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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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von Weißenburg bis Metz

Man hatte zu wenig daran gedacht, daß wir die Reichslande nicht um der
Elsasser und Lothringer willen genommen hatten, sondern um des Reiches
willen; das Land war uns die Hauptsache, nicht die Menschen, und wenn man
dort heute wohl die Losung ausgiebt: "Elsaß für die Elsässer," so ist das
ein gefährlicher partikularistischer Unfug, dem man den Ruf entgegenhalten
muß: "Elsaß für die Deutschen!" Hätte mau das Land 1871 einfach in eine
preußische Provinz verwandelt, statt einen halbselbständigen Mittelstaat zu er¬
richten, der doch nun wieder keiner ist, sondern ein Zwitterding zwischen Provinz
und Staat, so wären wir vermutlich weiter, denn wir hätten den Elsässern einen
andern Großstaat für den Verlornen gegeben und ihnen nicht zugemutet, sich aus
Bürgern einer Großmacht in Kleinstaatler zu verwandeln. Wir wissen recht
wohl, aus welchen guten Gründen Fürst Bismarck auf deu Gedanken des Reichs¬
landes gekommen ist, aber ein Notbehelf war es darum doch. Das schwerste
Hindernis für eine raschere Verschmelzung freilich ist der katholische Klerus.
So lange diese Leute auf ihren Priesterseminarien französisch erzogen werden,
so lange bedeutet ein deutscher Bischof in Straßbnrg dieser geschlossenen Phalanx
gegenüber gar nichts; und so lange die Erziehung der Mädchen in den höhern
Stünden fast ausschließlich den katholischen Orden verbleibt, so lange werden
diese Familien nicht deutsch, sondern sie bleiben unglückliche nationale Zwitter,
die sich in echt deutschem Trotz etwas darauf zu gute thun, unter sich fran¬
zösisch zu sprechen, wie man es in Straßburg in jedem Restaurant hören kann.
Freilich ist unter den gegenwärtigen Parteiverhültnissen keine Aussicht, daß
sich das Verhalten der Regierung in diesen Dingen ändern kann, weil sie dank
der Zersplitterung auf der andern Seite das Zentrum braucht, und unsre
Hoffnung beruht vor allem auf den Bauernschaften und dem Kleinbürgerstande,
die von französischer Bildung niemals viel gehabt haben. Wie dem aber auch
sei, das Land hat sich in den fast drei Jahrzehnten deutscher Herrschaft im
ganzen erfreulich entwickelt, eine Fülle deutscher Arbeit ist darauf verwandt
worden, und das deutsche Wesen herrscht wieder im Lande. Wir halten des¬
halb diesen mit Blutströmen errungnen Boden mit eisernem Griffe fest, das
sieht jeder, der dahin kommt, und das wissen auch die Eingebornen ganz genau,
denn sie haben es tagtäglich vor Augen. Wir halten ihn fest kraft unsers
geschichtlichen und sittlichen Rechts wie unsers Rechts als Eroberer. Wer also
in Deutschland davon redet, daß wir das Land jemals gutwillig an Frankreich
zurückgeben könnten, der ist ein Verräter oder ein Thor.




