Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.von Weißenburg bis Metz Von da drüben, von Se. Marie und Montois aus entfalteten sich am späten Se. Marie aux Chenes ist ein Dorf etwa von derselben Größe wie von Weißenburg bis Metz Von da drüben, von Se. Marie und Montois aus entfalteten sich am späten Se. Marie aux Chenes ist ein Dorf etwa von derselben Größe wie <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0352" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/229301"/> <fw type="header" place="top"> von Weißenburg bis Metz</fw><lb/> <p xml:id="ID_955"> Von da drüben, von Se. Marie und Montois aus entfalteten sich am späten<lb/> Nachmittag des 18. August in der Ausdehnung mindestens von einer Stunde<lb/> die Jnfanterielinien der Garden und der Sachsen zum Sturm auf Se. Privat,<lb/> hinter ihnen, vorwärts von Se. Marie, ihre Batterien. Welche Opfer diese<lb/> Angriffe gekostet haben, bezeugen mit stummer und doch furchtbar beredter<lb/> Sprache die Massengräber rechts und links von der Straße nach Se. Marie,<lb/> mitten in den wogenden Feldern kenntlich durch grüne Hecken, einzelne Bäume<lb/> und weiße Kreuze. Dicht vor dem Dorfe hat ein großer Friedhof die Toten<lb/> des 1. und 3. Garderegiments zu Fuß aufgenommen, gegenüber links von der<lb/> Straße erhebt sich das Denkmal des Kaiser Franz-Grenadierrcgiments. Eine<lb/> „Grüberstraße" im vollsten Sinne des Worts! Es war am Tage nach der<lb/> Schlacht, am 19. August, daß die Gefallnen hier zur letzten Ruhe gebettet<lb/> wurden, und während sich die alten, zerschossenen Fahnen über der offnen<lb/> Gruft senkten, klang überall, bald hier bald dort, über das weite Blachfeld<lb/> von den Feldmustken geblasen der Choral „Jesus meine Zuversicht." Das<lb/> Wort Davids: „Die Edelsten von Israel sind auf Deiner Höhe erschlagen"<lb/> hatte sich damals Bernhard Rogge, der Divisionspfarrer der 1. Gardedivision,<lb/> als Text seiner Ansprache gewählt. Es ist ein Zug schöner Pietät, daß unser<lb/> Kaiser es abgelehnt hat, diese weit verstreuten Gräber zusammenlegen zu lassen;<lb/> die Tapfern sollen den Boden, auf dem sie gefallen sind, auch noch im Tode<lb/> behaupten.</p><lb/> <p xml:id="ID_956" next="#ID_957"> Se. Marie aux Chenes ist ein Dorf etwa von derselben Größe wie<lb/> Se. Privat. Auf dem unregelmäßigen Hauptplatze in der Mitte erhebt sich<lb/> ein Denkmal des 95. französischen Infanterieregiments, das den Ort drei<lb/> Stunden lang tapfer verteidigte. Hier kam es auf dem Schlachtfelde des<lb/> 18. August zum ersten Zusammenstoße: ein paar deutsche Ulanen, die auf<lb/> einem Nekognoszirungsritt bis hierher vordrangen, fielen gegenüber dem Wirts¬<lb/> hause durch das französische Blei. Das Wirtshaus selbst hat einen gewissen<lb/> historischen Ruf. Noch ehe es Wirtshaus wurde, nahm der jetzt noch lebende<lb/> damalige Besitzer, ein Eingeborner des Ortes, in den Augusttagen nach und nach<lb/> mehr als sechshundert Verwundete bei sich auf. Deshalb wurde das Haus ge¬<lb/> legentlich durch den Besuch der Kaiserin ausgezeichnet, und die Wirtin erhielt<lb/> zur Erinnerung eine goldne Brosche für ihre Enkelin. Das amtliche Schreiben,<lb/> das ihr dies mitteilt, ziert unter Glas und Rahmen die Wand des Gast¬<lb/> zimmers. Daneben hängt ein großer Stich nach einem Gemälde von Alfred<lb/> Neuville, das die Szene darstellt, wie im September 1870 während der Ein¬<lb/> schließung von Metz ein Franzose als port-itsur as äöpöokös ergriffen und<lb/> vor eben diesem Wirtshause verhört wird; es ist ein Geschenk des berühmten<lb/> Schlachtenmalers. So mischen sich hier deutsche und französische Erinnerungen,<lb/> wie denn auch der Wirt deutsch gelernt hatte, seine Frau aber nur französisch<lb/> sprach. Die Jugend lernt jetzt in den Schulen deutsch, und in Se. Privat<lb/> begrüßten mich ein paar Knaben mit dem deutschen „Guten Tag," ohne daß</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0352]
