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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Betrachtungen über das Drama, insbesondre das deutsche

Wenn wir vor einiger Zeit bei einer Betrachtung der politischen Lage
rach den Reichstagswcchlcn zu dem Schluß gelangten, daß die Sammlung
aller über den materiellen Interessen stehenden gebildeten Männer in Deutsch¬
land um den Kaiser die Politik der nächsten Zukunft sein müsse, so springt
auf dem Sondergebiet der Sozialpolitik die Berechtigung dieser Parole vollends
in die Augen. Es laeni dem Deutschen Reiche heute in seinen schweren sozialen
Noten und Wirren uur geholfen werden durch die Weisheit, Gerechtigkeit und
hingebende Pflichttreue unsers Kaisers. Gott sei Dank, daß wir ihm vertrauen
dürfen! Mögen sich endlich die Männer finden, die ihm diese große Verantwort¬
lichkeit wirklich tragen helfen vor Deutschland und der Welt. Heute ist keiner
da, auch nicht einer!




Betrachtungen über das Drama,
insbesondre das deutsche

cum es vorn nicht viel zu sehen giebt, so sieht man rückwärts.
Je weniger das Drama der Gegenwart an und sür sich bedeutet
und die Mehrzahl der Menschen befriedigt, desto häufiger wenden
solche die über diese Dinge nachzudenken lieben, ihre Gedanken
dem Drama der Vergangenheit zu. In derartigen Büchern wird
aber meistens der Gegenstand nicht rein litterarhistorisch. sondern nut Rücksicht
auf Ansichten und Bedürfnisse der Gegenwart behandelt, und das ist naturlich.
Denn keine Litteraturgattung liegt gegenwärtig der Tagesmeinung so sehr am
Herzen wie das Drama. Es hat Zeiten gegeben, wo das Theater mehr bedeutete
als heute, aber niemals war die Gelegenheit. Ausgeführtes zu sehen und zu
hören, so überallhin bis in die kleiusten Nester verbreitet, niemals hat es so für
jedermann mit dazu gehört, ins Theater zu gehen wie heute; für viele ist das
neben der Zeitung der einzige Zugang zur Litteratur. So gewinnt das Drama
als Gegenstand dieses Vergnügens an Interesse, und mag es viel oder wenig
sein, was die Dichtung der Gegenwart hervorbringt, es wird immer noch weit
mehr Beachtung finden, wenn es aufs Theater paßt, als wenn es nur Lyrik
wäre oder gar Epos. Denn Lyriker sind heutzutage in Deutschland beinahe
alle, oder sie könnten es doch sein, die Sprache dichtet für sie, haben ja schon
Schiller und Goethe gesagt -- es ist längst kein eigner Ruhm mehr, einen
Band Lyrik gedichtet zu haben; man muß noch etwas außerdem leiste" und
sein, um für etwas zu gelten. Es sei denn, daß einmal ein wirklich be-


Betrachtungen über das Drama, insbesondre das deutsche

Wenn wir vor einiger Zeit bei einer Betrachtung der politischen Lage
rach den Reichstagswcchlcn zu dem Schluß gelangten, daß die Sammlung
aller über den materiellen Interessen stehenden gebildeten Männer in Deutsch¬
land um den Kaiser die Politik der nächsten Zukunft sein müsse, so springt
auf dem Sondergebiet der Sozialpolitik die Berechtigung dieser Parole vollends
in die Augen. Es laeni dem Deutschen Reiche heute in seinen schweren sozialen
Noten und Wirren uur geholfen werden durch die Weisheit, Gerechtigkeit und
hingebende Pflichttreue unsers Kaisers. Gott sei Dank, daß wir ihm vertrauen
dürfen! Mögen sich endlich die Männer finden, die ihm diese große Verantwort¬
lichkeit wirklich tragen helfen vor Deutschland und der Welt. Heute ist keiner
da, auch nicht einer!




