Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Das Schönbrunner Attentat im Jahre ^309

eine Bildung, die nicht umfassend sein konnte, da sie schon mit dem vierzehnten
Jahre abschloß. Da wird er Kaufmannslehrling in einer Erfurter Fabrik.
strebsam und treu ist er auch hier; die Gottesfurcht des Vaterhauses verläßt
ihn nicht; mit zärtlicher Liebe bleibt er seinen Eltern auch in der Ferne zu¬
gethan- Als sechzehnjähriger sieht er Napoleon auf dem Erfurter Fürsten¬
tag; ohne die leise Regung eines patriotischen Unmuts erblickt er nur die
glänzende Außenseite der Feste und der Herrlichkeiten. Erst im Jahre 1809
interessirt ihn die Politik. Er verfolgt nun gespannt den österreichischen Feld¬
zug; er jubelt bei der Siegesnachricht von Aspern; sein Herz ist voll freudiger
Zuversicht. Im August weilt er bei den Eltern zum Besuch. Mit der harmlosen
Hingebung eines Kindes genießt er die Freuden des Kirschfestes; seine reine
Seele ist noch ungetrübt von der finstern Wolke eines furchtbaren Gedankens.
Seine Silhouette aus jenen Tagen zeigt kleine, weiche, runde, mädchenhafte, man
mochte sagen, niedliche Züge. Aber dann nach seiner Rückkehr fängt er in Erfurt
an zu grübeln. Österreichs Erhebung ermattet. In seinem kindlichen Herzen
wächst der grausige Gedanke des Mordes. Man findet ihn wiederholt in die
Lektüre der Jungfrau von Orleans vertieft: Gott wird auch in dem Schwachen
mächtig, die zarte Kraft ersieht er sich zu seinem Werkzeug, wenn er die Völker
befreien will (Brief an seine Eltern. 20. September 1309). Unter allen histo¬
rischen Schriften, so hat er später dem General Savary gestanden, hat mir
nur die der Jungfrau von Orleans gefallen, weil sie Frankreich vom Joch der
Feinde befreit hat; ihr wollte ich nachahmen. Ein einziges mal verrät er sein
Vorhaben den Freunden; als sie erschrecken und ihn warnen, stellt er sich klug,
als sei es ein hingeworfner blasser Gedanke gewesen. Nun beherrscht sich mit
unglaublicher Meisterschaft der unreife Knabe, dessen aufrichtigem Gemüt sonst
jede Verstellung fremd war. Am 27. September überraschte den Vater in
Naumburg die briefliche Mitteilung aus Erfurt, daß sein Sohn ohne Erlaubnis
das Geschüft verlassen habe, ohne den Zweck und das Ziel seiner heimlichen
Entfernung anzugeben. Ein paar Stunden darauf hielt dann die Mutter einen
Brief ihres Lieblings in Händen, den schwärmerische Religiosität und ein nach
der Märtyrerkrone trachtender Größenwahn mit der Phraseologie der Jungfrau
von Orleans geschrieben hatten. "Es reißt mich fort mit Riesengewalt zu
meinem Schicksale hin, dessen Laufbahn bald geendet sein wird; denn dann er¬
wartet mich jene Seligkeit, die mir Gott verheißen hat. . . Gott verlangt
ein großes Opfer; der Jüngling will es bringen und lächelnd sterben, wie die
Apostel thaten. Auch seiner Geliebten denkt er in diesem Schreiben; mit
romantischer Überspanntheit hat er dann ihr Bild mit in den Tod genommen.
Was der Prinzipal und der Vater thaten, um des Entwichnen wieder habhaft
zu werden, blieb erfolglos. Mit einer staunenswerten Energie, wie sie nur
ein frommer Wahn erzeugen kann, schritt er unbeirrt und ungehindert seinem
Ziele zu.

