Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
von Weißenburg bis Metz

teilungen zurückwichen und die "historischen Granaten" das Gefolge des Königs
erreichten. Während er nun gegen Rezonville zurückritt, leitete Moltke selbst
in den sinkenden Abend hinein den Vorstoß der Pommern, doch Moskau und
der Point du Jour wurden nicht genommen, und gegen neun Uhr zwang die
Dunkelheit, auch hier den Kampf einzustellen.

Es war einer der blutigsten des ganzen Krieges, das sieht jeder noch
heute. Eine zweite Gräberstraße führt nach Metz. Am Ausgange von Gravelotte,
rechts von der Straße, liegt ein Friedhof. Nichts auf dem ganzen weiten
Schlachtfelde kann ergreifender sein, als die schlichten Worte, die man auf einer
Tafel am Eingange liest: "Hier ruhen in Gott dreitausend tapfre Krieger."
Dreitausend, Deutsche und Franzosen neben einander, weitaus die meisten
namenlos, und genau gezählt hat sie niemand! Dann geht es in die "Schlucht
von Gravelotte" hinunter, in das enge, tief eingeschnittene Thal der Manee,
eine schmale Wiesenfläche, von steilen bewaldeten Abhängen eingeschlossen und
von der Straße auf einem hohen Damme durchschnitten. Hier drängten auf
schmalem Wege im Abenddunkel des 18. August die deutschen Bataillone un¬
aufhaltsam aufwärts, und dort, etwas abseits links von der Straße erhebt
sich auf hochaufgemauertem, halbkreisförmigem Vorsprung an der waldigen
Bergwand das Denkmal des hier besonders stark beteiligten 8. (rheinischen)
Jägerbataillons, wohl das künstlerisch schönste des ganzen Schlachtfeldes, auf
hohem Sockel die Bronzegestalt eines vorwärts stürmenden Jägers, der nach
Metz hin weist. Langsam, zwischen Denksteinen hindurch, steigt dann die Straße
nach Se. Hubert hinauf, einem großen Steinhause, das jetzt Wirtshaus und
Pvsthilfsstelle ist; deutsche Truppen, die dort lagerten, gaben die Staffage.
Weiter oben breitet sich die kahle Hochfläche um den Pachthof Point du Jour;
zahlreiche Einzel- und Massengräber mit weißen Kreuzen bekunden hier, daß
der Kampf sich bis nach der Stelle hingezogen hat, wo jetzt, seitwärts von
der Straße, ans dem höchsten Punkte der stattliche Aussichtsturm emporragt.
Von seiner Höhe aus übersieht man nach Osten hin nur den größten Teil des
Schlachtfeldes vom 18. August und in starker Verkürzung das des 16.; umso
schöner ist die Aussicht nach der andern Seite ins breite Moselthal oberhalb
von Metz hinein. Dieses erreicht die Straße in weiten Bogen, teilweise zwischen
Weinbergen hindurch, über Rozerieulles bei Moulins. Gegen abend hörte man
auf der Esplanade den dumpfen Knall der Geschütze im Westen, und auf dem
Walle darunter, der die vorliegende Moselniederung beherrscht, wurde eine
Batterie von Fußartillerie in Vereitschaft gesetzt. Das Velagerungsmanöver
begann.

Ich schied von Metz sehr beruhigt. Gewiß ist in der Verwaltung der
Reichslande mancher Fehler begangen worden, vor allem durch zu weitgehendes
Entgegenkommen gegen die "Notabeln" unter der Statthalterschaft Manteuffels;
darüber ist unter den eingewanderten "Altdeutschen" wohl nur eine Stimme.


von Weißenburg bis Metz

teilungen zurückwichen und die „historischen Granaten" das Gefolge des Königs
erreichten. Während er nun gegen Rezonville zurückritt, leitete Moltke selbst
in den sinkenden Abend hinein den Vorstoß der Pommern, doch Moskau und
der Point du Jour wurden nicht genommen, und gegen neun Uhr zwang die
Dunkelheit, auch hier den Kampf einzustellen.