Betrachtungen über das Drama,
insbesondre das deutsche

cum es vorn nicht viel zu sehen giebt, so sieht man rückwärts.
Je weniger das Drama der Gegenwart an und sür sich bedeutet
und die Mehrzahl der Menschen befriedigt, desto häufiger wenden
solche die über diese Dinge nachzudenken lieben, ihre Gedanken
dem Drama der Vergangenheit zu. In derartigen Büchern wird
aber meistens der Gegenstand nicht rein litterarhistorisch. sondern nut Rücksicht
auf Ansichten und Bedürfnisse der Gegenwart behandelt, und das ist naturlich.
Denn keine Litteraturgattung liegt gegenwärtig der Tagesmeinung so sehr am
Herzen wie das Drama. Es hat Zeiten gegeben, wo das Theater mehr bedeutete
als heute, aber niemals war die Gelegenheit. Ausgeführtes zu sehen und zu
hören, so überallhin bis in die kleiusten Nester verbreitet, niemals hat es so für
jedermann mit dazu gehört, ins Theater zu gehen wie heute; für viele ist das
neben der Zeitung der einzige Zugang zur Litteratur. So gewinnt das Drama
als Gegenstand dieses Vergnügens an Interesse, und mag es viel oder wenig
sein, was die Dichtung der Gegenwart hervorbringt, es wird immer noch weit
mehr Beachtung finden, wenn es aufs Theater paßt, als wenn es nur Lyrik
wäre oder gar Epos. Denn Lyriker sind heutzutage in Deutschland beinahe
alle, oder sie könnten es doch sein, die Sprache dichtet für sie, haben ja schon
Schiller und Goethe gesagt — es ist längst kein eigner Ruhm mehr, einen
Band Lyrik gedichtet zu haben; man muß noch etwas außerdem leiste« und
sein, um für etwas zu gelten. Es sei denn, daß einmal ein wirklich be-


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[0033] Betrachtungen über das Drama, insbesondre das deutsche Wenn wir vor einiger Zeit bei einer Betrachtung der politischen Lage rach den Reichstagswcchlcn zu dem Schluß gelangten, daß die Sammlung aller über den materiellen Interessen stehenden gebildeten Männer in Deutsch¬ land um den Kaiser die Politik der nächsten Zukunft sein müsse, so springt auf dem Sondergebiet der Sozialpolitik die Berechtigung dieser Parole vollends in die Augen. Es laeni dem Deutschen Reiche heute in seinen schweren sozialen Noten und Wirren uur geholfen werden durch die Weisheit, Gerechtigkeit und hingebende Pflichttreue unsers Kaisers. Gott sei Dank, daß wir ihm vertrauen dürfen! Mögen sich endlich die Männer finden, die ihm diese große Verantwort¬ lichkeit wirklich tragen helfen vor Deutschland und der Welt. Heute ist keiner da, auch nicht einer! Betrachtungen über das Drama, insbesondre das deutsche cum es vorn nicht viel zu sehen giebt, so sieht man rückwärts. Je weniger das Drama der Gegenwart an und sür sich bedeutet und die Mehrzahl der Menschen befriedigt, desto häufiger wenden solche die über diese Dinge nachzudenken lieben, ihre Gedanken dem Drama der Vergangenheit zu. In derartigen Büchern wird aber meistens der Gegenstand nicht rein litterarhistorisch. sondern nut Rücksicht auf Ansichten und Bedürfnisse der Gegenwart behandelt, und das ist naturlich. Denn keine Litteraturgattung liegt gegenwärtig der Tagesmeinung so sehr am Herzen wie das Drama. Es hat Zeiten gegeben, wo das Theater mehr bedeutete als heute, aber niemals war die Gelegenheit. Ausgeführtes zu sehen und zu hören, so überallhin bis in die kleiusten Nester verbreitet, niemals hat es so für jedermann mit dazu gehört, ins Theater zu gehen wie heute; für viele ist das neben der Zeitung der einzige Zugang zur Litteratur. So gewinnt das Drama als Gegenstand dieses Vergnügens an Interesse, und mag es viel oder wenig sein, was die Dichtung der Gegenwart hervorbringt, es wird immer noch weit mehr Beachtung finden, wenn es aufs Theater paßt, als wenn es nur Lyrik wäre oder gar Epos. Denn Lyriker sind heutzutage in Deutschland beinahe alle, oder sie könnten es doch sein, die Sprache dichtet für sie, haben ja schon Schiller und Goethe gesagt — es ist längst kein eigner Ruhm mehr, einen Band Lyrik gedichtet zu haben; man muß noch etwas außerdem leiste« und sein, um für etwas zu gelten. Es sei denn, daß einmal ein wirklich be-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/33>, abgerufen am 12.12.2024.