Obwohl das Stapssche Attentat schließlich mißlang, so hat es doch


Das Schönbrunner Attentat im Jahre ^309

eine Bildung, die nicht umfassend sein konnte, da sie schon mit dem vierzehnten
Jahre abschloß. Da wird er Kaufmannslehrling in einer Erfurter Fabrik.
strebsam und treu ist er auch hier; die Gottesfurcht des Vaterhauses verläßt
ihn nicht; mit zärtlicher Liebe bleibt er seinen Eltern auch in der Ferne zu¬
gethan- Als sechzehnjähriger sieht er Napoleon auf dem Erfurter Fürsten¬
tag; ohne die leise Regung eines patriotischen Unmuts erblickt er nur die
glänzende Außenseite der Feste und der Herrlichkeiten. Erst im Jahre 1809
interessirt ihn die Politik. Er verfolgt nun gespannt den österreichischen Feld¬
zug; er jubelt bei der Siegesnachricht von Aspern; sein Herz ist voll freudiger
Zuversicht. Im August weilt er bei den Eltern zum Besuch. Mit der harmlosen
Hingebung eines Kindes genießt er die Freuden des Kirschfestes; seine reine
Seele ist noch ungetrübt von der finstern Wolke eines furchtbaren Gedankens.
Seine Silhouette aus jenen Tagen zeigt kleine, weiche, runde, mädchenhafte, man
mochte sagen, niedliche Züge. Aber dann nach seiner Rückkehr fängt er in Erfurt
an zu grübeln. Österreichs Erhebung ermattet. In seinem kindlichen Herzen
wächst der grausige Gedanke des Mordes. Man findet ihn wiederholt in die
Lektüre der Jungfrau von Orleans vertieft: Gott wird auch in dem Schwachen
mächtig, die zarte Kraft ersieht er sich zu seinem Werkzeug, wenn er die Völker
befreien will (Brief an seine Eltern. 20. September 1309). Unter allen histo¬
rischen Schriften, so hat er später dem General Savary gestanden, hat mir
nur die der Jungfrau von Orleans gefallen, weil sie Frankreich vom Joch der
Feinde befreit hat; ihr wollte ich nachahmen. Ein einziges mal verrät er sein
Vorhaben den Freunden; als sie erschrecken und ihn warnen, stellt er sich klug,
als sei es ein hingeworfner blasser Gedanke gewesen. Nun beherrscht sich mit
unglaublicher Meisterschaft der unreife Knabe, dessen aufrichtigem Gemüt sonst
jede Verstellung fremd war. Am 27. September überraschte den Vater in
Naumburg die briefliche Mitteilung aus Erfurt, daß sein Sohn ohne Erlaubnis
das Geschüft verlassen habe, ohne den Zweck und das Ziel seiner heimlichen
Entfernung anzugeben. Ein paar Stunden darauf hielt dann die Mutter einen
Brief ihres Lieblings in Händen, den schwärmerische Religiosität und ein nach
der Märtyrerkrone trachtender Größenwahn mit der Phraseologie der Jungfrau
von Orleans geschrieben hatten. „Es reißt mich fort mit Riesengewalt zu
meinem Schicksale hin, dessen Laufbahn bald geendet sein wird; denn dann er¬
wartet mich jene Seligkeit, die mir Gott verheißen hat. . . Gott verlangt
ein großes Opfer; der Jüngling will es bringen und lächelnd sterben, wie die
Apostel thaten. Auch seiner Geliebten denkt er in diesem Schreiben; mit
romantischer Überspanntheit hat er dann ihr Bild mit in den Tod genommen.
Was der Prinzipal und der Vater thaten, um des Entwichnen wieder habhaft
zu werden, blieb erfolglos. Mit einer staunenswerten Energie, wie sie nur
ein frommer Wahn erzeugen kann, schritt er unbeirrt und ungehindert seinem
Ziele zu.