Es war einer der blutigsten des ganzen Krieges, das sieht jeder noch
heute. Eine zweite Gräberstraße führt nach Metz. Am Ausgange von Gravelotte,
rechts von der Straße, liegt ein Friedhof. Nichts auf dem ganzen weiten
Schlachtfelde kann ergreifender sein, als die schlichten Worte, die man auf einer
Tafel am Eingange liest: „Hier ruhen in Gott dreitausend tapfre Krieger."
Dreitausend, Deutsche und Franzosen neben einander, weitaus die meisten
namenlos, und genau gezählt hat sie niemand! Dann geht es in die „Schlucht
von Gravelotte" hinunter, in das enge, tief eingeschnittene Thal der Manee,
eine schmale Wiesenfläche, von steilen bewaldeten Abhängen eingeschlossen und
von der Straße auf einem hohen Damme durchschnitten. Hier drängten auf
schmalem Wege im Abenddunkel des 18. August die deutschen Bataillone un¬
aufhaltsam aufwärts, und dort, etwas abseits links von der Straße erhebt
sich auf hochaufgemauertem, halbkreisförmigem Vorsprung an der waldigen
Bergwand das Denkmal des hier besonders stark beteiligten 8. (rheinischen)
Jägerbataillons, wohl das künstlerisch schönste des ganzen Schlachtfeldes, auf
hohem Sockel die Bronzegestalt eines vorwärts stürmenden Jägers, der nach
Metz hin weist. Langsam, zwischen Denksteinen hindurch, steigt dann die Straße
nach Se. Hubert hinauf, einem großen Steinhause, das jetzt Wirtshaus und
Pvsthilfsstelle ist; deutsche Truppen, die dort lagerten, gaben die Staffage.
Weiter oben breitet sich die kahle Hochfläche um den Pachthof Point du Jour;
zahlreiche Einzel- und Massengräber mit weißen Kreuzen bekunden hier, daß
der Kampf sich bis nach der Stelle hingezogen hat, wo jetzt, seitwärts von
der Straße, ans dem höchsten Punkte der stattliche Aussichtsturm emporragt.
Von seiner Höhe aus übersieht man nach Osten hin nur den größten Teil des
Schlachtfeldes vom 18. August und in starker Verkürzung das des 16.; umso
schöner ist die Aussicht nach der andern Seite ins breite Moselthal oberhalb
von Metz hinein. Dieses erreicht die Straße in weiten Bogen, teilweise zwischen
Weinbergen hindurch, über Rozerieulles bei Moulins. Gegen abend hörte man
auf der Esplanade den dumpfen Knall der Geschütze im Westen, und auf dem
Walle darunter, der die vorliegende Moselniederung beherrscht, wurde eine
Batterie von Fußartillerie in Vereitschaft gesetzt. Das Velagerungsmanöver
begann.

