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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Die Epoche der südafrikanischen Völkerwanderung

zu den Waffen greifen, so könnte das nur ein Aufstand sein, keine Wanderung;
deren Zeiten sind vorüber, da Afrika verteilt ist.

Damit ist auch für Deutschostafrika die Gefahr beseitigt, durch eine erneute
rückläufige Bewegung der Kaffern beunruhigt zu werden. Es hat ja seinen
Teil getragen, indem es die schweren Zeiten der Wahehegefahr durchzumachen
hatte. Gegen Ende der sechziger Jahre dieses Jahrhunderts nahten sich nämlich
wieder abgesplitterte Horden nach Nordnordosten zurückgeworfner Kaffern stamme
ihrer einstmaligen Heimat. Als v. d. Decken im Jahre 1860 den südlichen
Teil des jetzigen Deutschostafrika durchzog, war das ganze Gebiet noch gut
passirbar. Arabische Dschamben zogen sich weit hinein ins Land bis zum
Nyassa hin. Als Livingstone sieben Jahre später den Rovuma hinaufzog,
hörte er von Horden, die aus dem Süden gekommen waren und das ganze
Gebiet überschwemmten und verwüsteten. Es waren die Mazitu, Angoni,
Watute und Wahehe. Die Angoni und Jao ließen sich nördlich vom Rovuma
nieder, die Wahehe suchten das Hochland am Oberlaufe des Rusidji auf, ein
Land, wie sie es brauchten, reich an Wasser und Weiden, und zugleich eine
natürliche Burg, von der aus sie ihre Raubzüge nach allen Richtungen hin
unternehmen konnten. Schon zu Beginn der siebziger Jahre waren die einst
so belebten Handelsstraßen von Bagamoyo und Kilwa nach dem Nyassa völlig
gesperrt. Bis an die Küste drangen fast alle Jahre die Wahehekrieger, der
Schrecken unsrer jungen Kolonie. Sie einte unter seinem Szepter Quawa,
genannt Mahinja, der Schlächter. So wie Tschaka, so hatte auch er sich durch
Tapferkeit und Grausamkeit vom Dorfhäuptling zum Gebieter über eine furcht¬
bare Macht emporgeschwungen. Er hat Deutschland schwere Sorge bereitet.
Der alles atvr in der Geschichte unsrer jungen Kolonie, der Untergang der
Expedition Zelewski, knüpft sich an Quawas Namen. Nun ist er tot, und
die Bahn ist frei für deutsche Kolonisatoren im Waheheland -- denn daß ein
neuer Quawa in Dentschostafrika nicht erstehe, dafür wird die deutsche Politik
dort schon sorgen. Der schwarze Kontinent und besonders sein südlicher Teil
ist in seiner Entwicklung durch ein Jahrhunderte währendes Nomadentum
seiner entwicklungsfähigsten Völker weit zurückgeblieben. Aber jetzt ist Afrika
verteilt, und wie das Öl die Erregung des Meeres sänftigt, so wird die In¬
vasion der weißen Kolonisten die Wogen der Völkerwanderung glätten. Hie
und da wird es vielleicht noch kleine Trecks geben, bisweilen Aufstünde, die
an Maximgeschützen zerstieben, dann wird Friede in dem dunkeln Weltteil sein,
der lange genug der werkthätigen Menschheit seine Schätze entzogen hat.




Die Epoche der südafrikanischen Völkerwanderung

zu den Waffen greifen, so könnte das nur ein Aufstand sein, keine Wanderung;
deren Zeiten sind vorüber, da Afrika verteilt ist.