Obwohl das Stapssche Attentat schließlich mißlang, so hat es doch


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0311" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/229260"/>
          <fw type="header" place="top"> Das Schönbrunner Attentat im Jahre ^309</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_845" prev="#ID_844"> eine Bildung, die nicht umfassend sein konnte, da sie schon mit dem vierzehnten<lb/>
Jahre abschloß. Da wird er Kaufmannslehrling in einer Erfurter Fabrik.<lb/>
strebsam und treu ist er auch hier; die Gottesfurcht des Vaterhauses verläßt<lb/>
ihn nicht; mit zärtlicher Liebe bleibt er seinen Eltern auch in der Ferne zu¬<lb/>
gethan- Als sechzehnjähriger sieht er Napoleon auf dem Erfurter Fürsten¬<lb/>
tag; ohne die leise Regung eines patriotischen Unmuts erblickt er nur die<lb/>
glänzende Außenseite der Feste und der Herrlichkeiten. Erst im Jahre 1809<lb/>
interessirt ihn die Politik. Er verfolgt nun gespannt den österreichischen Feld¬<lb/>
zug; er jubelt bei der Siegesnachricht von Aspern; sein Herz ist voll freudiger<lb/>
Zuversicht. Im August weilt er bei den Eltern zum Besuch. Mit der harmlosen<lb/>
Hingebung eines Kindes genießt er die Freuden des Kirschfestes; seine reine<lb/>
Seele ist noch ungetrübt von der finstern Wolke eines furchtbaren Gedankens.<lb/>
Seine Silhouette aus jenen Tagen zeigt kleine, weiche, runde, mädchenhafte, man<lb/>
mochte sagen, niedliche Züge. Aber dann nach seiner Rückkehr fängt er in Erfurt<lb/>
an zu grübeln. Österreichs Erhebung ermattet. In seinem kindlichen Herzen<lb/>
wächst der grausige Gedanke des Mordes. Man findet ihn wiederholt in die<lb/>
Lektüre der Jungfrau von Orleans vertieft: Gott wird auch in dem Schwachen<lb/>
mächtig, die zarte Kraft ersieht er sich zu seinem Werkzeug, wenn er die Völker<lb/>
befreien will (Brief an seine Eltern. 20. September 1309). Unter allen histo¬<lb/>
rischen Schriften, so hat er später dem General Savary gestanden, hat mir<lb/>
nur die der Jungfrau von Orleans gefallen, weil sie Frankreich vom Joch der<lb/>
Feinde befreit hat; ihr wollte ich nachahmen. Ein einziges mal verrät er sein<lb/>
Vorhaben den Freunden; als sie erschrecken und ihn warnen, stellt er sich klug,<lb/>
als sei es ein hingeworfner blasser Gedanke gewesen. Nun beherrscht sich mit<lb/>
unglaublicher Meisterschaft der unreife Knabe, dessen aufrichtigem Gemüt sonst<lb/>
jede Verstellung fremd war. Am 27. September überraschte den Vater in<lb/>
Naumburg die briefliche Mitteilung aus Erfurt, daß sein Sohn ohne Erlaubnis<lb/>
das Geschüft verlassen habe, ohne den Zweck und das Ziel seiner heimlichen<lb/>
Entfernung anzugeben. Ein paar Stunden darauf hielt dann die Mutter einen<lb/>
Brief ihres Lieblings in Händen, den schwärmerische Religiosität und ein nach<lb/>
der Märtyrerkrone trachtender Größenwahn mit der Phraseologie der Jungfrau<lb/>
von Orleans geschrieben hatten. &#x201E;Es reißt mich fort mit Riesengewalt zu<lb/>
meinem Schicksale hin, dessen Laufbahn bald geendet sein wird; denn dann er¬<lb/>
wartet mich jene Seligkeit, die mir Gott verheißen hat. . . Gott verlangt<lb/>
ein großes Opfer; der Jüngling will es bringen und lächelnd sterben, wie die<lb/>
Apostel thaten. Auch seiner Geliebten denkt er in diesem Schreiben; mit<lb/>
romantischer Überspanntheit hat er dann ihr Bild mit in den Tod genommen.<lb/>
Was der Prinzipal und der Vater thaten, um des Entwichnen wieder habhaft<lb/>
zu werden, blieb erfolglos. Mit einer staunenswerten Energie, wie sie nur<lb/>