Ich schied von Metz sehr beruhigt. Gewiß ist in der Verwaltung der
Reichslande mancher Fehler begangen worden, vor allem durch zu weitgehendes
Entgegenkommen gegen die „Notabeln" unter der Statthalterschaft Manteuffels;
darüber ist unter den eingewanderten „Altdeutschen" wohl nur eine Stimme.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0355" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/229304"/>
          <fw type="header" place="top"> von Weißenburg bis Metz</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_963" prev="#ID_962"> teilungen zurückwichen und die &#x201E;historischen Granaten" das Gefolge des Königs<lb/>
erreichten. Während er nun gegen Rezonville zurückritt, leitete Moltke selbst<lb/>
in den sinkenden Abend hinein den Vorstoß der Pommern, doch Moskau und<lb/>
der Point du Jour wurden nicht genommen, und gegen neun Uhr zwang die<lb/>
Dunkelheit, auch hier den Kampf einzustellen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_964"> Es war einer der blutigsten des ganzen Krieges, das sieht jeder noch<lb/>
heute. Eine zweite Gräberstraße führt nach Metz. Am Ausgange von Gravelotte,<lb/>
rechts von der Straße, liegt ein Friedhof. Nichts auf dem ganzen weiten<lb/>
Schlachtfelde kann ergreifender sein, als die schlichten Worte, die man auf einer<lb/>
Tafel am Eingange liest: &#x201E;Hier ruhen in Gott dreitausend tapfre Krieger."<lb/>
Dreitausend, Deutsche und Franzosen neben einander, weitaus die meisten<lb/>
namenlos, und genau gezählt hat sie niemand! Dann geht es in die &#x201E;Schlucht<lb/>
von Gravelotte" hinunter, in das enge, tief eingeschnittene Thal der Manee,<lb/>
eine schmale Wiesenfläche, von steilen bewaldeten Abhängen eingeschlossen und<lb/>
von der Straße auf einem hohen Damme durchschnitten. Hier drängten auf<lb/>
schmalem Wege im Abenddunkel des 18. August die deutschen Bataillone un¬<lb/>
aufhaltsam aufwärts, und dort, etwas abseits links von der Straße erhebt<lb/>
sich auf hochaufgemauertem, halbkreisförmigem Vorsprung an der waldigen<lb/>
Bergwand das Denkmal des hier besonders stark beteiligten 8. (rheinischen)<lb/>
Jägerbataillons, wohl das künstlerisch schönste des ganzen Schlachtfeldes, auf<lb/>
hohem Sockel die Bronzegestalt eines vorwärts stürmenden Jägers, der nach<lb/>
Metz hin weist. Langsam, zwischen Denksteinen hindurch, steigt dann die Straße<lb/>
nach Se. Hubert hinauf, einem großen Steinhause, das jetzt Wirtshaus und<lb/>
Pvsthilfsstelle ist; deutsche Truppen, die dort lagerten, gaben die Staffage.<lb/>
Weiter oben breitet sich die kahle Hochfläche um den Pachthof Point du Jour;<lb/>
zahlreiche Einzel- und Massengräber mit weißen Kreuzen bekunden hier, daß<lb/>
der Kampf sich bis nach der Stelle hingezogen hat, wo jetzt, seitwärts von<lb/>
der Straße, ans dem höchsten Punkte der stattliche Aussichtsturm emporragt.<lb/>
Von seiner Höhe aus übersieht man nach Osten hin nur den größten Teil des<lb/>
Schlachtfeldes vom 18. August und in starker Verkürzung das des 16.; umso<lb/>
schöner ist die Aussicht nach der andern Seite ins breite Moselthal oberhalb<lb/>
von Metz hinein. Dieses erreicht die Straße in weiten Bogen, teilweise zwischen<lb/>
Weinbergen hindurch, über Rozerieulles bei Moulins. Gegen abend hörte man<lb/>
auf der Esplanade den dumpfen Knall der Geschütze im Westen, und auf dem<lb/>
Walle darunter, der die vorliegende Moselniederung beherrscht, wurde eine<lb/>
Batterie von Fußartillerie in Vereitschaft gesetzt. Das Velagerungsmanöver<lb/>
begann.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_965" next="#ID_966"> Ich schied von Metz sehr beruhigt. Gewiß ist in der Verwaltung der<lb/>
Reichslande mancher Fehler begangen worden, vor allem durch zu weitgehendes<lb/>
Entgegenkommen gegen die &#x201E;Notabeln" unter der Statthalterschaft Manteuffels;<lb/>
darüber ist unter den eingewanderten &#x201E;Altdeutschen" wohl nur eine Stimme.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0355] von Weißenburg bis Metz teilungen zurückwichen und die „historischen Granaten" das Gefolge des Königs erreichten. Während er nun gegen Rezonville zurückritt, leitete Moltke selbst in den sinkenden Abend hinein den Vorstoß der Pommern, doch Moskau und der Point du Jour wurden nicht genommen, und gegen neun Uhr zwang die Dunkelheit, auch hier den Kampf einzustellen. Es war einer der blutigsten des ganzen Krieges, das sieht jeder noch heute. Eine zweite Gräberstraße führt nach Metz. Am Ausgange von Gravelotte, rechts von der Straße, liegt ein Friedhof. Nichts auf dem ganzen weiten Schlachtfelde kann ergreifender sein, als die schlichten Worte, die man auf einer Tafel am Eingange liest: „Hier ruhen in Gott dreitausend tapfre Krieger." Dreitausend, Deutsche und Franzosen neben einander, weitaus die meisten namenlos, und genau gezählt hat sie niemand! Dann geht es in die „Schlucht von Gravelotte" hinunter, in das enge, tief eingeschnittene Thal der Manee, eine schmale Wiesenfläche, von steilen bewaldeten Abhängen eingeschlossen und von der Straße auf einem hohen Damme durchschnitten. Hier drängten auf schmalem Wege im Abenddunkel des 18. August die deutschen Bataillone un¬ aufhaltsam aufwärts, und dort, etwas abseits links von der Straße erhebt sich auf hochaufgemauertem, halbkreisförmigem Vorsprung an der waldigen Bergwand das Denkmal des hier besonders stark beteiligten 8. (rheinischen) Jägerbataillons, wohl das künstlerisch schönste des ganzen Schlachtfeldes, auf hohem Sockel die Bronzegestalt eines vorwärts stürmenden Jägers, der nach Metz hin weist. Langsam, zwischen Denksteinen hindurch, steigt dann die Straße nach Se. Hubert hinauf, einem großen Steinhause, das jetzt Wirtshaus und Pvsthilfsstelle ist; deutsche Truppen, die dort lagerten, gaben die Staffage. Weiter oben breitet sich die kahle Hochfläche um den Pachthof Point du Jour; zahlreiche Einzel- und Massengräber mit weißen Kreuzen bekunden hier, daß der Kampf sich bis nach der Stelle hingezogen hat, wo jetzt, seitwärts von der Straße, ans dem höchsten Punkte der stattliche Aussichtsturm emporragt. Von seiner Höhe aus übersieht man nach Osten hin nur den größten Teil des Schlachtfeldes vom 18. August und in starker Verkürzung das des 16.; umso schöner ist die Aussicht nach der andern Seite ins breite Moselthal oberhalb von Metz hinein. Dieses erreicht die Straße in weiten Bogen, teilweise zwischen Weinbergen hindurch, über Rozerieulles bei Moulins. Gegen abend hörte man auf der Esplanade den dumpfen Knall der Geschütze im Westen, und auf dem Walle darunter, der die vorliegende Moselniederung beherrscht, wurde eine Batterie von Fußartillerie in Vereitschaft gesetzt. Das Velagerungsmanöver begann. Ich schied von Metz sehr beruhigt. Gewiß ist in der Verwaltung der Reichslande mancher Fehler begangen worden, vor allem durch zu weitgehendes Entgegenkommen gegen die „Notabeln" unter der Statthalterschaft Manteuffels; darüber ist unter den eingewanderten „Altdeutschen" wohl nur eine Stimme.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/355
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/355>, abgerufen am 24.07.2024.