Damit ist auch für Deutschostafrika die Gefahr beseitigt, durch eine erneute
rückläufige Bewegung der Kaffern beunruhigt zu werden. Es hat ja seinen
Teil getragen, indem es die schweren Zeiten der Wahehegefahr durchzumachen
hatte. Gegen Ende der sechziger Jahre dieses Jahrhunderts nahten sich nämlich
wieder abgesplitterte Horden nach Nordnordosten zurückgeworfner Kaffern stamme
ihrer einstmaligen Heimat. Als v. d. Decken im Jahre 1860 den südlichen
Teil des jetzigen Deutschostafrika durchzog, war das ganze Gebiet noch gut
passirbar. Arabische Dschamben zogen sich weit hinein ins Land bis zum
Nyassa hin. Als Livingstone sieben Jahre später den Rovuma hinaufzog,
hörte er von Horden, die aus dem Süden gekommen waren und das ganze
Gebiet überschwemmten und verwüsteten. Es waren die Mazitu, Angoni,
Watute und Wahehe. Die Angoni und Jao ließen sich nördlich vom Rovuma
nieder, die Wahehe suchten das Hochland am Oberlaufe des Rusidji auf, ein
Land, wie sie es brauchten, reich an Wasser und Weiden, und zugleich eine
natürliche Burg, von der aus sie ihre Raubzüge nach allen Richtungen hin
unternehmen konnten. Schon zu Beginn der siebziger Jahre waren die einst
so belebten Handelsstraßen von Bagamoyo und Kilwa nach dem Nyassa völlig
gesperrt. Bis an die Küste drangen fast alle Jahre die Wahehekrieger, der
Schrecken unsrer jungen Kolonie. Sie einte unter seinem Szepter Quawa,
genannt Mahinja, der Schlächter. So wie Tschaka, so hatte auch er sich durch
Tapferkeit und Grausamkeit vom Dorfhäuptling zum Gebieter über eine furcht¬
bare Macht emporgeschwungen. Er hat Deutschland schwere Sorge bereitet.
Der alles atvr in der Geschichte unsrer jungen Kolonie, der Untergang der
Expedition Zelewski, knüpft sich an Quawas Namen. Nun ist er tot, und
die Bahn ist frei für deutsche Kolonisatoren im Waheheland — denn daß ein
neuer Quawa in Dentschostafrika nicht erstehe, dafür wird die deutsche Politik
dort schon sorgen. Der schwarze Kontinent und besonders sein südlicher Teil
ist in seiner Entwicklung durch ein Jahrhunderte währendes Nomadentum
seiner entwicklungsfähigsten Völker weit zurückgeblieben. Aber jetzt ist Afrika
verteilt, und wie das Öl die Erregung des Meeres sänftigt, so wird die In¬
vasion der weißen Kolonisten die Wogen der Völkerwanderung glätten. Hie
und da wird es vielleicht noch kleine Trecks geben, bisweilen Aufstünde, die
an Maximgeschützen zerstieben, dann wird Friede in dem dunkeln Weltteil sein,
der lange genug der werkthätigen Menschheit seine Schätze entzogen hat.




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[0345] Die Epoche der südafrikanischen Völkerwanderung zu den Waffen greifen, so könnte das nur ein Aufstand sein, keine Wanderung; deren Zeiten sind vorüber, da Afrika verteilt ist. Damit ist auch für Deutschostafrika die Gefahr beseitigt, durch eine erneute rückläufige Bewegung der Kaffern beunruhigt zu werden. Es hat ja seinen Teil getragen, indem es die schweren Zeiten der Wahehegefahr durchzumachen hatte. Gegen Ende der sechziger Jahre dieses Jahrhunderts nahten sich nämlich wieder abgesplitterte Horden nach Nordnordosten zurückgeworfner Kaffern stamme ihrer einstmaligen Heimat. Als v. d. Decken im Jahre 1860 den südlichen Teil des jetzigen Deutschostafrika durchzog, war das ganze Gebiet noch gut passirbar. Arabische Dschamben zogen sich weit hinein ins Land bis zum Nyassa hin. Als Livingstone sieben Jahre später den Rovuma hinaufzog, hörte er von Horden, die aus dem Süden gekommen waren und das ganze Gebiet überschwemmten und verwüsteten. Es waren die Mazitu, Angoni, Watute und Wahehe. Die Angoni und Jao ließen sich nördlich vom Rovuma nieder, die Wahehe suchten das Hochland am Oberlaufe des Rusidji auf, ein Land, wie sie es brauchten, reich an Wasser und Weiden, und zugleich eine natürliche Burg, von der aus sie ihre Raubzüge nach allen Richtungen hin unternehmen konnten. Schon zu Beginn der siebziger Jahre waren die einst so belebten Handelsstraßen von Bagamoyo und Kilwa nach dem Nyassa völlig gesperrt. Bis an die Küste drangen fast alle Jahre die Wahehekrieger, der Schrecken unsrer jungen Kolonie. Sie einte unter seinem Szepter Quawa, genannt Mahinja, der Schlächter. So wie Tschaka, so hatte auch er sich durch Tapferkeit und Grausamkeit vom Dorfhäuptling zum Gebieter über eine furcht¬ bare Macht emporgeschwungen. Er hat Deutschland schwere Sorge bereitet. Der alles atvr in der Geschichte unsrer jungen Kolonie, der Untergang der Expedition Zelewski, knüpft sich an Quawas Namen. Nun ist er tot, und die Bahn ist frei für deutsche Kolonisatoren im Waheheland — denn daß ein neuer Quawa in Dentschostafrika nicht erstehe, dafür wird die deutsche Politik dort schon sorgen. Der schwarze Kontinent und besonders sein südlicher Teil ist in seiner Entwicklung durch ein Jahrhunderte währendes Nomadentum seiner entwicklungsfähigsten Völker weit zurückgeblieben. Aber jetzt ist Afrika verteilt, und wie das Öl die Erregung des Meeres sänftigt, so wird die In¬ vasion der weißen Kolonisten die Wogen der Völkerwanderung glätten. Hie und da wird es vielleicht noch kleine Trecks geben, bisweilen Aufstünde, die an Maximgeschützen zerstieben, dann wird Friede in dem dunkeln Weltteil sein, der lange genug der werkthätigen Menschheit seine Schätze entzogen hat.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/345>, abgerufen am 12.12.2024.