ein frommer Wahn erzeugen kann, schritt er unbeirrt und ungehindert seinem<lb/>
Ziele zu.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_846" next="#ID_847"> Obwohl das Stapssche Attentat schließlich mißlang, so hat es doch</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0311] Das Schönbrunner Attentat im Jahre ^309 eine Bildung, die nicht umfassend sein konnte, da sie schon mit dem vierzehnten Jahre abschloß. Da wird er Kaufmannslehrling in einer Erfurter Fabrik. strebsam und treu ist er auch hier; die Gottesfurcht des Vaterhauses verläßt ihn nicht; mit zärtlicher Liebe bleibt er seinen Eltern auch in der Ferne zu¬ gethan- Als sechzehnjähriger sieht er Napoleon auf dem Erfurter Fürsten¬ tag; ohne die leise Regung eines patriotischen Unmuts erblickt er nur die glänzende Außenseite der Feste und der Herrlichkeiten. Erst im Jahre 1809 interessirt ihn die Politik. Er verfolgt nun gespannt den österreichischen Feld¬ zug; er jubelt bei der Siegesnachricht von Aspern; sein Herz ist voll freudiger Zuversicht. Im August weilt er bei den Eltern zum Besuch. Mit der harmlosen Hingebung eines Kindes genießt er die Freuden des Kirschfestes; seine reine Seele ist noch ungetrübt von der finstern Wolke eines furchtbaren Gedankens. Seine Silhouette aus jenen Tagen zeigt kleine, weiche, runde, mädchenhafte, man mochte sagen, niedliche Züge. Aber dann nach seiner Rückkehr fängt er in Erfurt an zu grübeln. Österreichs Erhebung ermattet. In seinem kindlichen Herzen wächst der grausige Gedanke des Mordes. Man findet ihn wiederholt in die Lektüre der Jungfrau von Orleans vertieft: Gott wird auch in dem Schwachen mächtig, die zarte Kraft ersieht er sich zu seinem Werkzeug, wenn er die Völker befreien will (Brief an seine Eltern. 20. September 1309). Unter allen histo¬ rischen Schriften, so hat er später dem General Savary gestanden, hat mir nur die der Jungfrau von Orleans gefallen, weil sie Frankreich vom Joch der Feinde befreit hat; ihr wollte ich nachahmen. Ein einziges mal verrät er sein Vorhaben den Freunden; als sie erschrecken und ihn warnen, stellt er sich klug, als sei es ein hingeworfner blasser Gedanke gewesen. Nun beherrscht sich mit unglaublicher Meisterschaft der unreife Knabe, dessen aufrichtigem Gemüt sonst jede Verstellung fremd war. Am 27. September überraschte den Vater in Naumburg die briefliche Mitteilung aus Erfurt, daß sein Sohn ohne Erlaubnis das Geschüft verlassen habe, ohne den Zweck und das Ziel seiner heimlichen Entfernung anzugeben. Ein paar Stunden darauf hielt dann die Mutter einen Brief ihres Lieblings in Händen, den schwärmerische Religiosität und ein nach der Märtyrerkrone trachtender Größenwahn mit der Phraseologie der Jungfrau von Orleans geschrieben hatten. „Es reißt mich fort mit Riesengewalt zu meinem Schicksale hin, dessen Laufbahn bald geendet sein wird; denn dann er¬ wartet mich jene Seligkeit, die mir Gott verheißen hat. . . Gott verlangt ein großes Opfer; der Jüngling will es bringen und lächelnd sterben, wie die Apostel thaten. Auch seiner Geliebten denkt er in diesem Schreiben; mit romantischer Überspanntheit hat er dann ihr Bild mit in den Tod genommen. Was der Prinzipal und der Vater thaten, um des Entwichnen wieder habhaft zu werden, blieb erfolglos. Mit einer staunenswerten Energie, wie sie nur ein frommer Wahn erzeugen kann, schritt er unbeirrt und ungehindert seinem Ziele zu. Obwohl das Stapssche Attentat schließlich mißlang, so hat es doch

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/311
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/311>, abgerufen am 24.07.2024.