Absperrung gewesen ist, daß das Großgrundeigentum die Gegenden entvölkert, in denen es überwiegt, daß die Anhäufung großer Vermögen die Luxusindustrien einseitig fördert und zur Wohlfahrt der Masse wenig beiträgt, daß die heutige Form der Konkurrenz abgesehen von ihren moralischen Schattenseiten uns fortwährend mit Krisen bedroht, und daß ein Zustand anzustreben ist, wo möglichst wenig Personen mit ihrer ganzen Existenz am Verkauf einer einzigen Art von Waren hängen. Aber gewichtige grundsätzliche Einwendungen haben wir doch auch hier zu er¬ heben. Nach Oppenheüner gehört es zur Gesundheit eines Volkskörpers, daß in ihm gar keine oder nur unbedeutende Unterschiede des Einkommens bestehen. Das ist ja nun insofern wahr, als ein solcher Volkskörper von vielen sozialen Übeln, die als Krankheiten bezeichnet werden können, frei bleibt. Aber es ist zugleich auch gewiß, daß ohne Vermögensunterschiede noch nie und nirgends höhere Kultur entstanden ist, und wenn wir auf diese nicht verzichten wollen, so bleibt nichts übrig, als die sozialen Übel als Entwicklungskrankheiten mit in den Kauf zu nehmen. Selbstverständlich müssen sie so gut bekämpft werden, wie die Entwicklungskrankheiten des Einzelorganismus einem Heilverfahren unterworfen werden, und es ist daher Aufgabe der Politik, übermäßigen Un¬ gleichheiten in der Verteilung des Volkseinkommens entgegen zu wirken und darauf zu achten, daß weder die Reichtumsanhüufung zur Übermacht weniger Personen, noch die Armut zur Verkümmerung der Meissen führe; dagegen ist es nicht die Ausgabe des Staates, Einkommengleichheit anzustreben, denn damit würde in einem hochzivilisirten Großstaat Unmögliches, eine Utopie angestrebt. Schon aus diesem Grunde, und dann auch noch aus andern Gründen, können wir nicht mit Oppenheimer das Großgrundeigentum als einen Krankheit erzeugenden Fremdkörper im Gesellschaftsorganismus bezeichnen und müssen seine Behauptung bestreikn: „Das agrarische Großgrundeigentum ist der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/361>, abgerufen am 24.07.2024.