von Weißenburg bis Metz
Von da drüben, von Se. Marie und Montois aus entfalteten sich am späten
Nachmittag des 18. August in der Ausdehnung mindestens von einer Stunde
die Jnfanterielinien der Garden und der Sachsen zum Sturm auf Se. Privat,
hinter ihnen, vorwärts von Se. Marie, ihre Batterien. Welche Opfer diese
Angriffe gekostet haben, bezeugen mit stummer und doch furchtbar beredter
Sprache die Massengräber rechts und links von der Straße nach Se. Marie,
mitten in den wogenden Feldern kenntlich durch grüne Hecken, einzelne Bäume
und weiße Kreuze. Dicht vor dem Dorfe hat ein großer Friedhof die Toten
des 1. und 3. Garderegiments zu Fuß aufgenommen, gegenüber links von der
Straße erhebt sich das Denkmal des Kaiser Franz-Grenadierrcgiments. Eine
„Grüberstraße" im vollsten Sinne des Worts! Es war am Tage nach der
Schlacht, am 19. August, daß die Gefallnen hier zur letzten Ruhe gebettet
wurden, und während sich die alten, zerschossenen Fahnen über der offnen
Gruft senkten, klang überall, bald hier bald dort, über das weite Blachfeld
von den Feldmustken geblasen der Choral „Jesus meine Zuversicht." Das
Wort Davids: „Die Edelsten von Israel sind auf Deiner Höhe erschlagen"
hatte sich damals Bernhard Rogge, der Divisionspfarrer der 1. Gardedivision,
als Text seiner Ansprache gewählt. Es ist ein Zug schöner Pietät, daß unser
Kaiser es abgelehnt hat, diese weit verstreuten Gräber zusammenlegen zu lassen;
die Tapfern sollen den Boden, auf dem sie gefallen sind, auch noch im Tode
behaupten.
Se. Marie aux Chenes ist ein Dorf etwa von derselben Größe wie
Se. Privat. Auf dem unregelmäßigen Hauptplatze in der Mitte erhebt sich
ein Denkmal des 95. französischen Infanterieregiments, das den Ort drei
Stunden lang tapfer verteidigte. Hier kam es auf dem Schlachtfelde des
18. August zum ersten Zusammenstoße: ein paar deutsche Ulanen, die auf
einem Nekognoszirungsritt bis hierher vordrangen, fielen gegenüber dem Wirts¬
hause durch das französische Blei. Das Wirtshaus selbst hat einen gewissen
historischen Ruf. Noch ehe es Wirtshaus wurde, nahm der jetzt noch lebende
damalige Besitzer, ein Eingeborner des Ortes, in den Augusttagen nach und nach
mehr als sechshundert Verwundete bei sich auf. Deshalb wurde das Haus ge¬
legentlich durch den Besuch der Kaiserin ausgezeichnet, und die Wirtin erhielt
zur Erinnerung eine goldne Brosche für ihre Enkelin. Das amtliche Schreiben,
das ihr dies mitteilt, ziert unter Glas und Rahmen die Wand des Gast¬
zimmers. Daneben hängt ein großer Stich nach einem Gemälde von Alfred
Neuville, das die Szene darstellt, wie im September 1870 während der Ein¬
schließung von Metz ein Franzose als port-itsur as äöpöokös ergriffen und
vor eben diesem Wirtshause verhört wird; es ist ein Geschenk des berühmten
Schlachtenmalers. So mischen sich hier deutsche und französische Erinnerungen,
wie denn auch der Wirt deutsch gelernt hatte, seine Frau aber nur französisch
sprach. Die Jugend lernt jetzt in den Schulen deutsch, und in Se. Privat
begrüßten mich ein paar Knaben mit dem deutschen „Guten Tag," ohne daß
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