Grenzboten IV 189844
von Weißenburg bis Metz

Man hatte zu wenig daran gedacht, daß wir die Reichslande nicht um der
Elsasser und Lothringer willen genommen hatten, sondern um des Reiches
willen; das Land war uns die Hauptsache, nicht die Menschen, und wenn man
dort heute wohl die Losung ausgiebt: „Elsaß für die Elsässer," so ist das
ein gefährlicher partikularistischer Unfug, dem man den Ruf entgegenhalten
muß: „Elsaß für die Deutschen!" Hätte mau das Land 1871 einfach in eine
preußische Provinz verwandelt, statt einen halbselbständigen Mittelstaat zu er¬
richten, der doch nun wieder keiner ist, sondern ein Zwitterding zwischen Provinz
und Staat, so wären wir vermutlich weiter, denn wir hätten den Elsässern einen
andern Großstaat für den Verlornen gegeben und ihnen nicht zugemutet, sich aus
Bürgern einer Großmacht in Kleinstaatler zu verwandeln. Wir wissen recht
wohl, aus welchen guten Gründen Fürst Bismarck auf deu Gedanken des Reichs¬
landes gekommen ist, aber ein Notbehelf war es darum doch. Das schwerste
Hindernis für eine raschere Verschmelzung freilich ist der katholische Klerus.
So lange diese Leute auf ihren Priesterseminarien französisch erzogen werden,
so lange bedeutet ein deutscher Bischof in Straßbnrg dieser geschlossenen Phalanx
gegenüber gar nichts; und so lange die Erziehung der Mädchen in den höhern
Stünden fast ausschließlich den katholischen Orden verbleibt, so lange werden
diese Familien nicht deutsch, sondern sie bleiben unglückliche nationale Zwitter,
die sich in echt deutschem Trotz etwas darauf zu gute thun, unter sich fran¬
zösisch zu sprechen, wie man es in Straßburg in jedem Restaurant hören kann.
Freilich ist unter den gegenwärtigen Parteiverhültnissen keine Aussicht, daß
sich das Verhalten der Regierung in diesen Dingen ändern kann, weil sie dank
der Zersplitterung auf der andern Seite das Zentrum braucht, und unsre
Hoffnung beruht vor allem auf den Bauernschaften und dem Kleinbürgerstande,
die von französischer Bildung niemals viel gehabt haben. Wie dem aber auch
sei, das Land hat sich in den fast drei Jahrzehnten deutscher Herrschaft im
ganzen erfreulich entwickelt, eine Fülle deutscher Arbeit ist darauf verwandt
worden, und das deutsche Wesen herrscht wieder im Lande. Wir halten des¬
halb diesen mit Blutströmen errungnen Boden mit eisernem Griffe fest, das
sieht jeder, der dahin kommt, und das wissen auch die Eingebornen ganz genau,
denn sie haben es tagtäglich vor Augen. Wir halten ihn fest kraft unsers
geschichtlichen und sittlichen Rechts wie unsers Rechts als Eroberer. Wer also
in Deutschland davon redet, daß wir das Land jemals gutwillig an Frankreich
zurückgeben könnten, der ist ein Verräter oder ein Thor.




Grenzboten IV 189844
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[0356] von Weißenburg bis Metz Man hatte zu wenig daran gedacht, daß wir die Reichslande nicht um der Elsasser und Lothringer willen genommen hatten, sondern um des Reiches willen; das Land war uns die Hauptsache, nicht die Menschen, und wenn man dort heute wohl die Losung ausgiebt: „Elsaß für die Elsässer," so ist das ein gefährlicher partikularistischer Unfug, dem man den Ruf entgegenhalten muß: „Elsaß für die Deutschen!" Hätte mau das Land 1871 einfach in eine preußische Provinz verwandelt, statt einen halbselbständigen Mittelstaat zu er¬ richten, der doch nun wieder keiner ist, sondern ein Zwitterding zwischen Provinz und Staat, so wären wir vermutlich weiter, denn wir hätten den Elsässern einen andern Großstaat für den Verlornen gegeben und ihnen nicht zugemutet, sich aus Bürgern einer Großmacht in Kleinstaatler zu verwandeln. Wir wissen recht wohl, aus welchen guten Gründen Fürst Bismarck auf deu Gedanken des Reichs¬ landes gekommen ist, aber ein Notbehelf war es darum doch. Das schwerste Hindernis für eine raschere Verschmelzung freilich ist der katholische Klerus. So lange diese Leute auf ihren Priesterseminarien französisch erzogen werden, so lange bedeutet ein deutscher Bischof in Straßbnrg dieser geschlossenen Phalanx gegenüber gar nichts; und so lange die Erziehung der Mädchen in den höhern Stünden fast ausschließlich den katholischen Orden verbleibt, so lange werden diese Familien nicht deutsch, sondern sie bleiben unglückliche nationale Zwitter, die sich in echt deutschem Trotz etwas darauf zu gute thun, unter sich fran¬ zösisch zu sprechen, wie man es in Straßburg in jedem Restaurant hören kann. Freilich ist unter den gegenwärtigen Parteiverhültnissen keine Aussicht, daß sich das Verhalten der Regierung in diesen Dingen ändern kann, weil sie dank der Zersplitterung auf der andern Seite das Zentrum braucht, und unsre Hoffnung beruht vor allem auf den Bauernschaften und dem Kleinbürgerstande, die von französischer Bildung niemals viel gehabt haben. Wie dem aber auch sei, das Land hat sich in den fast drei Jahrzehnten deutscher Herrschaft im ganzen erfreulich entwickelt, eine Fülle deutscher Arbeit ist darauf verwandt worden, und das deutsche Wesen herrscht wieder im Lande. Wir halten des¬ halb diesen mit Blutströmen errungnen Boden mit eisernem Griffe fest, das sieht jeder, der dahin kommt, und das wissen auch die Eingebornen ganz genau, denn sie haben es tagtäglich vor Augen. Wir halten ihn fest kraft unsers geschichtlichen und sittlichen Rechts wie unsers Rechts als Eroberer. Wer also in Deutschland davon redet, daß wir das Land jemals gutwillig an Frankreich zurückgeben könnten, der ist ein Verräter oder ein Thor. Grenzboten IV 189844

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/356>, abgerufen am 12.12.2024.