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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Verbesserter Smithianismus

davon laufen und den Urwald roder werde. Der Druck muß schon sehr stark
sein, ehe sich der eine oder der andre dazu entschließt, und bis dahin gewinnt
der Boden einen Tauschwert an sich, unabhängig von der darin steckenden oder
-- in Gebäuden -- darauf abgelagerten Arbeit; er erwirbt einen Tauschwert
bloß deswegen, weil er einen Wohnplatz und eine Arbeitsstätte inmitten einer
zivilisirten Gesellschaft gewährt; und weil innerhalb dieser Gesellschaft die
Kulturgaben verschieden verteilt sind, so haben die Grundstücke, wie jedermann
weiß, je nach ihrer Lage einen verschiednen Wert. Dazu kommen noch vielerlei
Rücksichten, die fast jedem Grundstücke seinen besondern Affektionswert ver¬
leihen. Das eine wird als Ahnensitz, ein zweites um seiner Naturschönheiten
willen, ein drittes wegen der es durchströmendem Wasserkraft geschätzt, ein
viertes trügt junge Bäume, die der Besitzer gepflanzt hat, und deren Früchte
er sehen und genießen will usw. Nun ist aber die ungestörte Nutznießung
eines so geschätzten Grundstücks ohne Eigentumsrecht gar uicht denkbar. Ja
auch wo gar kein Affektionswert zustande kommt, und ein Grundstück bloß zur
Gewinnung des Lebensunterhalts bebaut wird, kann das Eigentumsrecht nicht
entbehrt werden, denn was sonst, außer etwa einem jederzeit kampfbereiten
Knüppel, sollte denn den Nachbar verhindern, ein paar Furchen abzupflügen,
wenn er sie gerade brauchen kann? Übrigens verschmelzen die Meliorationen,
auf die doch der, der sie vornimmt, ein Eigentumsrecht erwirbt, mit dem
Naturbodeu so unlöslich, daß bei kultivirten Acker-, Garten- und Wiesenland
ein Boden an sich, der keinen Wert hätte, gar nicht mehr ausgesondert
werden kann.

Bei solcher Lage der Dinge ist es viertens auch ein Irrtum, wenn Oppen¬
heimer glaubt, so lange es nur noch irgendwo auf Erden herrenlosen oder
unbenützten Fruchtboden gebe, sei die Menschheit in jenem idealen "Freiland,"
das zu suchen Hertzka, wie es scheint, seit ein paar Jahren aufgehört hat.
Schon vor achtundachtzig Jahren hat ein praktischer Landwirt*) den sangui¬
nischen Optimismus vieler seiner Zeitgenossen mit den Worten abgewehrt:
"Dem Mangel an Subsistenz, welchem zu sehr bevölkerte Staaten so oft aus¬
gesetzt sind, wird nicht sogleich dadurch abgeholfen, daß man ihnen zeigt:
Neuholland oder der größte Teil von Amerika, Afrika oder Asien biete noch
vieles für eine weit größere Bevölkerung dar: man braucht die Hilfe in der
Nähe für den daliegenden Ort und auf den jetzt vorkommenden Fall. Ob
andre Weltteile mehr oder weniger bevölkert sind, kann einem Volke, welches
weit davon entfernt wohnt und diesen Vorteil nicht benutzen kann, wenig
frommen." Diese vierte Abstraktion spiegelt jedoch wieder ein Stück Wirklich¬
keit; das noch unbenutzt daliegende Land ist in der That die Hoffnung der



") Der anonyme Verfasser des 1810 erschienenen Buches: Der bisherige Güterhcmdcl
und seine traurigen Folgen.
Verbesserter Smithianismus

davon laufen und den Urwald roder werde. Der Druck muß schon sehr stark
sein, ehe sich der eine oder der andre dazu entschließt, und bis dahin gewinnt
der Boden einen Tauschwert an sich, unabhängig von der darin steckenden oder
— in Gebäuden — darauf abgelagerten Arbeit; er erwirbt einen Tauschwert
bloß deswegen, weil er einen Wohnplatz und eine Arbeitsstätte inmitten einer
zivilisirten Gesellschaft gewährt; und weil innerhalb dieser Gesellschaft die
Kulturgaben verschieden verteilt sind, so haben die Grundstücke, wie jedermann
weiß, je nach ihrer Lage einen verschiednen Wert. Dazu kommen noch vielerlei
Rücksichten, die fast jedem Grundstücke seinen besondern Affektionswert ver¬
leihen. Das eine wird als Ahnensitz, ein zweites um seiner Naturschönheiten
willen, ein drittes wegen der es durchströmendem Wasserkraft geschätzt, ein
viertes trügt junge Bäume, die der Besitzer gepflanzt hat, und deren Früchte
er sehen und genießen will usw. Nun ist aber die ungestörte Nutznießung
eines so geschätzten Grundstücks ohne Eigentumsrecht gar uicht denkbar. Ja
auch wo gar kein Affektionswert zustande kommt, und ein Grundstück bloß zur
Gewinnung des Lebensunterhalts bebaut wird, kann das Eigentumsrecht nicht
entbehrt werden, denn was sonst, außer etwa einem jederzeit kampfbereiten
Knüppel, sollte denn den Nachbar verhindern, ein paar Furchen abzupflügen,
wenn er sie gerade brauchen kann? Übrigens verschmelzen die Meliorationen,
auf die doch der, der sie vornimmt, ein Eigentumsrecht erwirbt, mit dem
Naturbodeu so unlöslich, daß bei kultivirten Acker-, Garten- und Wiesenland
ein Boden an sich, der keinen Wert hätte, gar nicht mehr ausgesondert
werden kann.

Bei solcher Lage der Dinge ist es viertens auch ein Irrtum, wenn Oppen¬
heimer glaubt, so lange es nur noch irgendwo auf Erden herrenlosen oder
unbenützten Fruchtboden gebe, sei die Menschheit in jenem idealen „Freiland,"
das zu suchen Hertzka, wie es scheint, seit ein paar Jahren aufgehört hat.
Schon vor achtundachtzig Jahren hat ein praktischer Landwirt*) den sangui¬
nischen Optimismus vieler seiner Zeitgenossen mit den Worten abgewehrt:
„Dem Mangel an Subsistenz, welchem zu sehr bevölkerte Staaten so oft aus¬
gesetzt sind, wird nicht sogleich dadurch abgeholfen, daß man ihnen zeigt:
Neuholland oder der größte Teil von Amerika, Afrika oder Asien biete noch
vieles für eine weit größere Bevölkerung dar: man braucht die Hilfe in der
Nähe für den daliegenden Ort und auf den jetzt vorkommenden Fall. Ob
andre Weltteile mehr oder weniger bevölkert sind, kann einem Volke, welches
weit davon entfernt wohnt und diesen Vorteil nicht benutzen kann, wenig
frommen." Diese vierte Abstraktion spiegelt jedoch wieder ein Stück Wirklich¬
keit; das noch unbenutzt daliegende Land ist in der That die Hoffnung der



") Der anonyme Verfasser des 1810 erschienenen Buches: Der bisherige Güterhcmdcl
und seine traurigen Folgen.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/303>, abgerufen am 12.12.2024.